Wie Mohammad im Kirchenasyl seiner Abschiebung entkam

"Urchristliche Hilfe"

Mohammad, ein 20-jähriger Syrer, floh vor dem Krieg. Im Kirchenasyl einer Bonner Gemeinde fand er Zuflucht und hat nun eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Glaube und die Hilfe anderer geben ihm Hoffnung.

Autor/in:
Hannah Schmitz
Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, im ehemaligen Kirchenasyl / © Harald Oppitz (KNA)
Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, im ehemaligen Kirchenasyl / © Harald Oppitz ( KNA )

Es waren teils lange Tage für den 20-Jährigen aus Syrien: Mehrere Wochen saß Mohammad in einem kaum genutzten Haus einer Bonner Kirchengemeinde - umgeben von Kinderspielzeug, Kindermöbeln und einer grünen Schultafel, in der Ecke ein Bett. Die Vorhänge mussten stets zugezogen bleiben. Der Geflüchtete im Kirchenasyl konnte die Räume zu seinem eigenen Schutz nur selten verlassen, höchstens mal zum Einkaufen in einem nahen Supermarkt oder zu Veranstaltungen der Kirche, zu denen ihn Ehrenamtliche mitnahmen.

"Es gab Tage, an denen es sehr einsam und bedrückend war", erzählt Mohammad auf türkisch; die Caritas-Mitarbeiterin Beyza Misir dolmetscht für ihn. Er habe wenig Appetit gehabt, und sei "so froh" gewesen, wenn Misir oder "Freunde" vorbeigekommen seien. Freunde, das waren und sind vor allem Ehrenamtliche, die sich für Flüchtlinge engagieren sowie andere Geflüchtete. Mohammad sagt aber auch: "Ich wusste, dass ich großes Glück hatte. Endlich hatte ich mal Glück."

Mohammads Familie kommt aus Homs, einer Stadt im Westen Syriens, die inzwischen vom Krieg verwüstet ist. Vor knapp sieben Jahren flüchtete der 20-Jährige mit seinen Eltern und seinen vier Geschwistern in die Türkei. Doch im nördlichen Nachbarland Syriens drehte sich die Stimmung zuletzt zunehmend gegen die Flüchtlinge. Sein Vater habe ihm geraten, sein Leben zu retten und weiter zu fliehen, weil er davon ausgehe, dass die Familie früher oder später wieder nach Syrien abgeschoben wird. Mohammed schlug sich durch, vor zehn Monaten kam er in Deutschland an.

Pfarrer scheuen das Risiko

Die Bonner Kirchengemeinde, in der Mohammad Unterschlupf fand, ist eine von deutschlandweit schätzungsweise rund 500 Gemeinden, die Kirchenasyl anbietet. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählte vergangenes Jahr 2.065 Fälle.

Manche Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften nehmen mehrere Asylsuchende gleichzeitig auf und tun dies wiederholt, andere gewähren einmalig Kirchenasyl. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche geht daher von 400 bis 500 Gemeinden aus, die Kirchenasyl gewährten. Zum Vergleich: Bundesweit gibt es laut Bundesinnenministerium rund 13.000 evangelische Kirchengemeinden sowie knapp 10.000 katholische Pfarreien.

Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, in dem Raum, in dem ihm eine Bonner Gemeinde Kirchenasyl gewährt hatte / © Harald Oppitz (KNA)
Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, in dem Raum, in dem ihm eine Bonner Gemeinde Kirchenasyl gewährt hatte / © Harald Oppitz ( KNA )

Viele Pfarrer scheuen Kirchenasyl offenbar, weil sie einerseits Angst haben, rechtlich belangt werden zu können; andererseits sorgen sie sich womöglich vor Konflikten mit einer eher konservativ eingestellten Kirchenklientel. Zuletzt häuften sich außerdem Medienberichte über Räumungen oder versuchte Räumungen von Kirchenasylen durch Behörden.

Die Projektkoordinatorin der Geflüchtetenhilfe der Bonner Kirchengemeinde betont allerdings: "Darüber wird häufiger berichtet, über die vielen Fälle gelingenden Kirchenasyls hingegen weniger. Die sind aber die Regel." Auch ein fehlender Helferkreis aus Ehrenamtlichen oder geringe finanzielle Mittel können nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft ein Asyl verhindern. In der Regel erhielten Geflüchtete im Kirchenasyl keine Sozialleistungen.

Kirchenasyl als letzter Strohhalm

Die Bonner Kirchengemeinde möchte lieber anonym bleiben, genauso wie die Koordinatorin selbst - auf Bitten des Pfarrers. "Das ist dem Schutzgedanken geschuldet", erklärt sie. Pro Monat bekommt sie drei bis zehn Anfragen um Asyl in der Kirche. Manchmal kämen Geflüchtete persönlich vorbei, fielen auf die Knie und flehten sie an. "Die Not ist groß, wir sind ihr letzter Strohhalm", erklärt sie.

Auch für die Koordinatorin ist diese Arbeit nicht einfach. "Mein Job ist es fast immer abzulehnen. Es ist wie eine Triage-Entscheidung: Wessen Schutz hat die höchste Priorität?" Sie versuche ihre Empathie dabei nicht zu verlieren. "Ich nehme mir Zeit. Das ist alles, was ich tun kann."

"Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein"

Seit 2023 bietet die Gemeinde Flüchtlingen Asyl an. Sie nimmt allerdings nur jene auf, die nach ihrer Einschätzung eine realistische Chance auf einen Aufenthalt in Deutschland haben und bei einer Rückführung einer Bedrohung ausgesetzt wären. Bislang waren das etwa eine Handvoll Menschen, die maximal sechs Monate in Räumen der Gemeinde unterkamen. "Es ist natürlich nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber es ist so sinnvoll", sagt die Gemeinde-Mitarbeiterin, die es als "urchristlich" bezeichnet, Menschen in Not zu helfen.

Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, im Gespräch mit Beyza Misir, Mitarbeiterin von Caritas, in den Räumen einer Kirchengemeinde in Bonn. Die Gemeinde hatte ihm Kirchenasyl gewährt. / © Harald Oppitz (KNA)
Mohammad, Flüchtling mit Aufenthaltsgenehmigung, im Gespräch mit Beyza Misir, Mitarbeiterin von Caritas, in den Räumen einer Kirchengemeinde in Bonn. Die Gemeinde hatte ihm Kirchenasyl gewährt. / © Harald Oppitz ( KNA )

Sechs Monate nach der Registrierung von Flüchtlingen endet die Überstellungsfrist, innerhalb derer der Staat sie wieder in das Ersteinreiseland der EU schicken darf. Bei Mohammad wäre das Kroatien gewesen, dort war er auf seiner Flucht schon festgenommen und inhaftiert worden. Das Land an der Adria steht immer wieder in der Kritik von Menschenrechtsorganisationen für seinen Umgang mit Geflüchteten.

Mohammad lebte zunächst in einer Bonner Erstaufnahmeeinrichtung. Von dieser aus sollte er nach Angaben der Koordinatorin über Kroatien in sein Heimatland Syrien abgeschoben werden - eine sogenannte Kettenabschiebung. Beyza Misir, die bei der Caritas Beratung für Geflüchtete und Asylsuchende anbietet, konnte ihn schließlich ins Kirchenasyl vermitteln. "Es war ein Wettlauf mit der Zeit", sagt Misir, und: "Ich freue mich sehr, dass es geklappt hat."

Ehrenamtliche helfen beim Lernen

Mohammad hat inzwischen eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland, er lebte nur wenige Wochen im Asyl der Kirche. Der Draht zu den Ehrenamtlichen besteht aber weiter. Mit Rosi etwa lernt er deutsch und auch kochen. Im Moment hat er viel Papierkram und Termine zu erledigen, berichtet der 20-Jährige. Er habe aber schon einen Platz im Integrationskurs. Zur Schule zu gehen wird für ihn wohl erst einmal ungewohnt sein - das letzte Mal saß er vor 13 Jahren und nur ein Jahr lang in einer Klasse. Einige Wörter auf Deutsch kann der gebürtige Syrer aber schon, verstehen tut er noch mehr, manchmal mit Händen und Füßen. Auch Übersetzungsdienste im Internet helfen bei der Kommunikation.

Irgendwann möchte Mohammad gern eine Ausbildung machen. Misir ist sich sicher: "So resilient wie Mohammad ist, wird er seinen Weg hier gehen." Auch die Mitarbeiterin der Kirchengemeinde betont, wie offen der 20-Jährige sei. "Er hat eine Persönlichkeit, die den Umgang mit ihm sehr einfach macht. Er wird es hier in Deutschland schaffen", sagt sie. Beide sind zudem beeindruckt, wie viel Kraft der Glauben Mohammad offenbar gibt. "Er war ganz ruhig und demütig, viele andere sind hingegen am Ende ihrer Kraft, aufgelöst", berichtet die Koordinatorin der Gemeinde. Mohammad sagt: "Ich war mir einfach sicher, dass Gott mich nicht alleine lässt."

Kirchenasyl

Beim sogenannten Kirchenasyl nehmen Gemeinden oder Ordensgemeinschaften vorübergehend Asylbewerber auf, um eine Abschiebung abzuwenden, weil diese für den Flüchtling eine Bedrohung an Leib und Leben darstellt. Schon aus dem vierten Jahrhundert ist bekannt, dass Flüchtlinge in Kirchen Schutz suchten.

Ein Schlafsack und ein Rucksack liegen auf einer Kirchenbank. Im Hintergrund steht ein Zelt. / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Schlafsack und ein Rucksack liegen auf einer Kirchenbank. Im Hintergrund steht ein Zelt. / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA