Wie gehen ukrainische Kirchen mit dem Krieg um?

"Eine immer tiefere Kluft"

Auf welcher Seite stehen die Christen? Die verschiedenen Konfessionen der Ukraine finden sich auf unterschiedlichen Seiten des Ukraine-Krieges. Wie gehen die Glaubensgemeinschaften damit um? Ein erklärender Gastbeitrag.

Autor/in:
Andriy Mykhaleiko
Gottesdienst mit Metropolit Epiphanius / © Sergey Korovayny (KNA)
Gottesdienst mit Metropolit Epiphanius / © Sergey Korovayny ( KNA )

Ein Gastbeitrag von Andriy Mykhaleiko vom "Collegium Orientale" in Eichstätt.

Die kirchliche Landschaft in der Ukraine ist ein Spiegelbild der pluralen Struktur der ukrainischen Gesellschaft. Genauso wie in Russland und Belarus gehört die Mehrheit der glaubenden Menschen im Land dem orthodoxen Bekenntnis an. 2021 bezeichneten sich 60 Prozent der befragten Gläubigen in der Ukraine als orthodox. Anders als in Russland und Belarus stellt aber die Orthodoxie im ukrainischen Staat kein monolithisches Gebilde dar. Bis Dezember 2018 war sie in drei und seit Anfang 2019 in zwei Gruppen gespalten:

  • die Ukrainische Orthodoxe Kirche in kanonischer Verbundenheit mit dem Moskauer Patriarchat (UOK MP), die von der Gemeindezahl die größte Gruppe (etwa 12.400 Gemeinden) ist;
  • die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) mit etwa 6.500 Gemeinden.

Neben den Orthodoxen bilden die Katholiken die zweitgrößte Gruppe, die durch drei Kirchen repräsentiert wird:

  • die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche (UGKK) und die Griechisch-Katholische Eparchie Mukachevo (8,8 Prozent) mit etwa 4.000 Gemeinden
  • die Römisch-Katholische Kirche (0,8 Prozent) mit etwa 900 Gemeinden

Der Anteil der Vertreter/innen von verschiedenen Zweigen des Protestantismus liegt bei 1,5 Prozent.

Zugehörigkeiten der Konfessionen

Die "Ukrainische Orthodoxe Kirche in kanonischer Verbundenheit mit dem Moskauer Patriarchat" ist nach der Gemeindezahl die größte Kirche in der Ukraine. Sie ist mit der Russisch-Orthodoxen Kirche und dem Patriarchen Kyrill in Moskau kanonisch verbunden, hat aber innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche einen autonomen Status und kann sich weitgehend selbstständig verwalten. 

Die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" entstand aus der Fusion der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kyiver Patriarchates und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche. Beide wurden lange Zeit nicht anerkannt und galten bis 2019 in der Weltorthodoxie als nicht kanonisch, d.h. sie hatten keine kirchliche Gemeinschaft mit den anderen Orthodoxen Kirchen. Im Januar 2019 bekam die OKU die Anerkennung ihrer Autokephalie von Patriarchen Bartholomäus von Konstantinopel, dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie.  Diese Anerkennung der OKU führte zum Bruch der Kirchengemeinschaft zwischen Konstantinopel und Moskau, weil die Russisch-Orthodoxe Kirche die Ukraine für ihr kanonisches Territorium hält. Die Russisch-Orthodoxe Kirche glaube das Recht zu besitzen, über jegliche Angelegenheiten der ukrainischen Orthodoxie entscheiden zu dürfen. Die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" wird heute nur von einem Teil der Orthodoxen Kirchen anerkannt.

Die "Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche": Die Geschichte dieser Kirche ist mit der Union von Brest (1595/96) verbunden. Damals hatte sich die Mehrheit des Episkopats der Kiewer orthodoxen Metropolie im Polnisch-Litauischen Reich, die bis dahin ein Teil des Patriarchates von Konstantinopel war, entschlossen, mit der römischen Kirche eine Union einzugehen. Die Kirche wird heute von einem Großerzbischof geleitet, feiert ihre Gottesdienste genauso wie die Orthodoxen, im byzantinischen Ritus. Der wesentliche Unterschied zu den orthodoxen Kirchen besteht in der Anerkennung des Papstes von Rom als Oberhaupt der Katholischen Kirche.

Kirchliche Positionen im Krieg zwischen Russland und der Ukraine

Bereits Wochen zuvor und auch unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" und die "Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche" in mehreren Stellungnahmen zur bedrohlichen Lage in der Ukraine geäußert, die russische Vorgehensweise und militärische Machtspiele entlang der ukrainischen Grenze verurteilt und sich mit dem ukrainischen Staat solidarisiert. Diese Positionen waren zu erwarten, denn schon früher vertraten beide Kirchen eine klare proukrainische Richtung.

Die "Ukrainische Orthodoxe Kirche in kanonischer Verbundenheit mit dem Moskauer Patriarchat" hielt sich bis zum russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eher zurück. Es scheint, dass manche ihrer Vertreter sich eine russische Invasion nicht vorstellen konnten, diese sprachen sogar davon, der Krieg nur im Fernsehen und im Internet geführt werde und es keine echte Gefahr bestünde. Aber bereits in den ersten Stunden nach dem Überfall auf die Ukraine meldete sich Metropolit Onufrij, der Vorsteher der "Ukrainischen Orthodoxe Kirche in kanonischer Verbundenheit mit dem Moskauer Patriarchat", in einer Stellungnahme zu Wort und verurteilte schärfstens den Krieg Russlands gegen die Ukraine. In seinem Appell verwarf er den "Bruderkrieg" zwischen dem ukrainischen und dem russischen Volk, der mit keinen Argumenten zu rechtfertigen sei. Zugleich sprach er sich für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und für die Unterstützung der ukrainischen Armee aus. Am Montag, dem 28. Februar, erschien eine Erklärung der Bischofsversammlung dieser Kirche mit einem weiteren dringenden Appell an den Moskauer Patriarchen Kyrill mit Bitte um dessen Wort, was man als Forderung zu einer Positionierung in diesem Krieg verstanden werden kann, damit das "brudermörderische Blutvergießen" in der Ukraine aufhöre.

Ganz andere Töne sind von Moskau zu hören. Die Russisch-Orthodoxe Kirche in der Person des Patriarchen Kyrill nimmt das Wort "Krieg" bis jetzt nicht in den Mund. Es gab bis heute keine ausdrückliche Verurteilung des "Bruderkrieges". Am 27. Februar rief Patriarch Kyrill dazu auf, Zivilopfer zu vermeiden und sprach von einem Kampf gegen die "Mächte des Bösen". Darunter müsste man die ukrainische Regierung und die Armee verstehen.

Eine Momentaufnahme macht offensichtlich, dass mit jedem Tag dieses Krieges nicht nur eine immer tiefere Kluft zwischen Ukrainern und Russen entsteht, sondern auch eine Kampflinie sich durch die Russisch-Orthodoxe Kirche abzeichnet. Der Patriarch Kyrill von Moskau steckt offensichtlich in der Zwickmühle. Er unterstützt die russische Vorgehensweise in der Ukraine. Zugleich befindet sich fast ein Drittel aller russisch-orthodoxen Gemeinden weltweit in der Ukraine, die für die Russisch-Orthodoxe Kirche zu verlieren einer Katastrophe gleichbedeutend wäre. Dieser Teil der Russisch-Orthodoxen Kirche segnet und unterstützt jene, die von ihrem Zentrum in Moskau als "Mächte des Bösen" bezeichnet werden.

 

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine

Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny (KNA)
Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
DR
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