DOMRADIO.DE: "Pray", "Meet", "Build" und "Rock" heißen die Überschriften, nach denen die Jugendlichen ihre Gemeindearbeit organisiert haben. Woher kommen die?
Pfarrer Philipp Müller (Pfarrer an der Jungen Kirche "Luv" (wörtl. "die dem Wind zugewandte Seite") in Lindau am Bodensee): Ich denke, bei "Pray", "Meet", "Build" und "Rock" handelt es sich einfach um Lebensbereiche, die ganz wichtig sind und die auf jeden Fall irgendwie im Leben Raum und Gestaltung finden müssen. Bei "Luv" soll das der Fall sein.
DOMRADIO.DE: Die Jugendlichen organisieren sich selbst. Aber was heißt das denn? Dürfen sie alles machen, was sie wollen? Oder müssen Sie auch schon mal Einspruch erheben und sagen, dass das so nicht geht?
Müller: In der Regel muss das nicht sein. Wir finden eigentlich immer ganz gute Einigkeit. Wir sind eine der drei Jugendkirchen der Evangelischen Kirche in Bayern. Wir werden nicht von einem Kirchenvorstand geleitet, sondern von der "Luv"-Leitung. Da werden die Jugendlichen in freien Wahlen hineingewählt.
Die Voraussetzung ist, dass sie zwischen 14 und 27 Jahren alt sind. In diesem Gremium sind dann alle gleichberechtigt und die Stimmenanzahl zählt. Aber in der Regel reden wir so lang über Dinge oder denken uns so lange in die Themen, bis alle an einem Strang ziehen. Deswegen muss man da gar nicht viel eingreifen.
DOMRADIO.DE: Eine Institution des "Luv" ist ein riesiges Tipi, in dem sich die jungen Leute treffen können. Wie wichtig sind auch coole Locations, wenn man junge Leute ansprechen möchte?
Müller: Das ist eine Grundvoraussetzung. Das gilt auch nicht nur für junge Menschen. Kirche muss grundsätzlich ein Ort sein, wo man schon beim Reinkommen merkt, dass man willkommen ist und sich wohlfühlt. Das fängt schon damit an, dass die Raumtemperatur passt oder die Sitzmöglichkeiten bequem sind. Wenn es dann noch eine schöne Beleuchtung gibt, eine gewisse Ästhetik und ein funktionierendes Internet und man merkt, dass gewisse Standards gelten, dann ist das natürlich super. Das schätzen ältere Menschen, das schätzen jüngere Menschen aber auch. Das ist auf jeden Fall gegeben.
Das Cityzelt als unser Outdoor-Raum ist auch etwas ganz Besonderes, wenn man Lagerfeuer macht oder die Osternacht feiert. Das hat noch mal ein ganz besonderes Flair. Wir machen inzwischen beides. Wir sind draußen und drinnen.
Wichtiger ist aber, was in den Räumen passiert und dass die Angebote, die Jugendlichen in ihren Lebenssituationen ansprechen. Also dass Kirche Antworten und Angebote für die Lebensfragen, mit denen die jungen Menschen kommen, macht.
DOMRADIO.DE: Welche Ideen kommen denn von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Ältere vielleicht nicht haben? Welche Impulse sind da aus Ihrer Sicht positiv?
Müller: Ich weiß nicht, ob die Älteren das nicht haben. Mein Gefühl ist, dass das eigentlich in allen schlummert. Nur junge Menschen artikulieren das noch stärker, da kommt eine eigene Idee, ein großer Wille vielleicht eher zur Sprache.
Jugendlichen wollen Gemeinschaft erleben, Räume erleben, wo sie ohne Vorbehalte angenommen sind. So ein Raum ist wichtig, wo man sich fallen lassen kann, Gemeinschaft erleben kann und Begleitung haben kann, wenn es um wichtige Lebensfragen geht.
Das sind Fragen, die vielleicht auch ältere Menschen haben. Oft geht es darum, wie man seine Sünden loswird oder wie man in den Himmel kommt.
Ich glaube nicht, dass das die wesentlichen Lebens- und Sinnfragen sind, mit denen Jugendliche oder generell Menschen heute durch die Welt laufen. Die Frage ist eher, was dem Leben überhaupt Sinn gibt oder wie man auch die scheinbare Sinnlosigkeit des Lebens aushalten kann? Das sind Dinge, die ganz wichtig sind.
Wenn junge Menschen hier gemeinsam diese Fragen bearbeiten und dann auch noch Begleitung durch mich und meine Kollegin, die Diakonin Judith Amend-Knaub, haben, dann merkt man, dass es den Jugendlichen wirklich etwas fürs Leben bringt.
Deswegen kommen sie auch neben all den anderen Dingen, die sie schon tun, auch noch zu "Luv", weil wir diesen Teil, wo es um die Lebensfragen geht, auch noch haben.
DOMRADIO.DE: Sie selber sind auch noch recht jung, 36 Jahre und junger Vater. Hilft das, wenn man Jugendliche oder junge Menschen ansprechen will? Oder ist da alles über 30 schon fast zu alt?
Müller: Ich habe noch drei jüngere Brüder, durch die ich vielleicht noch relativ nahe an der Generation dran bin. Ich versuche aber trotzdem, mir immer wieder klar zu machen, dass ich nicht die gleiche Generation bin. Es bringt nichts so zu tun, als wäre ich einer von den Kids. Vielmehr ziehe ich mich da, wo es nur geht, zurück.
Unser Konzept ist es, vor allem den Rahmen zu ermöglichen, in dem die Jugendlichen sich dann wieder selbst vorfinden. Wir feiern jetzt Jubiläum. Das wird natürlich von den Jugendlichen moderiert, denn das ist ihre Kirche.
DOMRADIO.DE: Was hätten Sie für ein Tipp, wenn das eine Gemeinde nachmachen möchte? Wie fängt man an? Was ist wichtig?
Müller: Echte Partizipation ist natürlich das Stichwort. Wenn es eine Jugendkirche sein soll oder eine Kirche, die für Jugendliche interessant ist, dann müssen die Jugendlichen auch mit ihren Meinungen, mit ihren Fragen, mit ihren Vorschlägen und ihren Ideen darin vorkommen.
Das findet statt, indem man Entscheidungsgremien schafft, in denen die Stimme voll zählt. So merken die Jugendlichen auch, dass es Gewicht hat, was sie tun.
Aber das muss man sich auch leisten können und wollen. Denn Jugendarbeit ist nichts, was man sich zusätzlich leistet, weil es irgendwie hübsch ist und gut klingt. Die Jugend ist nicht nur die Zukunft der Kirche, sondern die Jugend ist die Kirche. Dafür muss viel Geld zur Verfügung gestellt werden.
DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt ein Jahr dabei. Haben Sie schon miterlebt, wie sich die Jugendlichen in der Gemeinde gegenseitig tragen?
Müller: Ich glaube, das machen sie eigentlich permanent. Allein durch die sozialen Bande, die hier geknüpft werden, erleben junge Menschen, dass sie so aus der Vereinzelung herauskommen. Da sieht man einfach, wie Freundschaften entstehen, wie plötzlich über soziale Grenzen hinweg Bande geknüpft werden und das Gefühl entsteht, nicht allein auf dem Weg zu sein.
Das ist schon eine ganz tiefe Form von Seelsorge. Damit trägt man sich durch die Stürme, durch die Täler, aber vor allem auch durch die Sonnenseite des Lebens. Freude miteinander zu teilen, ist auch einfach was ganz Wunderbares.
Das Interview führte Dagmar Peters.