Die Helfer an der Theke haben alle Hände voll zu tun, zu viele Leute gleichzeitig wollen Kuchen, Kaffee, Limonade oder frisch gebackene Crêpes bestellen. Im Mainzer Vorort Drais gab es bislang kein Café. Ausgerechnet die örtliche evangelische Gemeinde hat das geändert - und ihre Kirche zur "Cafédrale" umgebaut. "Wir öffnen die Kirche für den Stadtteil", sagt Pfarrer Christoph Kiworr.
Möglichst jeden Tag soll irgendetwas in dem zuletzt nur noch selten genutzten Gebäude geschehen. Sei es, dass Musiker hier Konzerte spielen, Selbstständige sich einen "Coworking Space"-Arbeitsplatz mieten oder eben die Nachbarschaft zum Kaffeeklatsch zusammenkommt.
Thema in ganz Deutschland
Überall in Deutschland stehen evangelische und katholische Gemeinden vor ähnlichen Herausforderungen: Die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpft kontinuierlich, die Kosten für den Unterhalt kirchlicher Immobilien steigen. In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, zu der die Gemeinde in Mainz-Drais gehört, soll der Gebäudebestand bis 2030 um ein Drittel reduziert werden.
Zwar stehen vor allem Pfarr- und Gemeindehäuser auf dem Prüfstand, doch auch der Fortbestand mancher Kirche dürfte früher oder später debattiert werden. Anderswo in der Bundesrepublik haben Bistümer und Landeskirchen schon lange damit begonnen, nicht mehr benötigte Sakralbauten aufzugeben.
Mittlerweile gibt es zahlreiche spektakuläre Beispiele für Umnutzungen: Im nordrhein-westfälischen Mönchengladbach wurde eine Kirche zur Klettersporthalle umgebaut, in Bielefeld können Gäste schon seit 2005 im Restaurant "Glückundseligkeit" speisen, wo davor griechisch-orthodoxe Gottesdienste gefeiert wurden. In Liebenau im Landkreis Kassel zog gar eine Gin-Brennerei in die frühere Kirche.
Café und Kathedrale zugleich?
In Mainz-Drais, einem eher wohlhabenden Stadtteil der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, wollte die Kirchengemeinde, die auch noch eine zweite Kirche im benachbarten Brennpunktviertel Lerchenberg besitzt, das Gebäude nicht einfach verkaufen und abgeben.
Die Idee hinter dem Umbau der Kirche zur "Cafédrale" ist einfach: Der Bau bleibt ein Sakralraum, hier finden im erneuerten Ambiente sogar weiter regelmäßige "Sofagottesdienste" statt, und auch die Orgel bleibt funktionsfähig. Aber daneben sollen viele andere Nutzer Leben in die Mauern bringen - und Geld in die Kasse.
Ostdeutschland als Vorreiter
Insbesondere in Ostdeutschland seien Mehrfachnutzungen von Kirchen schon seit vielen Jahren weit verbreitet, berichtet Elisabeth März von der Universität Leipzig: "Das Phänomen, die Kirche loswerden zu wollen, ist im Westen viel weiter verbreitet." Die Theologin untersucht als Mitglied einer interdisziplinären Forschergruppe zusammen mit Kunsthistorikern, Architekten und Fachleuten für Immobilienwirtschaft den Umgang mit Kirchengebäuden. Wenn sich Menschen für ihre Kirche engagierten, sei vieles möglich - und zwar nicht nur in Großstädten: "Kleine Dorfkirchen können als Identifikationspunkte wichtig werden."
Manche Gemeinden hätten ihre überdimensionierten Gebäude so umgebaut, dass mehrere Nutzer nebeneinander sie nutzen können. Manchmal gelinge es sogar, die Gemeinde vor Ort durch solche Umnutzungsprojekte wie die in Mainz zu stärken. Und selbst historische Kirchen seien nicht prinzipiell tabu für solche neuen Wege: "Das Vorurteil, die Denkmalpflege würde alles verhindern, hört man häufig, es ist aber oft unberechtigt."
Persönlich habe sie Schwierigkeiten mit rein kommerziellen Umnutzungen, bei denen eine Kirche "nur noch gegen Eintritt" betreten werden könne, gibt März zu bedenken: "Aus meiner Sicht muss der öffentliche Charakter ein Stück weit erhalten bleiben." Zur Wahrheit gehöre dabei aber auch, dass die Öffnung für Kulturangebote oder andere gemeinnützige Nutzer in der Praxis meist nicht ausreiche, um den Bau komplett ohne kirchliche Zuschüsse instand zu halten.