Wie katholische Jugendarbeit im Saarland Demokratie stärkt

Bunte Kirche gegen braunes Denken

Thomas Hufschmidt, Jugendpfarrer in Saarbrücken, hat mit jungen Leuten ein Holocaust-Mahnmal entworfen und gegen Rechtsradikalismus demonstriert. Das Engagement von Erstwählern stimmt ihn auch im Superwahljahr 2024 optimistisch.

Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt (privat)
Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt ( privat )

DOMRADIO.DE: Um zu verhindern, dass neue Nazis an die Macht kommen, muss man erst einmal wissen, was die alten Nazis angerichtet haben. In diesem Sinne haben Sie mit der Jugendkirche ein besonderes Holocaust-Mahnmal errichtet. Was genau haben Sie zusammen mit den jungen Leuten gemacht? 

 © Thomas Hufschmidt (privat)
© Thomas Hufschmidt ( privat )

Thomas Hufschmidt (Pfarrer Kirche der Jugend eli.ja Saarbrücken): Wir haben immer eine Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Dieses Mal haben wir überlegt, was wir zusätzlich zum normalen Gedenktag tun können und dann gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern und unseren Jugendlichen Steine beschriftet. Sie haben die Namen der ermordeten saarländischen Jüdinnen und Juden darauf geschrieben. So viel wir heute wissen, sind damals im Saarland 2015 Jüdinnen und Juden ermordet worden. Indem die Jugendlichen jetzt die Namen, Geburtsdaten und -orte und auch die Todestage und Todesorte auf die Steine geschrieben haben, haben sie sich auch mit dem Schicksal der jeweiligen Person auseinandergesetzt. 

Thomas Hufschmidt

"Die Jugendlichen hatten jeweils mit einem Namen und einem Schicksal zu tun; damit haben sie sich beschäftigt und das hat sie sehr angerührt."

DOMRADIO.DE: Was haben die jungen Leute verstanden aus dieser wirklich konkreten Beschäftigung mit dem Holocaust heraus? 

Hufschmidt: Zunächst einmal war es eine sehr persönliche Begegnung mit den Opfern. Sonst ist oft die Rede von einer bestimmten Zahl von Opfern, so und so viel Tausend oder so und so viel Millionen Opfer des Holocausts an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Stadt, in einem bestimmten Land. Das wurde in unserem Projekt auf einmal sehr persönlich. Das heißt, die Jugendlichen hatten jeweils mit einem Namen und einem Schicksal zu tun; damit haben sie sich beschäftigt und das hat sie sehr angerührt. So jedenfalls habe ich das erlebt. Aus den 2015 Steinen für die 2015 Ermordeten ist am Ende ein Kunstwerk entstanden. Zunächst als Mahnmal hier in der Kirche der Jugend, das wir dann am Karsamstag an einen anderen Ort gebracht haben, um es hineinzutragen in diese Welt und in unsere Stadt. 

Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt (privat)
Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt ( privat )

DOMRADIO:DE: Zuletzt hat es ja in Deutschland immer wieder Demos für Demokratie und gegen Rassismus gegeben. Wie sehr hat das die jungen Leute bewegt, mit denen Sie jeden Tag zu tun haben?

Hufschmidt: Bisher waren wir von der Jugendkirche nicht sehr präsent auf Demonstrationen. Aber durch die Radikalisierung rechtsextremer Kräfte haben wir aber gemerkt, dass wir uns stärker engagieren müssen. Das haben auch die Jugendlichen an uns herangetragen. Deshalb sind wir dann mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeinsam zur Demonstration gegangen, um ein Zeichen von uns als praktizierenden Katholikinnen und Katholiken in diese Gesellschaft hineinzusenden. Wir wollten zeigen, dass wir gegen Rechtsradikalismus und gegen Radikalisierung sind. 

DOMRADIO.DE:  Welche Fragen haben die Kinder und Jugendlichen in diesem Zusammenhang besonders interessiert? 

Hufschmidt: Jugendliche machen bei uns die Erfahrung, dass Kirche bunt ist. In unserer Kirche der Jugend eli.ja in Saarbrücken beispielsweise kommen viele verschiedene Nationen zusammen. Als dann klar wurde, dass bestimmte Kreise wirklich Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland ausweisen wollen, war das ein Aha-Effekt. Das hat die Jugendlichen stark beschäftigt, da haben sie viele Fragen gestellt und gesagt: "Das wollen wir nicht! Wir sind bunt, es gibt viele unterschiedliche Menschen, die hier leben, wir gehören zusammen." All das erfahren sie eben auch hier bei uns, in unseren Gottesdiensten, bei unseren Aktionen. In der Kirche hier vor Ort, aber auch weltweit. 

Thomas Hufschmidt

"Sie fragen sich, in welchem Land, in welchem Europa sie in Zukunft leben wollen. Durch die rechtsradikalen Tendenzen in unserer Gesellschaf sind diese Fragen wichtiger geworden."

DOMRADIO.DE: Was beschäftigt denn Ihrer Erfahrung nach die 16-Jährigen, die im Juni bei der Europawahl zum ersten Mal wählen dürfen? 

Hufschmidt: Sie stellen zum Beispiel Fragen wie: "Wie lebe ich in dieser Gesellschaft? Und in welcher Gesellschaft möchte ich leben?" Ein wichtiges Thema ist dabei das Engagement gegen Rechtsradikalismus. Das nehme ich sehr stark als großen Wunsch der jungen Menschen wahr, die zu uns kommen und die im Sommer zum ersten Mal wählen gehen. Sie beschäftigen sich natürlich auch mit der Zukunft generell, fragen sich, in welchem Land, in welchem Europa sie in Zukunft leben wollen. Durch die rechtsradikalen Tendenzen in unserer Gesellschaf sind diese Fragen wichtiger geworden. 

Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt (privat)
Aktion zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar / © Thomas Hufschmidt ( privat )

DOMRADIO.DE:  Haben Sie den Eindruck, dass die neuen Wählerinnen und Wähler sich freuen, dass sie jetzt über die Stimmabgabe direkt die Gesellschaft mitgestalten können? 

Hufschmidt: Jugendliche haben eine klare Meinung und können diese auch gut einbringen. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese jungen Menschen in ihrer Meinungsbildung stärken. Dass wir ihnen dafür vermitteln, was in unserer Geschichte, in unserem Land und auch in Europa den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten passiert ist. Damit sensibilisieren wir sie dafür, wie sie ein demokratisches und zukunftsträchtiges Europa mitgestalten können. Ich erlebe ein großes Interesse junger Menschen, sich auch in die Gesellschaft einzubringen. 

Thomas Hufschmidt

"Wir müssen die Offenheit und die Botschaft, die Gott uns geschenkt hat, hineintragen in diese Gesellschaft."

DOMRADIO.DE: Demokratie stärken, gerade auch bei jungen Menschen, das versuchen im Moment wirklich viele. Was ist das Besondere, wenn Sie das als Kirchenmensch tun und mit Glaubensfragen verknüpfen? 

Hufschmidt: Ich finde es wichtig, dass wir uns als Kirche in diese Gesellschaft hineinklinken. Das haben wir zum Beispiel getan, indem wir als Kirche der Jugend dem Bündnis „Bunt statt Braun“ hier im Saarland beigetreten sind. Denn wir haben auch auf Initiative junger Menschen auch als Kirche etwas mitzugeben, eine Botschaft hineinzugeben in diese Gesellschaft. Damit wollen wir nicht hinterm Berg halten. Wir haben etwas zu sagen und etwas mitzugestalten. Wir haben Projekte, Initiativen und Aktionen, um etwas hineinzugeben in diese Gesellschaft, für mehr Freiheit und mehr Gleichheit, und das auch aus unserem Glauben heraus. Das ist in meinen Augen das Wesentliche, dass die katholische Kirche sich nicht zurückzieht.  Wir müssen auch nach draußen gehen. Wir müssen die Offenheit und die Botschaft, die Gott uns geschenkt hat, hineintragen in diese Gesellschaft. Das tun wir mit den jungen Menschen, die auch daran glauben und die auch danach leben wollen. 

DOMRADIO:DE: Kritiker werfen der katholischen Kirche immer wieder vor, sie habe mit ihren hierarchischen Strukturen selbst ein Demokratieproblem hat. Nehmen die Jugendlichen das wahr? 

Hufschmidt: So extrem nehmen die Jugendlichen, die mit uns unterwegs sind, das wohl gar nicht wahr. Denn hier der Kirche der Jugend setzen wir sehr auf Mitbestimmung und Teilhabe und darauf, dass junge Menschen sich einbringen können. Das heißt, sie erleben hier ein kirchliches System, wo es zwar Hauptamtliche gibt, mich als Pfarrer und noch andere Kolleginnen und Kollegen, wo sie aber trotzdem unglaublich viel hineingeben können. Andere Ebenen werden nicht so stark thematisiert, dass sie das irgendwie stören würde.  Wahrscheinlich deshalb, weil sie hier ganz konkret etwas ganz Anderes erleben. Für viele ist die Kirche der Jugend ein Ort von Freiheit und Ermöglichungskultur. 

DOMRADIO.DE:  Wie optimistisch sind Sie, dass sich unsere Gesellschaft mit jungen Leuten wie denen, die Sie in der Jugendkirche erleben, letztlich doch in eine gute Richtung entwickeln wird? 

Hufschmidt: Ich bin da sehr optimistisch. Natürlich gibt es auch junge Menschen, bei denen ich etwas Destruktives wahrnehme. Aber im Großen und Ganzen sehe ich hier junge Leute, die sich wirklich diesem Leben stellen, die sich dieser Gesellschaft stellen, die sich mit ihrem Glauben auseinandersetzen. Das ist natürlich auch besonders an diesem kirchlichen Ort so. Ich staune immer wieder darüber, wie stark junge Menschen heute noch sein können, was sie geben können. Deshalb bin ich persönlich aus Perspektive des Pfarrers an dieser Kirche der Jugend in Saarbrücken zuversichtlich.

Das Interview führte Hilde Regeniter 

Quelle:
DR