DOMRADIO.DE: Der Satz "Wir schaffen das" wird in diesen Tagen wieder heftig diskutiert. Wie verfolgen sie diese Diskussion?
Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte des Caritas Diözesanverbandes des Erzbistums Köln): Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das weinende Auge ist natürlich in der Flüchtlingspolitik in den letzten zwei Jahren enorm groß, weil einfach auf Kosten einer kleinen Minderheit Politik gemacht wird. Das ist einfach schlimm. Mit einem lachenden Auge, weil wir in drei Jahren enorm viel geschafft haben und wir uns gerade auch in einem Umbruch befinden. Ich glaube, wir werden auch nochmal ganz viel schaffen.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal zurück. Wie ist denn eigentlich die "Aktion Neue Nachbarn" entstanden? Was war der Auslöser?
Porsch: Der Auslöser war ein Brief an die Gemeinden von Kardinal Woelki. Er rief in dem Brief dazu auf, den neuen Menschen, die hier in Deutschland ankommen, Heimat zu geben und zu bieten – und zwar auch in den Kirchengemeinden selbst. Er sagte, es ist Aufgabe jeder einzelnen Gemeinde die Willkommenskultur für Zugewanderte zu stärken. Um das nicht nur bei einem Wortbekenntnis zu lassen, hat er damals schon einen Fonds eingerichtet und explizit Geld zur Verfügung gestellt. Somit haben Gemeinden und Engagierte hier im Erzbistum Köln die Möglichkeit, an verschiedenen Punkten die Willkommenskultur zu stärken. Heute sind wir bei einer Integrationskultur. Es arbeiten mindestens genauso viele Menschen an verschiedenen Stellen daran, die Integrationskultur im Erzbistum zu stärken.
DOMRADIO.DE: Die "Aktion neue Nachbarn" ist also durchaus eine Erfolgsgeschichte – kann man das so sagen?
Porsch: Ja, das würde ich so sagen. Es ist immer noch wahnsinnig beeindruckend, wie vielfältig das Engagement der letzten Jahre war und was eigentlich alles möglich gemacht worden ist. Es gab verschiedenste Willkommens-Cafés von Gemeindemitgliedern und es gibt viele Verantwortliche in den Gemeinden, die Integrationsprojekte angeleiert haben. Es wird mit Menschen mit Migrationshintergrund eng und intensiv zusammengearbeitet. Da ist viel in Bewegung geraten.
DOMRADIO.DE: Haben Sie denn das Gefühl, dass die "neue Nachbarschaft" funktioniert, sodass sich Geflüchtete auch wirklich integriert fühlen?
Porsch: Das Gefühl habe ich schon. Das ist natürlich etwas, das nicht von heute auf morgen geschieht, sondern das braucht Zeit. Damit sind wir noch lange nicht am Ende der Fahnenstange angekommen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass es an vielen Stellen auch schon gut gelungen ist. Derzeit fährt ein Foodtruck durch das Erzbistum, der EAT&GREET-Foodtruck, der noch mal zeigen soll, dass Vielfalt nicht nur unseren Esstisch, sondern auch unsere Gesellschaft bereichert. Da stehen Geflüchtete zusammen mit Menschen aus Gemeinden, Ehrenamtskreisen und Willkommensinitiativen hinterm Tresen. Da ist Begegnung konkret möglich.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie die Diskussionen um die Vorkommnisse in Chemnitz verfolgen, erfüllt Sie der zunehmende Nationalismus mit Sorge?
Porsch: Das erfüllt mich mit Sorge. Das erfüllt auch alle Ehrenamtlichen und Engagierten mit großer Sorge. Und das nicht erst seit gestern. Sie werden manchmal auch selber schon angegriffen oder eben für ihr Engagement in Frage gestellt. Auf der anderen Seite ist hier katholische Kirche stark: Die Engagierten sagen, sie fühlen sich durch das Engagement im Erzbistum Köln, durch das Engagement von Kardinal Woelki wirklich bestärkt. Dadurch erfahren sie den Rückhalt in der Öffentlichkeit, den sie in der Politik so sehr vermissen. Ja, es macht große Sorge, aber es ist auch toll zu sehen, wie zum Beispiel die 10.000 Engagierten und Ehrenamtlichen, die es immer noch im Bistum gibt, sich aktiv gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus stellen.
DOMRADIO.DE: Wenn wir nach vorne schauen: Was wollen Sie noch schaffen mit der Aktion?
Porsch: Integration in den verschiedensten Feldern. Wir sind schon stark in der Arbeitsmarktintegration. Aktuell gibt es schon 325 Job-Patenschaften, die sie sich in der direkten Begegnung zwischen Geflüchteten und den sogenannten "Mentees" um Integration im Arbeitsmarkt bemühen. Und da geht noch mehr. Gerade wo heute eine OECD-Studie nochmal herausgestellt hat, dass Frauen mit Fluchtgeschichte der Zugang zum Arbeitsmarkt schwerer fällt, können wir uns in Deutschland noch gut aufstellen. Im Bereich Schule passiert auch schon viel, dort kann aber auch noch mehr passieren, damit Geflüchtete in Bildung und Arbeit kommen. Das sind die hauptsächlichen Herausforderungen. Erzbischof Heße hat mal das als "Frischzellenkur" ausgedrückt, was durch die Flüchtlingshilfe in den letzten Jahren geschehen ist.
Das Gespräch führte Dagmar Peters.