Weshalb in Jordanien Weihnachtsfeiern verboten sind

"Es gibt einen Deal"

Kurzfristig haben jordanische Kirchenführer alle öffentlichen Weihnachts- und Neujahrsfeiern abgesagt. Dahinter stecken große Spannungen in einem Land, das international zwar einen guten Ruf hat, intern aber "kaum lebensfähig ist".

Kirche in Jordanien / © Marcella Miriello (shutterstock)
Kirche in Jordanien / © Marcella Miriello ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Keine christlichen Feiern zu Weihnachten und Neujahr. Das heißt nicht, dass es keine Gottesdienste geben wird, sondern nur, dass die öffentlichen Feiern nicht stattfinden. Richtig?

Benediktinerpater Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Benediktinerpater Nikodemus Schnabel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Nikodemus Schnabel OSB (Patriarchalvikar im lateinischen Patriarchat von Jerusalem): Exakt. Ich habe auch Kontakt aufgenommen mit meinem Kollegen in Amman. Der hat gesagt: Natürlich finden Gottesdienste in der Kirche weiterhin statt. Es geht hier nur um das Weihnachten auf den Straßen. Es gibt keine Festbeleuchtung und keine Feiern auf der Straße, aber in der Kirche ist alles wie gewohnt. Das sind einfach Sicherheitsbedenken, die da ausschlaggebend sind.

DOMRADIO.DEGrund sind offiziell drei Polizisten, die bei einer Razzia ums Leben gekommen sind. Dabei fällt das in eine relativ angespannte Situation im Land. Wie ist da im Moment die Lage in Jordanien?

Schnabel: Die Lage ist fragil. Ich glaube, das ist das beste Adjektiv, was auf Jordanien passt - und nicht erst seit gestern. Jordanien ist schon seit Jahren ein sehr fragiles Gebilde. Ein Staat, der so gut wie keine Bodenschätze hat, einen nur sehr schmalen, fruchtbaren Bereich im äußersten Westen, den man landwirtschaftlich gut nutzen kann, nämlich die Jordanebene. Ein Staat, der sowohl aus transjordanischen Arabern, aus verschiedenen Beduinen-Stämmen und aus sehr vielen palästinensischen Flüchtlingen besteht, die schon seit Jahrzehnten dort leben und wo eben auch seit einigen Jahren eine enorm große Anzahl Flüchtlinge aus dem Irak und aus Syrien Aufnahme gefunden haben, und zwar über eine Million.

Das ist erst mal eine herausfordernde Zusammensetzung der Bevölkerung, hinzu kommt eine relativ hohe Geburtenrate und die damit sich verschärfenden Schwierigkeiten für die Jugend einen guten Job zu finden. Wirtschaftlich steht Jordanien schon seit Jahren unter Druck. Es wird maßgeblich am Leben gehalten durch Geldgeber sowohl aus Europa und aus den USA als auch aus den Golfstaaten.

Nikodemus Schnabel OSB

"Es gibt einen Konsens: Jordanien darf nicht fallen."

Es gibt einen breiten Konsens: Jordanien darf nicht fallen! Das heißt, es gibt jetzt auch keine unmittelbare Gefahr, dass es eine "Arabellion" gibt, wie zum Beispiel in Syrien oder Tunesien. Jordanien zu stabilisieren ist breitester außenpolitischer Konsens.

Jordanien hat die längste Grenze mit Israel, da gibt es auch großes Interesse, dass der östliche Nachbar nicht fällt, der auch einen Puffer bildet für die Sicherheit Israels. Es gibt viele Kräfte, die diesen Staat stabilisieren, der, wäre er völlig auf sich alleingestellt, doch ziemlich zu kämpfen hätte.

DOMRADIO.DEUnd dazu kommt noch eine Wirtschaftskrise.

Schnabel: Was in jüngster Zeit zu Unruhen führt, sind die enorm gestiegenen Treibstoffpreise, die sich seit letztem Jahr fast verdoppelt haben. Man merkt, dass das jordanische System die letzten Jahre durch so eine Art Deal funktionierte: Das Königshaus bietet wirtschaftliche Teilhabe an um den Preis einer absoluten Loyalität. Es gibt auch einen sehr großen Sicherheitsapparat, der schaut, dass jede Bewegung, die revolutionäre Züge in sich hat, im Keim erstickt wird. Das jetzige Agieren ist daher ziemlich typisch, dass man sagt: Weihnachten, Neujahr, das ist eine Zeit, in der sich Menschen vermehrt auf der Straße versammeln. Das möchte man unterbinden, um die Zügel in der Hand zu behalten.

Nikodemus Schnabel OSB

"Das Königshaus bietet wirtschaftliche Teilhabe an um den Preis einer absoluten Loyalität."

DOMRADIO.DEDas widerspricht ja eigentlich dem Bild in der Öffentlichkeit und auch im Tourismus, dass Jordanien im Nahen Osten wahrscheinlich das sicherste und stabilste Land ist. Woher kommt diese Fehleinschätzung?

Schnabel: Von der Touristenperspektive würde ich sagen, dass man Jordanien wirklich empfehlen kann. Also die Ruinenstadt Petra ist natürlich überwältigend. Jerasch ist genial, die Wüstenschlösser, aber natürlich auch die Kreuzfahrerburgen. Das ist schon sehr faszinierend. Aber gerade weil Jordanien so einen unglaublich starken Sicherheitsapparat hat, kann man sich als Tourist frei bewegen und muss keine Angst haben.

Man darf nur nicht der Illusion unterliegen, dass man als Tourist erlebt, wie Jordanien wirklich funktioniert. Hinter den Kulissen ist Jordanien ein Land, in dem das Königshaus die Zügel sehr fest in der Hand hält.

Natürlich gibt es immer wieder – das ist nichts Neues – auch Bewegungen, die aufbegehren, die teilweise islamistisch unterwandert sind. Aber Jordanien und das Königshaus werden von einer international breiten Front unterstützt und stabilisiert.   Wie gesagt, gestützt durch den Westen und die Golfstaaten. Es ist ein globaler Verbund, der ein Interesse daran hat, das herrschende doch recht tolerante Königshaus zu stabilisieren, Jordanien zu stabilisieren. Das heißt dann aber eben nicht, dass es dort auch Meinungsfreiheit oder Demokratie im westlichen Sinne gibt.

DOMRADIO.DEWas heißt das denn im Alltag für die Christen im Land? Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern wie Ägypten hört man ja eigentlich selten von Übergriffen oder Anschlägen.

Schnabel: Genau. Das ist genau der Punkt. Das ist der Preis, den man zahlt als Minderheit. Das Königshaus sorgt dafür, dass die Christen und die Kirchen geschützt sind, dass es Gottesdienste gibt, wo man keine Angst haben muss, ob jetzt eine Bombe hochgeht. Aber der Preis, den man zahlen muss, der erwartet wird, ist halt eine absolute Loyalität zum Königshaus. Das ist der Deal für alles in Jordanien. Loyalität zur herrschenden Königsfamilie. Und dann kann man über alles reden. In diesem Rahmen gibt es eine große Freiheit, eine große Sicherheit. Aber diese Loyalität darf nicht nur ansatzweise angefragt werden. Das ist die Rolle, die auch von den Kirchen klar erwartet wird, nämlich politisch zu stabilisieren und nicht kritisch zu kommentieren.

Nikodemus Schnabel OSB

"Wir hatten mal den 'Kalten Krieg', zwischen Israel und Jordanien gibt es einen 'Kalten Frieden'."

DOMRADIO.DEJordanien war nach Ägypten das zweite Land im Nahen Osten, das Frieden mit Israel geschlossen hat. Wie ist da das Miteinander?

Schnabel: Wir hatten mal den "Kalten Krieg". Zwischen Israel und Jordanien gibt es einen "Kalten Frieden". Man merkt schon – da ist ein politischer Wille – den auch die internationale Gemeinschaft fördert, dass Israel und Jordanien politisch miteinander im Gespräch sind. Aber es kühlt merklich ab.

Ein Beispiel: Es gab mal eine Friedensinsel, ein Projekt am Jordan, zwischen dem Norden Israels und Jordanien, wo eine Landzunge nach Israel hineingeragt hat, die aber völkerrechtlich zu Jordanien gehört. Und dieses Gebiet wurde israelischen Landwirten überlassen, die dann durch den leichteren Zugang von Israel aus Landwirtschaft betreiben durften auf jordanischem Gebiet. Da wurde damals sehr publikumswirksam gezeigt, wie gut man kooperiert. Dieses Projekt ist gestorben. Wenn man da jetzt lang fährt, sind die Brücken abgebrochen, da weht die jordanische Fahne.

Und: Jordanien hat einen ganz sensiblen Punkt. Das jordanische Königshaus versteht sich als Hüter der heiligen Stätten in Jerusalem, sowohl der muslimischen, als auch der christlichen. Durch den aktuellen Rechtsruck in Israel, wird immer stärker der jüdische Charakter Jerusalems betont. Da gibt es gar kein großes Interesse, diese multireligiöse Wirklichkeit Jerusalems zu fördern. Dadurch gewinnt auch das Verhältnis zwischen dem jordanischen Königshaus und Israel immer stärker an Spannung. Also man merkt schon, der Friedensvertrag, den gibt es noch, aber er ist immer weniger emotional unterfüttert, und zwar von beiden Seiten.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Jordaniens Kirchenführer sagen Weihnachts- und Neujahrsfeiern ab

Im Gedenken an drei bei einer Razzia getötete Polizisten haben Jordaniens Kirchenoberhäupter alle Weihnachts- und Neujahrsfeiern abgesagt. Man habe beschlossen, "die religiösen Feiern in den Kirchen in Solidarität mit dem Heimatland, der Direktion für öffentliche Sicherheit und unseren trauernden Familien zu begrenzen", heißt es in einer Mitteilung des Rats der Kirchenführer.

Kirche in Jordanien / © Andrea Krogmann (dpa)
Kirche in Jordanien / © Andrea Krogmann ( dpa )
Quelle:
DR