Westafrika streitet über Liberalisierung der Abtreibung

Debatten in Sierra Leone und Senegal

Eine Abtreibung in einem verdreckten Hinterhof, ohne fließendes Wasser, Narkose und Schmerzmittel. Was man sich nicht vorstellen möchte, ist für viele Frauen in Afrika Realität. Liberalere Gesetze sollen das ändern.

Autor/in:
Katrin Gänsler
Symbolbild Versorgung in Afrika / © Riccardo Mayer (shutterstock)

Noch ist in Sierra Leone nichts entschieden. Doch die Emotionen schlagen hoch. Seit Monaten wird in dem westafrikanischen Land, in dem gut neun Millionen Menschen leben, über eine Entschärfung des Abtreibungsverbots debattiert. Schwangerschaftsabbruch und Verhütung sind Tabuthemen, über die normalerweise nicht öffentlich gesprochen wird.

Deshalb ist der Titel des Gesetzentwurfs unverfänglich. Es gehe um sichere Mutterschaft und Gesundheitsfürsorge, heißt es in dem Vorstoß aus dem Gesundheitsministerium. Demnach soll eine Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche möglich sein, wenn etwa eine Fehlbildung des Fötus vorliegt, die Gesundheit der Mutter gefährdet ist oder in Fällen von Vergewaltigung.

Ziel: weniger Geburtsfisteln

Ziel ist es auch, die Infrastruktur für werdende Mütter zu verbessern und Familienplanung zu ermöglichen; bis heute gibt es vielerorts dazu wenige Informationen und kaum Zugang zu Verhütungsmitteln. Auch möchte man Geburtsfisteln verhindern. Diese Verletzungen entstehen bei langen und quälenden Geburten, oft weil professionelle Hilfe fehlt. Unbehandelt können sie zu Inkontinenz und gesellschaftlicher Stigmatisierung führen. Mit Abstand am stärksten betroffen sind nach UN-Angaben Frauen auf dem afrikanischen Kontinent – südlich der Sahara.

Graffiti zu Abtreibung / © Corinne Simon (KNA)

Darauf weisen Befürworter des Gesetzentwurfs hin. Ramatu Bangura, Frauen- und Kinderrechtsaktivistin aus Sierra Leone, betonte in einem Beitrag der britischen Zeitung "Guardian": Sierra Leone könne Geschichte schreiben und riesige Schritte für einen besseren Schutz von Mädchen und Frauen machen. Und das wäre dringend notwendig: Sierra Leone gehört weltweit zu den Ländern mit der höchsten Kinder- und Müttersterblichkeit.

So erlebt etwa jedes zehnte Kind seinen fünften Geburtstag nicht. In puncto Müttersterblichkeit ist das UN-Ziel für das Jahr 2030, die Zahl auf 70 Todesfälle bei 100.000 Lebendgeburten zu senken. Ein schwieriges Unterfangen, denn 2020 waren es in Sierra Leone noch 443. Neun Prozent dieser Fälle seien, so die Aktivistin Bangura, auf unsichere Abtreibungen zurückzuführen. Denn Schwangerschaftsabbrüche gibt es – ob verboten oder nicht.

Hunderte Frauen sterben jährlich

Überall in Westafrika passiert dies. Mitunter nehmen Gynäkologen den Eingriff in einigermaßen sauberen Räumen vor - und machen sich so strafbar. Nicht selten geschieht es aber in schmuddeligen Hinterhöfen, mit fatalen Folgen.

2021 schätzte die Regierung von Benin, dass so jährlich mindestens 200 Frauen sterben und begründete damit eine Liberalisierung. Seitdem ist Abtreibung auch dann straffrei, wenn Frauen sich nicht in der Lage sehen, für ihr Kind zu sorgen. Das heißt jedoch nicht, dass Ärzte Abtreibungen vornehmen müssen. Überdies stehen in ländlichen Regionen ohnehin keine Mediziner zur Verfügung.

Benins katholische Bischöfe kritisierten die Lockerung – allerdings verhältnismäßig leise. Denn hinter dem Gesetz stand Präsident Patrice Talon, der zunehmend autokratisch regiert. Kritik gefällt ihm überhaupt nicht. In anderen Ländern hat das Vorgehen Benins indes für Diskussionen gesorgt.

Frauenrechtsgruppen im Senegal betonten, dass jedes Jahr mindestens 30.000 Frauen ihr Leben riskierten, weil sie heimlich abtreiben müssten. Laut der senegalesischen Juristin Coumba Gueye ist eine Abtreibung oder Kindstötung die zweithäufigste Ursache für die Inhaftierung von Frauen oder Mädchen, nach Drogenbesitz und -konsum.

Kirchen gegen Liberalisierungspläne

In Sierra Leone wollen dagegen viele nicht an den strengen Vorschriften, die noch aus der britischen Kolonialzeit stammen, rütteln. Edward Tamba Charles, Erzbischof von Freetown und Präsident des Interreligiöse Rates, erklärte: "Wir haben den Gesetzesentwurf sorgfältig geprüft und festgestellt, dass er die Heiligkeit des Lebens verletzt, die Religionsfreiheit untergräbt und die Rolle des Ehemanns in ehelichen Beziehungen missachtet."

Joe Biden / © Susan Walsh (dpa)

Einige Abtreibungsgegner haben mittlerweile einen prominenten Sündenbock gefunden: den ehemaligen US-Präsidenten Joe Biden. Der US-Sender Fox News berichtete mehrfach, dass während dessen Amtszeit die US-Entwicklungsbehörde USAID Abtreibungen in Afrika gefördert habe. Die Biden-Regierung soll Sierra Leone gar zu dem Gesetzentwurf gedrängt haben.

In der Hauptstadt Freetown werden die USA in der aktuellen Debatte jedoch nicht erwähnt. Ohnehin ist unklar, wann und ob es überhaupt zu einer Entscheidung kommt. Auch eine Art Déjà-vu-Erlebnis ist möglich: Unter Präsident Ernest Bai Koroma sollte es 2015 bereits zu einer ähnlichen Liberalisierung kommen. Doch der verweigerte dem Gesetzesentwurf letztlich seine Unterschrift.