Wie feiert man Karneval in Kriegszeiten?

Lachsalven in einer ver-rückten Welt 

Als sich die Deutschen im Weltkrieg befanden, fiel der Karneval aus. Im Golfkrieg 1991 gab es keinen Rosenmontagszug, ebenso wenig wie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Ist das angemessen? 

Autor/in:
Andreas Öhler
Eine kostümierte Demonstrantin während einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am Rosenmontag, den 28. Februar 2022, in Köln. / © Theodor Barth (KNA)
Eine kostümierte Demonstrantin während einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am Rosenmontag, den 28. Februar 2022, in Köln. / © Theodor Barth ( KNA )

Als im Februar 1991 wegen des ersten Golfkrieges die Rosenmontagszüge abgesagt wurden, schimpfte ein Bonner Jeck, dieser Krieg werde "auf dem Rücken der Bonner Karnevalisten ausgetragen". Was für eine närrische Verzerrung der Perspektive, dachte man damals noch.

Die Unverhältnismäßigkeit, mit der da ganz offenkundig zwei Welten zueinander in Beziehung gesetzt wurden, zeigte, dass nicht nur Krieg, sondern auch der Karneval und Fasching Ausnahmezustände sind, in denen die Wahrnehmung außer Rand und Band gerät. In der fünften Jahreszeit und im Krieg wird der Focus auf die Welt im buchstäblichen Sinne ver-rückt. 

Krieg versteht keinen Spaß

Krieg und Lachen sind angeblich nicht vereinbar miteinander. Der Krieg versteht schließlich keinen Spaß. Und mit dem Tod und Leid der Menschen ist nicht zu spaßen. Im 20. Jahrhundert wurden in Deutschland karnevalistische Umtriebe fast zwei dutzend Mal verboten. 

So wurde im Ersten Weltkrieg 1915 eine Order erlassen, die den Ausschank von Branntwein, Versammlungen und Sitzungen verbot. Sowohl das Tragen von Kostümen und Verkleidungen wurde untersagt als auch das Absingen von Liedgut "karnevalistischen oder lustigen Inhaltes". Sogar der Verkauf von Luftschlangen und Konfetti wurde nicht erlaubt.

Karneval hat subversives Protestpotenzial 

Wenn eine - überdies preußisch geprägte - Militärverwaltung gegen den rheinischen Frohsinn aufmarschiert, geht das aus wie das Hornberger Schießen. Der Karneval ist im Gen-Code des Rheinlandes tief eingeschrieben. Seit der Napoleonischen Besetzung und dem nachrückenden Preußen besitzt er ein subversives Protestpotenzial.

Eine Frau schwenkt die Nationalflagge der Ukraine bei einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am Rosenmontag, dem 28. Februar 2022 in Köln. Vor ihr weht eine Friedensfahne in Regenbogenfarben. / © Theodor Barth (KNA)
Eine Frau schwenkt die Nationalflagge der Ukraine bei einer Demonstration gegen den Krieg in der Ukraine am Rosenmontag, dem 28. Februar 2022 in Köln. Vor ihr weht eine Friedensfahne in Regenbogenfarben. / © Theodor Barth ( KNA )

Die Travestie mit militärischen Uniformen, der karikierende Umgang mit geistlichen, weltlichen und militärischen Autoritäten stellen in den tollen Tagen die Machtverhältnisse auf harmlose und spielerische Weise auf den Kopf. Das Unterste wird nach oben gekehrt, bis mit dem Aschermittwoch den Jecken der Narr ausgetrieben wird. 

Zerbeulte Krönchen zurechtrücken

Wenn nun die Verspottung militärischer Uniformen mit Uniformen mit einem realen Krieg konfrontiert wird, der die Menschen direkt betrifft, versagt jede Persiflage. Im Zweiten Weltkrieg lagen die Schlachtfelder nicht fernab, sondern der Krieg wurde in die Stadt getragen. Karnevals- und Fastnachtshochburgen lagen in Schutt und Asche.

Der Frohsinn kroch dennoch vergleichsweise früh, bereits 1946 wieder aus den Trümmern. Jecken und Narren klopften sich den Steinstaub von den Kleidern und rückten das zerbeulte Krönchen zurecht. Man feierte zunächst einmal, dass man überlebt hatte. Ein Anfang. 

Der Krieg, unter dem man nicht unmittelbar leidet, nötigt uns weniger Empathie ab, wie wenn wir davon direkt betroffen sind. Niemand hat das besser formuliert als Johann Wolfgang Goethe im Osterspaziergang des Dr. Faustus:

"Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei / Wenn hinten, weit, in der Türkei / die Völker aufeinander schlagen / Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus / Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten / Dann kehrt man abends froh nach Haus."

Die Welt ist näher zusammengerückt

Der Jugoslawienkrieg 1990 und der erste Golfkrieg waren entlegen genug, dass sich unsere Empörung über dessen Folgen bei uns noch Luft machen konnte. Doch in den vergangenen 30 Jahren ist die Welt näher zusammengerückt.

Durch unsere vermehrte Reisetätigkeit und den täglichen Umgang mit einer Bilderflut aus dem Netz gibt es keine wirklich entlegenen Orte mehr. Die Erde wird "wegelos", wie es der Philosoph Günther Anders in seinem Hauptwerk "Die Antiquiertheit des Menschen" formulierte.  

Die Geschehnisse in der Ukraine gehen uns besonders nahe. So nahe, dass der Kölner Rosenmontagsumzug 2022 in eine Friedensdemonstration umgewandelt wurde: in Jecken-Kostümen den "Zoch"-Weg entlang. Dieses Jahr feiert der Kölner Karneval sein 200-jähriges Jubiläum. Daran ist nichts zu beanstanden. Günther Anders liefert im Grunde die Begründung: "Je ernster die Lage, umso ernster kann die Funktion des Unernstes werden." 

Quelle:
KNA