Rein optisch passt Michael Daum tadellos ins romantische Einsiedler-Klischee: langes, gewelltes, schlohweißes Haar, Rauschebart. Man glaubt dem korpulenten 56-Jährigen aus Baden-Württemberg sofort, dass er die nötige Bodenhaftung hat, um dem Rummel in der Schweizer Verenaschlucht standzuhalten. Seine beiden Vorgängerinnen ließen diese Abgeklärtheit vermissen. Sie kehrten der Einsiedelei den Rücken, weil ihnen der viel besuchte Ausflugsort nicht genug Ruhe für ein spirituelles Leben bot.
Was Daum dem Trubel entgegensetzen will, demonstriert er gleich zu Beginn einer Pressekonferenz in Solothurn. Noch vor der Begrüßung bittet er die Journalisten im Saal um fünf Minuten Ruhe, "um hier anzukommen". Dann lässt er mit einem kurzen Klöppelschlag eine Klangschale erklingen. Und tatsächlich: Nachdem die letzten Kameraklicks verklungen sind, herrscht für eine Weile absolute Stille.
Wahrung als Ort der Stille
"Ich möchte, dass der Ort als Ort der Stille gewahrt bleibt", sagt Daum. Denn viele Menschen kämen genau deshalb. Der 56-Jährige lebt seit 1. Oktober in der Einsiedelei Sankt Verena. Die Tradition eremitischen Lebens reicht dort bis mindestens in die Mitte des 15. Jahrhunderts zurück. Der Lebensunterhalt der Einsiedler wird nach alter Gepflogenheit von der Bürgergemeinde Solothurn finanziert. Die heilige Verena (um 260-320/344) gehört zu den meistverehrten Heiligen des ehemaligen Bistums Konstanz. Der Legende nach soll sie sich um 300, aus Oberägypten kommend, in der Gegend um Solothurn aufgehalten haben.
Zu Daums Aufgaben gehört es, die Kapelle um 10 Uhr zu öffnen und um 17 Uhr wieder zu schließen. Zudem soll er für Ordnung und Sauberkeit sorgen, manchmal auch als Ansprechpartner dienen. Zum Beispiel für den Kantonsschullehrer, der immer um 6.15 Uhr mit dem Rad durch die Schlucht fährt. "Der kriegt meistens die Kurve nicht", sagt Daum.
Oder für die alte Frau, die regelmäßig kommt und nicht mehr gut zu Fuß ist. Der Eremit begleitet sie dann schon mal ein Stück des Weges, wenn sie nicht recht bei Kräften ist.
Daum ist Katholik und stammt aus Heilbronn. Seinen ersten Beruf als Polizist gab der geschiedene Vater von vier erwachsenen Kindern wegen eines Dienstunfalls auf. Das Leben und Meditieren in verschiedenen Klöstern, die christliche Kontemplation und Schweigekurse hätten ihn schließlich dazu bewogen, sich für die Einsiedler-Stelle zu bewerben.
Kein einsamer Kauz
Er sieht sich jedoch nicht als einsamen Kauz, sondern als "Mensch für die Menschen". Auch mit mehreren Hundebesitzern, die es mit dem Anleinen nicht so genau nähmen, habe er schon seine Erfahrungen gemacht. "Man hat mir erklärt, es gebe mentale Hundeleinen", sagt er und beginnt zu schmunzeln.
In Konfliktsituationen dürfte Daum seine Erfahrung als Polizist zugutekommen. "Der Einsiedler soll aber nicht Polizist spielen", versichert Sergio Wyniger, Präsident der Bürgergemeinde Solothurn. Dennoch gelten in der Verenaschlucht klare Regeln: ein Fahrverbot etwa oder ein Ausschankverbot für Alkohol. Wyniger appelliert an den "gesunden Menschenverstand" der Besucher. Große Partys seien jedenfalls unerwünscht.
Menschen kommen aus aller Welt
Der Bürgergemeinde-Präsident stellt Daum für die ersten vier Monate als Eremit ein gutes Zeugnis aus. Der Baden-Württemberger habe seinen Einstand "tadellos gemeistert" und werde bestimmt auch die Hochsaison im Sommer "mit Bravour" überstehen. Der Mann mit dem süddeutschen Dialekt komme gut an mit seinem "bestimmten, sympathischen Auftreten". Mit ihm habe man eine Persönlichkeit gewählt, die mit dem Rummel in der Schlucht umgehen könne.
Die Menschen kommen aus aller Welt: "Aus Brasilien, Costa Rica, Russland", erzählt Daum. Obwohl viele seinetwegen kämen, sehe er sich nicht als Ausstellungsobjekt: "Nicht ich bin wichtig, sondern die Verenaschlucht, der Ort der Stille." Für seine Familie wolle er trotz des Einsiedler-Lebens da sein. "Meine Kinder stellten gewisse Bedingungen, etwa einen Festnetzanschluss." Er sei in ständigem Kontakt mit ihnen - auch online. Die Kinder seien die einzigen Gäste, die bei ihm in der Klause übernachten dürften. Das sei mit der Bürgergemeinde so abgesprochen. Der jüngste Sohn habe nach seinem Einzug in die Klause gesagt: "Papa, jetzt bist du endlich da, wo du hingehörst."