DOMRADIO.DE: Ist US-Präsident Joe Biden derart umstritten unter den Bischöfen? Diese könnten sich ja eigentlich freuen, dass ein Katholik an der politischen Spitze der USA steht.
Prof. Dr. Godehard Brüntrup (Jesuit und USA-Experte): Ich bin mir sicher, dass sich die Bischöfe in überwältigender Mehrheit freuen, dass ein Katholik Präsident ist. Allerdings ist die amerikanische katholische Kirche genauso wie die gesamte amerikanische Gesellschaft sehr stark in Lager zerstritten und geteilt. Das macht sich unter anderem an der Abtreibungsfrage fest. Die eine Gruppierung, die bisher auch die Mehrheitsmeinung hat und das Land bestimmt, verfolgt eine, auch für unsere deutschen Verhältnisse, sehr liberale Abtreibungspolitik. Die andere Gruppierung kritisiert den Status Quo und fordert mehr Grenzen bei der Abtreibung.
US-Präsident Joe Biden ist in der Demokratischen Partei, die eine sehr liberale Politik verfolgt, wo es vielleicht noch in der Theorie aber in der Praxis keinerlei Einschränkungen bei Abtreibungen gibt - weder vom Zeitrahmen noch von den Gründen her. Von daher sind einige Bischöfe der Meinung, dass man ihm nicht die Kommunion geben kann. Nicht weil er selber Auffassungen vertritt, die der katholischen Lehre widersprechen, sondern weil er politisch Auffassungen an der Macht hält, die der Lehre der katholischen Kirche widersprechen.
DOMRADIO.DE: Bei der jetzt beginnenden Herbst-Vollversammlung soll es ein Papier dazu geben. Was könnte das Papier beinhalten? Kann es überhaupt einen Konsens geben?
Brüntrup: Das Papier "Das Geheimnis der Eucharistie und das Leben der Kirche", was jetzt vorliegt, spricht nicht mehr direkt darüber, unter welchen Bedingungen oder geltenden Kriterien einem Katholiken die Kommunion verweigert werden kann. Das war ursprünglich in dem Entwurf von Juni drin. Da begann bereits der Streit zwischen den beiden Lagern in der Bischofskonferenz. Die jetzige Fassung ist ganz stark abgeschwächt und spricht gar nicht mehr über die ganz konkreten Kriterien, schon gar nicht über Biden selber.
Meine intuitive Auffassung ist, dass dieses Papier wahrscheinlich eine Mehrheit bekommen wird. Es sagt nur noch ganz allgemein, dass derjenige, der im Zustand der schweren Sünde lebt - oder wie man früher gesagt hat, der Todsünde - erst beichten soll, bevor er die Kommunion empfängt. Aber sehr viel spezifischer wird dieses Dokument nicht mehr und hebt einfach hervor, wie wichtig die Eucharistie für das Leben der Kirche ist.
DOMRADIO.DE: Der Missbrauchsskandal in den USA ist durch das Rechtssystem eine besondere Bedrohung für die Bistümer. Wie diskutieren die Bischöfe das Thema im Verhältnis zu den Bischöfen in Deutschland?
Brüntrup: Die katholische Kirche in den USA hat diese Missbrauchskrise gut zehn Jahre vor der deutschen Kirche dramatisch erlebt. Man kann sagen, dass sie auch in der Aufarbeitung ein Stück weiter sind als die deutsche Kirche. Aber gerade auf der Ebene der Hierarchie, das haben wir in den letzten Jahren erlebt, sind noch Fragen offen. Wer trägt die Verantwortung? Welche hochrangigen Kirchenvertreter, Kardinäle waren vielleicht involviert oder haben zu wenig getan? Das ist auch in den USA noch die aktuelle Frage.
In den letzten Tagen wurden allerdings ganz neue Zahlen veröffentlicht, wo auch von unabhängigen Organisationen gemessen wird, wie viel glaubwürdige Anklagen es noch pro Jahr in der katholischen Kirche für sexuellen Missbrauch gibt. Und das sind auf das ganze Land gesehen, was ja riesig ist in der Menge der katholischen Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, mittlerweile nur noch eine Handvoll von Fällen pro Jahr, wo man glaubhaft einen Verdacht hat, dass ein katholischer Priester oder Mitarbeiter der katholischen Kirche sexuellen Missbrauch begangen hat.
Jeder einzelne Fall ist definitiv ein Fall zu viel. Aber die katholische Kirche ist im Vergleich zu vielen anderen Organisationen auf dem Weg, eine sehr sichere Organisation für Kinder zu sein. Von daher würde ich sagen, ist die katholische Kirche in den USA mutig einen Weg gegangen. Sie ist ein paar Jahre weiter als die deutsche, aber ist noch lange nicht am Ende. Da bleibt noch viel Arbeit zu tun.
Das Interview führte Tobias Fricke.