Wie gehen US-Bundesstaaten mit dem Abtreibungsurteil um?

Ein Überblick von Alabama bis Wisconsin

Das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichts hat in den USA einen Flickenteppich an rechtlichen Regeln geschaffen. Die nun wieder zuständigen Gerichte in den Bundesstaaten werden mit Klagen überhäuft. Eine Übersicht.

Autor/in:
Bernd Tenhage
Eine Abtreibungsbefürworterin konfrontiert einen Abtreibungsgegner / © Alexandra Wimley (dpa)
Eine Abtreibungsbefürworterin konfrontiert einen Abtreibungsgegner / © Alexandra Wimley ( dpa )

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich noch während der Lektüre dieses Textes irgendwo in den USA wieder einmal das Abtreibungsrecht ändert. Das hat damit zu tun, dass nach Aufhebung der fast ein halbes Jahrhundert geltenden liberalen Rechtsprechung durch das Oberste Gericht Ende Juni nun wieder die Einzelstaaten zuständig sind

In Arizona, Oklahoma, Michigan, West Virginia und Wisconsin hat dies dazu geführt, dass Abtreibungsverbote aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert plötzlich wieder Gesetzeskraft erhielten. In einigen Fällen blockierten Klagen mit einstweiligen Verfügungen vorläufig ein Inkrafttreten, in anderen klagten Staaten für die Aufhebung früherer Blockaden.

Hinzu kommen sogenannte "Trigger-Bans", die automatisch ein von den Parlamenten der betreffenden Bundesstaaten bereits früher beschlossenes Abtreibungsverbot in Kraft setzen.

US-Grundsatzurteil zu Abtreibung "Roe gegen Wade"

Im Grundsatzurteil "Roe gegen Wade" (Roe versus Wade) entschied der Oberste Gerichtshof der USA am 22. Januar 1973, dass staatliche Gesetze, die Abtreibungen verbieten, gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen. Seither sind in den meisten US-Bundesstaaten Abtreibungen nahezu uneingeschränkt möglich.

Oberstes US-Gericht kippt liberales Abtreibungsrecht / © Steve Helber/AP (dpa)
Oberstes US-Gericht kippt liberales Abtreibungsrecht / © Steve Helber/AP ( dpa )

Als erster Bundesstaat nach dem Ende des Grundsatzurteils "Roe v. Wade" aus dem Jahr 1973 beschloss das Parlament von Indiana vergangene Woche ein Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche nur bei Vergewaltigung, Inzest oder einer Gefahr für das Leben der Mutter erlaubt. In Kansas scheiterte überraschend mit großer Mehrheit ein Verfassungsreferendum, das ähnliche Restriktionen ermöglicht hätte.

Abtreibungskliniken Betrieb eingestellt

Nach derzeitigem Stand sind Schwangerschaftsabbrüche in elf Staaten weitgehend verboten. Dazu gehören Alabama, Arkansas, Indiana, Kentucky, Louisiana, Missouri, Mississippi, Oklahoma, South Dakota, Texas und Wisconsin.

In der Folge haben in den betroffenen Staaten 43 Abtreibungskliniken den Betrieb eingestellt. Alle Staaten werden republikanisch regiert und liegen geografisch im Süden, Mittleren Westen oder Südwesten der USA.

Experten erwarten, dass innerhalb der kommenden Monate etwa die Hälfte der Bundesstaaten Abtreibungsverbote beschließen werden.

Darunter auch solche, in denen bisher noch eine Fristenregelung gilt.

Angeführt wird die Liste mit strengen Regelungen von Georgia, Ohio, South Carolina und Tennessee, in denen Frauen bis zur sechsten Woche straffreien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben. Zu diesem Zeitpunkt wissen Betroffene oft noch nicht, dass sie schwanger sind.

Eher vergleichbar mit den Fristen in Europa sind die Beschränkungen in Florida mit 15 Wochen, Iowa, Kansas, Nebraska, North Carolina erlauben den Abbruch nach 22 Wochen.

Alle anderen Bundesstaaten schreiben entweder die Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs als Grenze fest oder haben überhaupt keine Fristen im Gesetz stehen. Legal und gesetzlich geschützt ist der Zugang zu Abtreibungen in Alaska, Colorado, Illinois, Kalifornien, Maine, Maryland, Massachusetts, Minnesota, Nevada, New Jersey, New Mexico, New York, Oregon und Washington State.

Härtestes Abtreibungsverbot besteht in Mississippi

Anhängig vor Gericht oder in den jeweiligen Parlamenten sind Einschränkungen beim straffreien Zugang zur Abtreibung in Iowa, Michigan, Montana, Nebraska, North Carolina, Pennsylvania und Virginia. Mehr als die Hälfte der Amerikanerinnen leben in einem Bundesstaat, der keine oder erhebliche Restriktionen für die Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft vorsieht.

Eine Frau mit einem Schwangerschaftstest / © leoanna (shutterstock)
Eine Frau mit einem Schwangerschaftstest / © leoanna ( shutterstock )

Dazu gehören neben Verboten und Fristen verpflichtende Beratungen, lange Wartezeiten, Ultraschall-Untersuchungen, Benachrichtigung der Eltern von Minderjährigen, Verbot der Finanzierung von Abtreibungen durch Krankenversicherer, strikte Vorschriften für bestehende Kliniken und Zustimmung durch die Kindesväter.

Das härteste Abtreibungsverbot besteht in Mississippi, das keine Ausnahmen bei Inzest oder Vergewaltigung vorsieht. Das Austragen des Fötus nach einem Sexualverbrechen verlangen auch die Gesetzgeber in Idaho, North Dakota, South Carolina, Utah und Wyoming.

Betroffene, die in einem Bundesstaat mit Restriktionen beim Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen leben, haben drei Möglichkeiten.

Sie können in einen Bundesstaat reisen, der keine Beschränkungen hat und Abtreibungen von Patientinnen anderer Staaten erlaubt, oder führen den Abbruch selbstständig mit zugelassenen Medikamenten der bundesweiten Gesundheitsbehörde FDA durch - oder entscheiden sich, das Kind doch auszutragen.

Oberstes US-Gericht öffnet Weg für Abtreibungsverbote

Das oberste Gericht der USA ermöglichte den Bundesstaaten mit einem Urteil von Juni 2022 ein Verbot von Abtreibungen. Die Richter in Washington hoben das Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" auf, das im Jahr 1973 Abtreibungen zur Privatsache erklärte. Bisher hatte das Gericht demnach Abbrüche bis zur 24. Schwangerschaftswoche für rechtmäßig erklärt.

Abtreibungsrecht USA - Oberster Gerichtshof / © Mariam Zuhaib/AP (dpa)
Abtreibungsrecht USA - Oberster Gerichtshof / © Mariam Zuhaib/AP ( dpa )
Quelle:
KNA