Am Anfang gab es nur Gewinner. Als Papst Franziskus am 1. Juli 2023 seinen engen Vertrauten Victor Fernandez zum obersten Glaubenshüter im Vatikan ernannte, war die Freude groß. Nicht nur in Rom, sondern auch im argentinischen Erzbistum La Plata, das Fernandez seit 2018 leitete. Die Gründe waren allerdings unterschiedlich.
Franziskus freute sich, dass es ihm gelungen war, seinen Landsmann und jahrelangen Ghostwriter für die wichtige Position an der Spitze des Glaubensdikasteriums zu gewinnen. Fernandez selbst freute sich über den Aufstieg vom Erzbischof zum Kurienkardinal. In La Plata indes überwog die Freude über die Chance auf einen Neuanfang. Laien und Priester der konservativ geprägten Metropolie, das ist kein Geheimnis, fremdelten mit ihrem reformorientierten Erzbischof. Ein Nachfolger mit etwas mehr Stallgeruch, so die Hoffnung vieler, würde besser passen als jemand, der gewagte Bücher über Küsse und Orgasmen schreibt.
Tatsächlich fand der Papst eine zunächst überzeugende Lösung: Er besetzte den drittwichtigsten Bischofssitz Argentiniens in der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires mit einem gewissen Gabriel Mestre. Mitte September trat der 55-Jährige dort seinen Dienst an. Obwohl er – wie Franziskus und Fernandez – als kirchenpolitischer Reformer gilt, wusste der neue Erzbischof auf Anhieb mit den Katholiken in La Plata umzugehen. Ebenso funktionierte die Zusammenarbeit mit dem Klerus von Beginn an reibungslos.
Stein des Anstoßes in Mar del Plata
Die Probleme begannen an anderer Stelle: im kleineren Bistum Mar del Plata, das Mestre sechs Jahre lang erfolgreich geleitet hatte. Dort galt es ebenfalls, einen geeigneten Nachfolger zu finden. Der scheidende Bischof, das ist sicher, hätte allzu gerne seinen Generalvikar Luis Alboniga als neuen Bischof gesehen. Doch daraus wurde nichts. Franziskus' Wahl fiel auf Jose Maria Balina, bis dahin Weihbischof im Erzbistum Buenos Aires.
Von nun an kippten die Dinge ins Kuriose. Der neu ernannte Bischof von Mar del Plata trat sein Amt nicht an, sondern machte im Dezember einen Rückzieher. Als er nach seiner Ernennung eine "Lawine von Glückwünschen" erhalten habe, sei ihm bewusst geworden, dass er der Aufgabe nicht gewachsen sei, teilte der Geistliche überraschend mit. Er leide unter einer Netzhautablösung und habe sich mehreren Operationen unterziehen müssen. Hinzu kämen persönliche und familiäre Probleme. Es tue ihm leid, die Erwartungen so vieler Menschen enttäuschen zu müssen, hieß es in einer Erklärung.
In der vakanten Diözese wollte man die Gelegenheit laut örtlichen Medienberichten nutzen, um dem beliebten Generalvikar Alboniga doch noch zum Bischofsamt zu verhelfen. Eine einflussreiche Lobbygruppe rund um den ehemaligen Ortsbischof Mestre stellte den Übergangsleiter als charismatischen Menschenfischer und exzellenten Prediger dar, der die Kirchenbänke fülle. Aber Franziskus berief erneut einen anderen Kandidaten: diesmal Gustavo Larrazabal, bis dato Weihbischof in San Juan de Cuyo. Die Alboniga-Fürsprecher fühlten sich abermals vor den Kopf gestoßen.
Offener Machtkampf
In der Folge entspann sich ein offener, über die Medien ausgetragener Machtkampf, der zusehends hässlicher wurde. Über die Tageszeitung "La Capital" wurden gezielt Bedenken hinsichtlich der Eignung Larrazabals gestreut. In einem Artikel warf man ihm Belästigung und Amtsmissbrauch in früheren Jahren vor. Der Vatikan nahm den Beschuldigten zwar in Schutz, doch es half nichts. Larrazabals Ruf war derart ramponiert, dass auch er noch vor Amtsbeginn "nach einem sehr gewissenhaften Prozess der Unterscheidung und des Gebets" zurücktrat.
Franziskus reagierte verärgert und ging zum Gegenangriff über. Im Januar installierte er in Mar del Plata einen eigenen Vertrauten als Übergangsleiter und schickte Alboniga in die Wüste – in das rund 2.000 Kilometer entfernte Bistum Jujuy. Zudem ließ er eine Untersuchung eröffnen, die klären soll, welche Rolle der Generalvikar in den vergangenen Monaten spielte. Ist die Intrige gegen Larrazabal womöglich direkt auf ihn zurückzuführen?
Der Konflikt geriet im weiteren Verlauf vollends außer Kontrolle. Inmitten von Gottesdiensten in Mar del Plata kam es zu aufsehenerregenden Protestaktionen für eine Rückkehr Albonigas – ein Novum in der Geschichte der Diözese. Ende Mai erreichte der Streit seinen vorläufigen Höhepunkt. Gabriel Mestre, der populäre neue Erzbischof von La Plata, wurde nach Rom zitiert, um Rechenschaft abzulegen über die Lage in seinem früheren Bistum.
Neuer Erzbischof muss wieder gehen
In dem Gespräch bekam er den ganzen Unmut des Papstes zu spüren. Dem Vernehmen nach warf Franziskus ihm vor, im Hintergrund als Strippenzieher gewirkt zu haben. Einige Tage später ließ Mestre seine Anhänger schriftlich wissen: "Nach Konfrontation mit einigen unterschiedlichen Auffassungen darüber, was in der Diözese Mar del Plata seit November 2023 bis heute geschehen ist, hat mich Papst Franziskus gebeten, vom Amt des Erzbischofs von La Plata zurückzutreten."
Aus Gehorsam gegenüber dem Heiligen Vater habe er den Rücktritt sofort unterschrieben. "Es schmerzt mich zu gehen", so Mestre. Er sei in den wenigen Monaten in La Plata "sehr glücklich" gewesen. In emotionalen Abschiedsworten fügte er hinzu: "Danke, dass ich mich bei Euch zu Hause fühlen durfte!"
Das entstandene Personal-Chaos sorgt in Argentinien für Unverständnis und Empörung. Immer mehr prominente Stimmen melden sich zu Wort, die für Mestre Partei ergreifen. Friedensnobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel schickte dem Papst eigens einen Brief, in dem er schrieb: "In Zeiten der Ungewissheit, inmitten von Licht und Schatten ist Gabriel ein Licht, das wir brauchen, um Verstand und Herz unserer Kirche und der Menschen zu erreichen."
Alterzbischof holt gegen Papst und Kardinal aus
Hector Aguer, Alterzbischof von La Plata, holte in der Zeitung "La Prensa" gar zum verbalen Rundumschlag gegen Franziskus und Kardinal Fernandez aus. Letzteren beschrieb er indirekt als inkompetent, die Entscheidungen des Papstes als "merkwürdig". Mestre habe in den etwas mehr als acht Monaten Amtszeit gezeigt, dass er schaffen könne, wozu Fernandez nicht in der Lage gewesen sei. Der 81-jährige Aguer betonte: "Ich weiß, wovon ich spreche: Ich war zwei Jahrzehnte lang Erzbischof von La Plata."
Am Ende gehen aus dem verworrenen Szenario nur Verlierer hervor. Nach drei überraschenden Bischofsrücktritten und viel bösem Blut muss sich der Papst Kritik gefallen lassen an seiner Personalpolitik. Fernandez, der wegen eines umstrittenen Dokuments zur Homosexuellen-Segnung ohnehin unter Beschuss steht, muss derweil zusehen, wie seine Kompetenz öffentlich infrage gestellt wird. Und mit Mestre ist ausgerechnet ein Erzbischof geschasst worden, der es verstand, Konservative und Reformer gleichermaßen hinter sich zu scharen. Eine Fähigkeit, die in der katholischen Kirche in diesen Tagen mehr gebraucht wird denn je.