DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie das denn als junge jüdische Frau in Deutschland? Spielt Antisemitismus in Ihrem Leben auch eine Rolle?
Ariella Dumesch (Studentin und Leiterin des Jugendzentrums der Synagogengemeinde Köln): Antisemitismus spielt bei jeder jüdischen Person mehr oder weniger eine Rolle, ganz egal, wo sie wohnt. Ich persönlich erlebe Antisemitismus nicht im aggressiven Sinne. Falls er mir begegnet im Alltag, dann weiß ich, wie ich damit umzugehen habe.
DOMRADIO.DE: Wie reagieren Sie denn dann?
Dumesch: Es kommt ganz auf den Kontext an, wer diese Person ist. Was der Bildungsstatus der Person ist. Und dann weiß ich auch, wie ich adäquat antworten kann.
DOMRADIO.DE: Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Dumesch: Die meisten machen es unbewusst. Was mir persönlich jetzt im Alltag begegnet, ist ein eher unterschwelliger Antisemitismus. Man wollte es ja gar nicht so sagen, aber man sagt es dann trotzdem. Oder Unwissenheit. Letztes Jahr ein Projekt, wo viele verschiedene Schulklassen ins Jugendzentrum gekommen sind zu einer Mitmach-Ausstellung. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich da komplett frei fühlen und mir auch alle möglichen Fragen stellen.
Ich habe bewusst gesagt, diese Fragen haben keinen Rahmen. Sie konnten wirklich alles fragen und sich frei fühlen. Natürlich waren einige Fragen vielleicht nicht ganz so korrekt, aber in diesem Moment habe ich dann den Kindern erklärt, was man sagen darf, was man nicht sagen sollte, weil die Person sich dann so und so fühlen würde. Da begegne ich dem Antisemitismus mit einer Bildungsaktivität. Und wenn es irgendwo auf der Straße ist, man was aufschnappt oder etwas gesagt bekommt, dann muss man eben anders reagieren.
DOMRADIO.DE: Wie haben denn die Schüler reagiert, wenn sie aufgeklärt wurden. Dankbar?
Dumesch: Man sagt mir nicht: "Danke, dass du mich jetzt hier belehrst". Aber man sieht den Kindern oder den Personen dann an, dass sie tatsächlich Dinge nicht gewusst haben vorher und dass sie dann das mit übernehmen für die Zukunft.
DOMRADIO.DE: Hat der Antisemitismus mit den Jahren zugenommen?
Dumesch: Ich würde nicht sagen, dass er zugenommen hat, sondern dass die Menschen einfach mutiger geworden sind, ihn zu äußern, ihn offener zu zeigen. Antisemitismus war immer da. Meine Oma sagt, seitdem es Juden auf der Welt gibt, gibt es auch Antisemiten. Da kann man nichts dagegen tun. Egal wie viele Projekte man auch hat, egal wie viel interreligiösen Dialog man führt, es wird immer Antisemitismus in der Welt geben.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen hatten also schon immer so eine Haltung. Aber jetzt in den letzten Jahren sind Sie mutiger geworden, diese Haltung auch zu äußern?
Dumesch: Absolut.
DOMRADIO.DE: Am Kippa-Tag tragen Männer in Wuppertal aus Solidarität mit jüdischen Mitbürgern heute öffentlich die Kippa. Sind solche Aktionen sinnvoll?
Dumesch: Diese Medaille hat zwei Seiten. Auf der einen Seite ist es schön, dass es solche Aktionen gibt. Auf der anderen Seite: Man zeigt so Solidarität mit einer Religionsgruppe. Ich als Jüdin verstecke mich in Deutschland nicht. Ich bin stolz, jüdisch zu sein.
Wenn ich auf die Straße gehe, dann ziehe ich meinen Davidsternkette an oder auch nicht. Das kommt auf meine Laune an. Aber ich ziehe sie nicht aus Angst nicht an. Ich bin eine stolze deutsche Jüdin und Europäerin. Solidarität zu zeigen, ist wunderbar. Es ist mit sehr viel Liebe verbunden und Akzeptanz. Aber man fühlt sich auch gleichzeitig dadurch anders.
DOMRADIO.DE: Da kann ich mir vorstellen, dadurch wird das Problem ja auch irgendwie sichtbar.
Dumesch: Genau. Ich bin hier in Deutschland geboren. Vielleicht ist meine Mentalität nicht ganz so deutsch, aber ich bin Deutsche. Ich fühle mich deutsch. Und als Jüdin abgestempelt zu werden, ist halt so eine Sache. Ja, ich bin jüdisch. Ich habe kein Problem damit, das öffentlich zu zeigen und zu sagen. Aber man ist doch so viel mehr als nur jüdisch oder ein Jude oder eine Jüdin.
Man hat noch viele andere Eigenschaften als Mensch, viele Interessen. Die Erfahrung, die ich bis jetzt gemacht habe ist, nur weil man jüdisch ist, interessiert sich die Menschen speziell dafür und nicht für den ganzen Menschen. Man wird auf das Jüdischsein reduziert. Ich soll dann über meine jüdische Seite sprechen und wie ich mich als Jüdin fühle. Man fühlt sich oft automatisch abgestempelt, in eine Schublade gesteckt. Obwohl man ja einfach nur eine Bürgerin der Gesellschaft ist und seinen Teil dazu beiträgt, etwas Gutes für die Gesellschaft zu tun.
Das Interview führte Florian Helbig.