DOMRADIO.DE: Unter dem Motto "Menschenwürde schützen" finden derzeit bundesweit die Internationalen Wochen gegen Rassismus statt. Haben Sie persönlich schon Erfahrung mit Rassismus gemacht?

Dr. Emeka Ani (Geschäftsführer des Bundespastoralrats der Katholiken anderer Muttersprachen): Die Internationalen Wochen gegen Rassismus sind eine begrüßenswerte Initiative, denn Rassismus gibt es überall: in jeder Kultur, Religion und Bevölkerung, darauf hat keiner ein Monopol. Rassismus verletzt grundsätzlich die Würde des Betroffenen, deshalb muss er überall verabscheut und bekämpft werden. Aktuell erleben wir einen politischen Rechtsruck in vielen Ländern der Welt, mit zunehmend nationalistischer Orientierung. Das hebt die Bedeutung dieser internationalen Initiative hervor.
DOMRADIO.DE: Ist das ein Thema in den muttersprachlichen Gemeinden?
Ani: Rassismus ist sicher ein Thema in den muttersprachlichen Gemeinden. Da ist aber die Wortwahl vorsichtig auszuwählen: Ich unterscheide zwischen Rassismus als Orientierungshandlung und rassistischem Handeln. Meines Erachtens ist rassistisches Handeln nicht automatisch als Rassismus zu verstehen, aber jeder Rassismus beinhaltet rassistisches Handeln oder Gedankengut.
In den muttersprachlichen Gemeinden herrscht das Gefühl vor, immer noch als “Fremder“ behandelt oder wahrgenommen zu werden, das ist verletzend und demütigend und es widerspricht unseren christlichen Werten.
Ob das generell als Rassismus zu verstehen oder ein Zeichen für Berührungsängste ist, kann man nicht verallgemeinern. Aber es gibt natürlich auch Fälle, die zweifellos rassistisch motiviert sind, wie beispielsweise die Morddrohungen gegen einen nigerianischen Priester im Bistum Speyer im Jahr 2020.
Umso erfreulicher finde ich Initiativen wie die der deutschen Bischofskonferenz “Auf dem Weg zu einer interkulturelle Communio“, bei der es Seelsorge in anderen Sprachen und Riten geht, die Berührungsängste abbauen soll. Der Studientag gegen Rassismus sowie der “Katholische Preis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ sind auch gute Beispiele, wie die Kirche strukturell gegen Rassismus vorgeht.
DOMRADIO.DE: Sind afrikanisch-stämmige Menschen mehr Rassismus ausgesetzt als beispielsweise Asiaten oder Lateinamerikaner?
Ani: Ich glaube schon. Offenbar werden auch bei Migranten Abstufungen oder Klassifizierungen vorgenommen und afrikanisch-stämmige Menschen scheinen da nach Meinung vieler auf der untersten Stufe zu stehen. Da spielen meiner Meinung nach Klischees eine große Rolle. In den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung werden schwarze Menschen als Synonym für Armut und Elend abgebildet und dementsprechend negativ werden sie oft behandelt. Das ist nicht fair!
DOMRADIO.DE: Im Bundestagswahlkampf hat sich am Ende alles nur noch um das Thema Migration gedreht, um die Frage, wie man Menschen, die zu uns kommen, abweisen oder möglichst schnell wieder zurückschicken kann. Sie leben und arbeiten seit über 20 Jahren hier in Deutschland – wie hat sich diese Debatte für Sie angefühlt?
Ani: Die Debatte hat mich sehr verletzt. Dass eine Aktualisierung der Migrationspolitik immer wieder notwendig ist, kann ich verstehen. Aber Migration als politische Achillesferse der deutschen Gesellschaft darzustellen, war populistisch, falsch und entwürdigend. Fakt ist, dass Migration ein wichtiger Faktor zum Erhalt des Wohlstandes in Deutschland ist. Auch unter demografischen Gesichtspunkten braucht Deutschland Migration, und zwar dringend.
Die “Remigration“, wie sie von der AfD propagiert wird, halte ich für gesellschaftlichen Selbstmord, der nur aus Fremdenhass getrieben wird. Enttäuschend für mich war, dass eine Partei, die das “C“ im Namen trägt, bewusst das Risiko eingegangen ist, das Gesetz mit der Unterstützung der AfD durchzusetzen.
Das widerspricht dem biblischen Beispiel von Jesus, der das Brot des Teufels ablehnte, obwohl er nach vierzigtägigem Fasten in der Wüste hungrig war. Natürlich meine ich damit nicht, dass die AfD eine teuflische Partei ist, aber sie vertritt Werte, die nicht mit unseren christlichen Werten vereinbar sind. Zu Recht lehnen Katholische und Evangelische Kirche in Deutschland jegliche Zusammenarbeit mit AfD ab.
Der Höhepunkt der Ironie war der gescheiterte Entwurf zum "Zustrombegrenzungsgesetz“. Gerade eine Gesellschaft mit negativer demographischer Entwicklung kann es sich nicht leisten, Familienbildung zu verhindern. Ich bin froh, dass es gescheitert ist, auch dank des Protests aus Gesellschaft und Kirchen. Auch im kirchlichen Sinne war das erfreulich, denn die Kirche steht zu Familien.

DOMRADIO.DE: Bei der Bundestagswahl hat die AfD 20,8 Prozent geholt, in den fünf ostdeutschen Bundesländern war sie sogar stärkste Kraft. Wie groß ist die Sorge in den muttersprachlichen Gemeinden angesichts dieser Entwicklungen?
Ani: Das ist besorgniserregend, auch, weil viele Jugendliche die AfD gewählt haben und weil es ein europäischer Trend ist. In Österreich, Frankreich, der Schweiz und Ungarn zum Beispiel sind die Entwicklungen ähnlich. Ironischerweise wird dieser AfD-Wahnsinn anscheinend von Reichen, z.T. Politikern aus dem Ausland unterstützt und möglicherweise mitfinanziert. Da merkt man, dass Rassismus und Fremdenhass eine gesellschaftliche Seuche sind, die sich schnell verbreitet.
Alle Demokraten, die Zivilgesellschaft und die Kirchen sind jetzt gefragt, stärker als je zuvor, Ängste abzubauen und Deutschland aus den Klauen des Fremdenhasses zu reißen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund können eine wichtige Rolle dabei spielen, die Ängste, die die AfD schürt, abzubauen: Durch gelungene Integration und einen aktiven gesellschaftlichen Beitrag. Fakt ist, dass die AfD das Potential besitzt, in Deutschland einen Kulturkrieg anzustiften, der im Interesse der Zivilgesellschaft aufgehalten werden muss. Hasstreiberei trägt nicht zur Fortentwicklung einer Gesellschaft bei.
DOMRADIO.DE: Kennen Sie Menschen, die aufgrund dieser politischen Entwicklungen darüber nachdenken, Deutschland wieder zu verlassen?

Ani: Leider kenne ich viele, die darüber nachdenken und manche sind schon zurückgekehrt. Sicher ist, dass unter den Mitgliedern der muttersprachlichen Gemeinden allmählich das Gefühl verschwindet, dass Deutschland ein sicheres Land ist, vor allem Ostdeutschland. Manche studieren im Osten und wollen schnellstens an eine Hochschule im Westen, weil sie sich angefeindet und unerwünscht fühlen.
Leider können viele nicht zurückkehren, weil sie ihre Heimat durch Kriege, Christenverfolgung, die wirtschaftliche Ausbeutung der westlichen Länder und die Folgen des Kolonialismus schon längst verloren haben.
DOMRADIO.DE: Wie ist denn die Situation innerkirchlich? In Priesterräten, Diözesanräten oder dem ZdK sind Katholiken anderer Herkunft auch eher unterrepräsentiert. Ist auch das eine Form der Benachteiligung?
Ani: Leider stelle ich fest, dass es auch Rassismus in der Kirche in Deutschland gibt. Das ist tragisch, denn die Kirche müsste eigentlich die Moralinstanz der Gesellschaft sein. Wir wissen von explizitem und latentem Rassismus gegenüber ausländischen Priestern in Deutschland. Und dass viele nie in Leitungsfunktionen der Bistümer kommen, trotz guter Ausbildung und langjähriger Erfahrung, ist ein offenes Geheimnis. Gerade für afrikanische Priester ist Deutschland nicht mehr der beliebteste Einsatzort. Ob es sich hier um institutionalisierten Rassismus handelt, möchte ich nicht hoffen, aber es besteht Handlungsbedarf.
Erfreulicherweise erkennt die Deutsche Bischofskonferenz diesen Handlungsbedarf an und hat Initiativen ergriffen, Rassismus in der Kirche zu verhindern. Letztes Jahr wurde in Berlin ein Studientag gegen Rassismus im Auftrag des DBK organisiert, das soll es künftig regelmäßig geben und das finde ich gut.
Weniger erfreulich ist, dass ausländische Katholiken derzeit bei den Laiengremien wie dem ZdK, dem Synodalen Weg oder dem Synodalen Ausschuss stark unterrepräsentiert sind. Das finde ich tragisch, denn offenbar wurde da in der Führungsebene noch nicht erkannt, wie wichtig die ausländischen Katholiken in Deutschland für die kirchliche Entwicklung sind.
Meiner Ansicht nach gibt es dort Entscheidungsträger, die bewusst verhindern, dass ausländische Katholiken in diesen Gremien eine größere Vertretung erhalten. Ihr Anteil liegt in manchen Bistümern bei 30 Prozent, sie nehmen aktiv an der Gestaltung des kirchlichen Lebens vor Ort teil. Dass sie immer noch mit nur drei Vertretern beim ZdK repräsentiert sind, stellt einiges in Frage aber das will da niemand hören. Nach außen positioniert sich das ZdK als ein migrationsfreundliches Gremium. In den eigenen Reihen mangelt es aber an Repräsentation und Wertschätzung der Migranten. Das finde ich scheinheilig und das sollte schnellstens geändert werden.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.