DOMRADIO.DE: Werden die Schülerinnen aus der Ukraine ganz normal in einer Klasse mit den deutschen Schülerinnen zusammen unterrichtet?
Karl Kühling (Schulleiter des katholisch-erzbischöflichen Mädchengymnasiums Ursulinenschule in Hersel bei Bonn): Ja, das war von Anfang an für uns der Weg, den wir gehen wollten. Sie sollten zunächst mit Gleichaltrigen zusammen sein, um das Gefühl der Geborgenheit ein bisschen spüren, nach dem, was sie alles erlebt haben und mitbringen.
Da lernen sie vielleicht auch praktisch über die Peergroup (Gruppe von etwa gleichaltrigen Kindern oder Jugendlichen, die als primäre soziale Bezugsgruppe neben das Elternhaus tritt, Anm. d. Red.) am schnellsten Kontakt aufzunehmen und die deutsche Sprache zu lernen. Das wird dann durch speziellen Deutschunterricht intensiviert.
Da bin ich sehr froh, dass wir ein Programm mit vielen Kräften entwickeln. Da sind die Deutsch-Fachlehrer beteiligt, da sind Referendarinnen beteiligt und wir haben einen ganz tollen Kreis von ehemaligen, erfahrenen Sprachlehrerinnen aus dem Kreis der ehemaligen Kolleginnen, die sich gemeldet haben und uns unter die Arme greifen und unterstützen.
So gibt es eine ganze Reihe Sonderstunden Deutsch, die wir verteilt in den Schulalltag integrieren können. Aber das erste Ziel ist eigentlich, dass wir sie gleichaltrig unterbringen. Das heißt, es gibt in den meisten Klassen eine, zwei und in einer Klasse sogar drei Schülerinnen aus der Ukraine.
DOMRADIO.DE: Die können meistens nicht von Anfang an Deutsch. Wie lösen Sie das Problem mit der Sprache?
Kühling: Da gibt es viele Wege. Manche können ein bisschen Deutsch, manche können ein bisschen Englisch. Sie bringen zum Glück doch eine ganze Menge schon mit. Und die Älteren sind auch erstaunlich gut in diesen Fächern in der Ukraine ausgebildet worden. Das erstaunt uns sehr. Da kann ich nur berichten, dass es in den älteren Jahrgängen schon ganz hervorragende Englisch- und Deutschkenntnisse gibt.
Das, was früher in der Schule immer als verbotenes Mittel galt, nämlich die Digitalisierung, also mit dem Handy zu operieren, wird jetzt auf einmal zu einem Plus. Es gibt Handy-Apps, wo man schnell auch die kompliziertesten Sachverhalte einfach eingibt - und die Kinder gehen damit relativ unkompliziert um.
Englisch ist eine ganz gute Brücke nach wie vor und ich denke, es gibt jetzt kein Patentrezept, sondern es kommt auch auf jedes einzelne Kind an, wie es lernt. Natürlich müssen wir systematisch beginnen, auch in ein Programm hineinzukommen. Das hängt auch sehr stark davon ab, welche Zielsetzung gegeben ist, ob es hier Schulabschlüsse geben soll, und so weiter. Das ist sehr individuell.
DOMRADIO.DE: Der Krieg in der Ukraine geht jetzt schon über zwei Monate. Wann war klar, dass Ihre Schule geflüchtete Mädchen aufnehmen wird?
Kühling: In dem Moment, in dem wir den ersten Anruf und Hilferuf erhielten. Ich kann Ihnen das Datum jetzt nicht sagen, aber ich glaube, dass es relativ schnell war. Wir haben Kontakt zu Pater Langer von unserer Partnerschule in Bonn. Der ist im Kriseninterventions-Team mit drin und kennt uns sehr gut. Der weiß, was die Schule leisten kann.
Als er anrief, gab es den rührenden Moment, dass eine Kollegin sogar bereit war, eine Unterkunft anbieten zu können. Ab dem Moment, dass das zum Ersten Mal funktionierte und passte, waren wir in der ganzen Schule bereit für ein herzliches Willkommen von Schülerinnen.
Das galt vor allen Dingen für die Schülerinnen. Die Schülerinnenvertretung hat sehr schöne Aktionen zur Willkommenskultur, als Zeichen von Solidarität gestartet. Aber auch die haben einen eigenen Unterstützerkreis, Patenschülerschaften aufgebaut. Von Anfang an hat das funktioniert.
DOMRADIO.DE: Jetzt kommen nach wie vor Menschen aus der Ukraine hier an. Werden Sie noch weitere Schülerinnen aus der Ukraine aufnehmen?
Kühling: Wir haben uns damals ganz am Anfang dazu entschlossen zu sagen, dass wir keine "Deutsch als Fremdsprache"-Klasse einrichten, die altersgemischt ist und die dann am Ende nach Sprachunterricht die Schülerinnen verteilt, sondern diesen anderen Weg zugehen. Deswegen können wir nur in einem sehr begrenzten Rahmen aufnehmen. Wenn wir eine Klassenstufe haben, wo eine Klasse etwas kleiner als die Parallelklasse ist und noch zwei, drei Sitzplätze in der Klasse frei sind, dann können wir aufnehmen.
Aber die Stufe Acht ist bei uns zum Beispiel ganz problematisch. Da sind die Klassen manchmal noch größer. Da können wir es dann nicht machen. Die Kapazitätsgrenzen, die wir jetzt schon erreicht haben, ist bereits ein Thema in den Klassen.
Beim Aufnahmeverfahren in die Oberstufe haben wir hingegen positive Erfahrung sammeln können. Aber bald ist auch da unsere Grenze schon erreicht, kann ich sagen.
DOMRADIO.DE: Die geflüchteten Schülerinnen haben viel hinter sich. Den Krieg in ihrer Heimat, die Flucht. Wie sehr belastet sie das im Schulalltag? Was bekommen Sie mit?
Kühling: Ich glaube, dass sie jetzt im Schulalltag einfach ein Stückchen Struktur haben und auch sehr damit beschäftigt sind, diese Struktur für sich erfahrbar zu erleben, ohne dass sie das Geschehene direkt erzählen. Wir sind sehr behutsam, glaube ich, in den Aufnahmegesprächen, mit dem, was erlebt worden ist. Das ist auch sehr, sehr unterschiedlich.
Es ist sehr unterschiedlich, ob eine Schülerin ganz alleine den Fluchtweg hat antreten müssen und hierher finden müssen, oder ob eine jüngere Schülerin, begleitet von der Mutter, mit dem Auto fliehen konnte und hier sogar auch Verwandtschaft hat, wo sie angedockt hat und vielleicht sofort Unterkunft gefunden hat.
Die Unterbringungen sind ja auch unser Thema, unser Auftrag. Da sind wir ganz gut vernetzt, versuchen zu helfen. Wir versuchen in allen Bereichen zu helfen und das muss man von Fall zu Fall, glaube ich, auch betrachten.
Das Interview führte Hannah Krewer.