Sprachveränderungen durch die Coronavirus-Pandemie

Wie die Krise unsere Sprache beeinflusst

Die Sprache gilt als Spiegel unserer Gesellschaft, die derzeit vor allem mit der Corona-Krise beschäftigt ist. Das Schlagwort Corona beherrscht die Medien und unseren Alltag. Wie verändert die Krise uns und unsere Sprache?

Sprache sagt viel über uns aus / © lassedesignen (shutterstock)
Sprache sagt viel über uns aus / © lassedesignen ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das Coronavirus Sars-CoV-2 und seine Folgen beherrschen in allen Facetten die Schlagzeilen und Nachrichten. Ist Corona auch in dieser Wochen das beherrschende Schlagwort?

Annette Klosa-Kückelhaus (Sprachwissenschaftlerin am Leibniz-Institut für deutsche Sprache): Absolut. Die Häufigkeit des Begriffs "Corona" selbst ist extrem gestiegen, aber wir haben auch viele Zusammensetzungen mit Corona.

DOMRADIO.DE: Beispielsweise "Corona-Hysterie", "Corona-Panik" oder "Corona-Bonds" - das sind Begriffe, die mir spontan einfallen. Sind diese zusammengesetzten Wörter mit Corona das Auffälligste in der Sprache?

Klosa-Kückelhaus: Diese Zusammensetzungen fallen uns sicherlich am meisten auf. Dabei gibt es auch eine unglaubliche Vielfalt. Es gibt auch Ableitungen mit Corona, beispielsweise "coronieren".

DOMRADIO.DE: Was heißt "coronieren"?

Klosa-Kückelhaus: Das heißt, dass alle Zustände sich jetzt dem Coronavirus unterordnen oder in der Krise sich verändern. Dann "coroniert" die Gesellschaft - finde ich, klingt ein bisschen schräg. Aber es gibt auch hübscher klingende Sachen: "coronafrei". Damit hat man direkt positive Assoziationen. Wenn man kein Corona hat, dann ist man eben "coronafrei". Aber ehrlich gesagt gibt es auch ganz viele andere neue Wörter, die entstehen, die nicht den Bestandteil "Corona" enthalten.

DOMRADIO.DE: Es gibt Neubildungen wie zum Beispiel "Spuckschutzschild" oder "Distanzschlange".

Klosa-Kückelhaus: Die klingen unterschiedlich attraktiv, wenn ich an das "Spuckschutzschild" denke, da hat man fast schon ein bisschen ein Ausspracheproblem. Wobei die Sache an sich sehr nützlich ist. Mit dem Wort "Distanz" gibt es außer mit "Schlange" auch ein paar Bildungen: Der Distanzbesuch, bei dem man am Gartenzaun stehen bleibt, ist eigentlich ein ein trauriges Bild, das einem vors Auge kommt.

DOMRADIO.DE: Sie untersuchen, wie häufig Worte verwendet werden. Welche Begriffe sind unter den Top Ten?

Klosa-Kückelhaus: Corona-Krise ist der absolute Spitzenreiter. Das ist zwar schade, aber sie dominiert gerade unser Leben und hat ja so viele Auswirkungen in alle Bereiche hinein. Googelt man danach, erhält man eine Unmenge an Treffern.

DOMRADIO.DE: Was kommt danach?

Klosa-Kückelhaus: Corona. Corona selbst, praktisch verkürzt aus Corona-Krise. Aber je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man nachschaut, waren auch mal andere Wörter weit vorne wie "Shutdown" und "Lockdown", als es mit den Beschränkungen losging. Als die ersten Lockerungen kamen, sind ganz normale Wörter wie Lockerung oder Öffnung häufiger genannt geworden. Die Häufigkeit, in der sie genannt werden, nimmt je nachdem zu, was gerade in der Situation passiert.

DOMRADIO.DE: Da reagiert die Sprache sozusage sofort?

Klosa-Kückelhaus: Ja, sofort, entweder indem vertraute, etablierte Wörter auf einmal wieder sehr häufig verwendet werden oder indem neue Wörter dazukommen.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade schon den "Lockdown" und den "Shutdown" erwähnt. Außerdem ging uns ja auch das Wort "Homeoffice" in den letzten Wochen ziemlich oft über die Lippen. Was hat es mit diesen Anglizismen auf sich?

Klosa-Kückelhaus: Diese Anglizismen sind zum Teil schon sehr gut etabliert. Das Wort "Homeoffice" verwenden wir schon sehr lange im Deutschen, das bei uns ein bisschen etwas anderes bezeichnet als im Englischen selbst. Ähnlich ist es auch bei "Lockdown" und "Shutdown", die in ihren jeweiligen Herkunftssprachen - im Amerikanischen und Englischen -, eine speziellere Bedeutung als im Deutschen haben. Das ist ganz typisch für Anglizismen.

DOMRADIO.DE: Bleiben wir mal beim "Homeoffice": Was bedeutet das im Englischen?

Klosa-Kückelhaus: Im britischen Englisch ist "Home Office" die offizielle Bezeichnung des britische Innenministerium. Das hat mit dem, was wir darunter verstehen, nun gar nichts zu tun.

DOMRADIO.DE: Was ist denn mit so Begriffen wie "Triage"? Diesen Begriff kannten viele vorher gar nicht.

Klosa-Kückelhaus: Das ist auch nicht verwunderlich, denn das ist ein Wort aus der Fachsprache, in diesem Fall aus der Medizin. Diese Art Wörter müssen in unserem Alltag ja auch normalerweise nicht vorkommen. Aber jetzt, als es nötig wurde über Triage nachzudenken, oder als in Italien in bestimmten Situationen nach diesem Prinzip verfahren wurde, gelangt das Wort in den allgemeinen Sprachgebrauch. Ich glaube aber nicht, dass Triage in der Allgemeinsprache bleiben wird. Das wird hoffentlich wieder in die Fachsprache zurückwandern.

DOMRADIO.DE: Was zeigen diese sprachlichen Entwicklungen? Dass wir dem Virus nicht einmal beim Sprechen entrinnen können?

Klosa-Kückelhaus: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Man kann der Coronavirus-Pandemie schlecht in den Medien entrinnen, weil sie das beherrschende Thema ist. Aber wenn Sie überlegen, worüber Sie den ganzen Tag sprechen, dann hoffe ich doch, dass Sie nicht nur über die Corona-Krise sprechen und insofern auch ganz viele Wörter verwenden, die gar nichts damit zu tun haben. Diese "Corona-Wörter" fallen uns momentan viel mehr auf, weil sie zum Teil auch neu sind. Manchmal sind Sie ja auch ein bisschen überraschend oder witzig. Und dann wird man stutzig und denkt: Hui, da ist schon wieder ein neues Wort.

DOMRADIO.DE: Verschwinden diese Wörter wieder, wenn die Pandemie abklingt, oder bleibt auch etwas?

Klosa-Kückelhaus: Ich denke, manche werden bleiben. Über die Corona-Krise werden wir sicherlich noch lange sprechen, weil sie unsere Gesellschaft stark verändert. Aber andere Wörter wie die "Corona-Frisur" oder die "Corona-Kilos" wird man vielleicht nicht mehr so viel verwenden, hoffe ich zumindest. Wenn es keine Maskenpflicht mehr gibt, dann muss man auch nicht mehr darüber sprechen. Das hängt jetzt ein bisschen davon ab, wie sich die Umstände verändern. Denn die Sprache reflektiert das ja letztendlich nur.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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