Wie die Caritas in der Ukraine Hilfe leistet

"Man muss irgendwo anfangen"

Vor zwei Jahren ist die russische Armee in die Ukraine einmarschiert. Internationale Organisationen unterstützen seitdem die Betroffenen. Per Byman ist humanitärer Berater von Caritas international und koordiniert Fachkräfte vor Ort.

Symbolbild Eine alte Frau in der Ukraine betet / © Kharaim Pavlo (shutterstock)
Symbolbild Eine alte Frau in der Ukraine betet / © Kharaim Pavlo ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der Kriegsbeginn in der Ukraine jährt sich zum zweiten Mal. Was geht da in Ihnen vor?

Katholische Hilfsorganisation Caritas Ukraine verteilt Nahrungsmittel an Bedürftige in Charkiw. / © Drop of Light (shutterstock)
Katholische Hilfsorganisation Caritas Ukraine verteilt Nahrungsmittel an Bedürftige in Charkiw. / © Drop of Light ( shutterstock )

Per Byman (Humanitärer Berater bei der Caritas international): Das ist ein völkerrechtswidriger Krieg. Es ist schlimm zu sehen, wie schnell sich die Situation in einem Land ändern kann. Man darf aber nicht vergessen, dass der Krieg im Osten des Landes schon 2014 angefangen hat. Das ist "nur" eine Fortsetzung.

Gleichzeitig muss man versuchen, die positiven Sachen zu sehen, wie zum Beispiel die lokale Caritas, die sich täglich für die Menschen einsetzt. Es gibt positive Dinge, die man auch beachten muss. 

DOMRADIO.DE: Wie kann man sich die Hilfe von Caritas international und ihren beiden Partnerorganisationen Caritas Ukraine und Caritas-Spes vorstellen? 

Byman: Das ist sehr unterschiedlich. Die haben seit 30 Jahren soziale Projekte, wie Hauspflege oder Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Die haben ihre Arbeit jetzt fortgesetzt. 

Per Byman

"Es geht nicht darum, dass wir große Wohnhäuser aufbauen, sondern darum die Häuser so sicherzustellen, dass Leute wieder darin wohnen können."

Dann haben wir den humanitären Teil. Wir versorgen mit Lebensmitteln. Wir unterstützen mit Bargeld, um gleichzeitig den lokalen Markt zu unterstützen. Wir müssen nicht alles selbst ins Land bringen. Wir arbeiten mit Unterkünften für Geflüchtete, für Binnenflüchtlinge, aber auch für Rückkehrer. Die sind in ihre Stadt zurückgekehrt, haben aber vielleicht keine Wohnung oder kein Haus mehr.

Gleichzeitig haben wir mit dem Wiederaufbau angefangen. Es gibt Orte, an denen wir das machen können, damit Leute zurückkehren können. Es geht nicht darum, dass wir große Wohnhäuser aufbauen, sondern darum die Häuser zu sichern, sodass Leute wieder darin wohnen können. 

Ein erschöpfter Helfer in der Ukraine / © Leo Correa (dpa)
Ein erschöpfter Helfer in der Ukraine / © Leo Correa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es gibt in mehreren Städten Sozialzentren, dort können die Menschen Unterstützung bei der Beantragung staatlicher Hilfen finden. Wie sieht es damit in dem Kriegsgebiet Ukraine aus? 

Byman: Das ist sehr unterschiedlich. Es ist ein großes Land. Die Sozialzentren arbeiten nicht immer an der Frontlinie. In Städten wie Kiew oder Lwiw ist es normalerweise ziemlich ruhig. Außer wenn die Städte angegriffen werden. Dort funktioniert ein einigermaßen normales Leben. Es ist schwierig, sich einen Krieg vorzustellen, aber das Leben muss irgendwie weitergehen. 

Per Byman

"Es ist schwierig, sich einen Krieg vorzustellen, aber das Leben muss irgendwie weitergehen."

Allerdings ist das Sozialzentrum in Mariupol völlig zerstört. Sechs Caritas-Mitarbeiter wurden am Anfang des Krieges getötet und das ganze Sozialzentrum musste umziehen. Die sind jetzt in anderen Orten. 

DOMRADIO.DE: Es gibt mobile Teams an den Frontlinien. Heißt das, die Menschen klettern tatsächlich in abgelegenen Ortschaften in Häuser und versorgen Menschen?

Byman: Es kommt darauf an. Die klettern nicht in die Ruinen und suchen nach Menschen. Das ist nicht die Aufgabe der Caritas. Außerdem gibt es große Minengefahr und "unexploded ordnance" (nicht explodierte Kampfmittel, Anm. d. Red.), wie wir sagen. Aber an den Frontlinien fahren die lokalen Mitarbeiter tatsächlich mit ihren Autos in Dörfer, die zum Teil zerstört sind.

Symbolbild Frau vor einem zerstörten Haus in der Ukraine / © Kharaim Pavlo (shutterstock)
Symbolbild Frau vor einem zerstörten Haus in der Ukraine / © Kharaim Pavlo ( shutterstock )

Wenn es sich um Ruinen handelt, leben da keine Leute mehr. Die leben vielleicht nebenan bei den Nachbarn oder dort, wo es noch Wohnraum gibt. 

In den größeren Städten ist es umgekehrt. Da kommen die Leute zu den Sozialzentren. Wir haben aber auch Hauskrankenpflege, bei der die Mitarbeiter ältere Menschen in ihren Häusern oder Wohnungen besuchen und ihnen vor Ort Hilfe leisten. 

Per Byman

"Es gibt bei der Caritas immer Psychologen vor Ort, die für das Wohlbefinden der eigenen Mitarbeiter zuständig sind."

DOMRADIO.DE: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen traumatisierte Menschen psychologisch. Wie werden die selber aufgefangen? 

Byman: Wir haben von Caritas international ein Sonderprogramm, das wir "Staff Care" (Betreuung des Personals, Anm. d. Red.) nennen. Wir kümmern uns auch um die Mitarbeiter. Die bekommen selbst psychologische Betreuung, wenn sie das brauchen. Es wird mitverfolgt und es gibt bei der Caritas immer Psychologen vor Ort, die für das Wohlbefinden der eigenen Mitarbeiter zuständig sind. 

Per Byman

"Leute kommen schon zurück, ob wir es wollen oder nicht."

DOMRADIO.DE: Caritas international konnte bisher drei Millionen Menschen in der Ukraine helfen. Dazu wollen sie sich auch an der Wiederaufbaukonferenz beteiligen, die im Juni dieses Jahres in Berlin stattfinden soll. Wie viel Sinn ergibt ein Wiederaufbau, wenn die Zerstörung andauert? 

Byman: Man muss irgendwo anfangen. Natürlich können wir das nicht an den Frontlinien machen. Dort besteht eine große Gefahr, dass es wieder zerstört wird. Aber es gibt Gebiete, die die Ukraine zurückgewonnen hat, zu denen Leute zurückwollen, zum Beispiel im Süden um Charkiw und um Mykolajiw.

Ukraine, Mykolajiw: Ikonen liegen auf den Trümmern einer Kirche / © Evgeniy Maloletka (dpa)
Ukraine, Mykolajiw: Ikonen liegen auf den Trümmern einer Kirche / © Evgeniy Maloletka ( dpa )

Die Leute kommen schon zurück, ob wir es wollen oder nicht. Die wollen in ihren alten Dörfern wohnen. Wir sind dazu verpflichtet, ihnen dabei zu helfen, dass sie dort leben können. 

Die Wiederaufbaukonferenz ist ein bisschen breiter ausgelegt. Es geht nicht nur um den physischen Wiederaufbau, sondern auch um den Wiederaufbau der Ökonomie, der Infrastruktur und anderer Felder, an denen die Caritas nicht beteiligt ist.

Der physische Wiederaufbau von Häusern hat angefangen. Wir machen das schon in vielen Orten und das muss auch so fortgesetzt werden. 

Per Byman

"Sie gibt nicht nicht nur Hilfe, sondern auch Energie"

DOMRADIO.DE: Gibt es möglicherweise kleine Ereignisse und Begebenheiten, aus denen Sie den Optimismus nehmen? 

Byman: Ich habe gerade Mykolajiw erwähnt. Das ist eine Stadt zwischen Odessa und Cherson im Süden. Das ist ein Gebiet, das die Ukraine von der russischen Seite zurückerobert hat. Vor einigen Wochen habe ich dort eine junge Frau getroffen. 

Sie war fast die ganze Zeit an der Frontlinie und hat ihr Dorf nicht verlassen. Sie war vielleicht 25 Jahre alt und voller Energie. Sie arbeitet als Volontärin für uns und hilft allen Leuten. Sie gibt nicht nur Hilfe, sondern auch Energie an alle, die zurückgekehrt sind. Davon war ich völlig begeistert. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Caritas international

Caritas International arbeitet eng mit den weltweit 165 nationalen Caritas-Organisationen zusammen. Von seinem Hauptsitz in Freiburg aus unterstützt das katholische Hilfswerk jährlich etwa 1.000 Hilfsprojekte in aller Welt. In den Projekten gewährleisten die Kompetenz und das Engagement der einheimischen Caritas-Mitarbeiter den dauerhaften Erfolg vor Ort.

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR