Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten ist im Evangelium ziemlich eindeutig: Es reicht nicht, Geld vor sich hin schlummern zu lassen. Man soll es vermehren. Der ehemalige Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz (HEV), Ansgar Gmür (69), ist studierter Theologe. Er behauptet nun in einer Studie: Kirchen vergeuden in Sachen Immobilien ihre Talente.
Damit hat der Experte eine emotionale Debatte entfacht: Dürfen Kirchen mit ihren Immobilien maximalen Profit erzielen? Darf eine Pfarrei ein Gotteshaus verkaufen, wenn ein riesiges Loch in der Kasse klafft? Oder einfach abreißen? Schließlich prägen Kirchen auch das Dorf- und Stadtbild. Hinzu kommt der Denkmalschutz, der Umbauplänen und Nutzungsänderungen oft einen Riegel vorschiebt. Nicht selten haben Kirchgemeinden auch Skrupel vor einer unchristlichen Profitgier.
75.000 Gebäude kosten 2,5 Milliarden Franken
Laut Gmür werden mehr als 75.000 Gebäude in der Schweiz der reformierten und der katholischen Kirche zugeschrieben. Doch die Dunkelziffer sei hoch - er rechnet mit deutlich mehr kirchlichen Liegenschaften. "Die Kirchen vernachlässigen ihr Immobilien-Portfolio komplett", kritisiert der reformierte Pfarrer gegenüber dem Portal blick.ch. Er geht davon aus, dass die kirchlichen Immobilien einen Wert von mindestens 2,5 Milliarden Franken haben.
Die Objekte seien für die Kirchen eine erhebliche finanzielle Last, geht aus der Studie hervor. "Andere verdienen mit Immobilien Geld, die Kirchen verlieren damit Geld", lautet Gmürs Fazit. Allein die Zürcher Reformierten geben gemäß der Analyse 49 Millionen Franken im Jahr für ihren Gebäudepark aus. "Für die Kirchen sind die Immobilien oftmals der drittgrößte Ausgabenposten", rechnet Gmür vor.
Die Hälfte kümmert sich nicht
Mehr als 100 Kirchgemeinden in der gesamten Deutschschweiz hat er für seine Studie befragt. Fast die Hälfte hat demnach angegeben, sich überhaupt nicht um das eigene Immobilien-Portfolio zu kümmern. Knapp 90 Prozent sagten, die Immobilien würden intern verwaltet.
"Statt eines Profis kümmert sich irgendein Mitglied der Kirchenpflege oder des Kirchenrats nebenbei um die Immobilien, das kann nicht gut gehen", bemängelt Gmür. Dabei könnten die Kirchen zusätzliche Einnahmen dringend gebrauchen, denn die Kirchensteuern dürften in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr so kräftig sprudeln wie bislang.
Kirche als profitable Bauherrin
Kirche und Immobilienwirtschaft - bisweilen geht das aber schon jetzt Hand in Hand. Zum Beispiel in Luzern. Dort ist die Kirche zu einer profitablen Bauherrin geworden. "Die katholische Kirche der Stadt Luzern hat seit Längerem Strategien für die Immobilien festgelegt", sagt Sprecher Urban Schwegler auf Anfrage des Portals kath.ch.
Das Areal Unterlöchli etwa wurde von der Kirchgemeinde Luzern von 2010 bis 2012 gebaut. 2021 gab es einen Bruttoertrag von rund 2,5 Millionen Franken. Erst im August wurde das neue Quartierzentrum Wesemlin eingeweiht. Und im Sommer wurde die Wohnüberbauung Ausserschachen in Ebikon mit 46 Miet- und 21 Eigentumswohnungen fertiggestellt. "Die Erträge werden für kirchliche Tätigkeiten verwendet", so Schwegler.
Miete darf auch die Kirche nehmen
Mieteinnahmen hat auch das Frauenkloster Heiligkreuz in Lindencham im Kanton Zug. Statt eines leerstehenden Lehrerinnenseminars gibt es dort nun einen Neubau mit 82 Wohnungen, einer Kindertagesstätte und einem Bistro. Seit 2020 fließt ein üppiger Baurechtszins regelmäßig in die Klosterkasse der Olivetaner-Benediktinerinnen.
"Wir sind sehr zufrieden mit unserer neuen Nachbarschaft", sagt Schwester Mattia. Die regelmäßige Einnahmequelle dank der Mietzahlungen sei sehr wichtig. «Der Pflegebereich im Kloster, in dem derzeit 22 Schwestern betreut werden, ist für uns ebenfalls eine wichtige Institution - wollen wir doch in Würde zusammen alle älter werden können", so die Ordensfrau.
"Nur ein paar Liegenschaften"
Doch nicht überall verfügen Kirchen über einen so großen Schatz an Immobilien wie in den katholischen Stammlanden. "Die katholische Kirche im Kanton Zürich ist historisch gesehen eine sehr junge Kirche und hat deshalb kein großes Immobilien-Portfolio", sagt Sprecher Simon Spengler. Die meisten kirchlichen Immobilien würden als Gotteshäuser, Pfarreizentren oder Büros genutzt. Nur "ein paar wenige Liegenschaften" würden auf dem Wohnungsmarkt vermietet. Und das solle auch die Ausnahme bleiben, meint Spengler. Die Kirche sei fürs Gemeinwohl da - und nicht, um Profit zu machen.