Wie Naturerfahrungen den christlichen Glauben bereichern

Wald als Ort der Gottesbegegnung

Wälder sind nicht nur Teil der Schöpfung und spirituelle Rückzugsorte. Für den Theologen Jan Frerichs ist die Natur der Ort der Gottesbegegnung. Von ihr könne man zudem einen anderen Blick auf die Welt lernen, erklärt er.

Lichtung und Bachlauf im Wald / © Konmac (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Die Franziskanische Lebensschule bietet Auszeiten und dabei geht es genau um diese Verbindungen von Natur, Glauben und Spiritualität. Wie sind Sie dazu gekommen, sich damit zu beschäftigen? 

Jan Frerichs / © Angela Krumpen  (ak)

Jan Frerichs (Gründer und Leiter der Franziskanischen Lebensschule "barfuß und wild"): Ich glaube, das hat schon sehr früh angefangen, eigentlich schon als Kind. Ich würde sagen, wenn ich in meine Erfahrungen zurückschaue, dann ist die Natur und alles, was da so lebt, schon immer der Ort gewesen, der mich am meisten fasziniert hat. Heute ist es für mich völlig selbstverständlich der Ort der Gottesbegegnung. 

Jan Frerichs

"Die Natur kann uns lehren, alles von innen zu betrachten."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Natur in Ihrem persönlichen Glaubensverständnis? Ist die Natur immer wichtiger geworden? 

Frerichs: Auf jeden Fall, Natur ist ja das, was draußen ist. Das ist eigentlich eine virtuelle Vorstellung, nur wir Menschen sagen das. Wir Menschen sprechen von Wildnis als dem anderen von Kultur. Wir machen daraus zwei Dinge, also ein Drinnen und ein Draußen, aber klar ist, wir sind immer in der Natur, wir sind ja selbst Natur.

Die Natur, wenn wir es dann so betrachten, kann uns lehren, alles von innen zu betrachten. Insofern ist es ein Raum, in dem wir uns bewegen, aus dem wir nicht raus können. Wir können nicht einen Schritt zurücktreten und das Universum von außen betrachten und sagen: Ach, das ist aber schön geworden. 

Wir können nur von innen die Spuren lesen. Das ist ein roter Faden, der sich bis heute durchzieht. Das ist natürlich immer differenzierter und komplexer geworden und hat sich mehr und mehr mit den Traditionen verbunden, die wir in unserer jüdisch-christlichen Geschichte gesammelt haben.

Jan Frerichs

"Der Wald ist der Ort, zu dem wir ursprünglich hingegangen sind, um nach innen zu gehen, um Gott zu finden."

DOMRADIO.DE: Gibt es konkrete Glaubenserfahrungen in der Natur, die für Sie ganz besonders, vielleicht sogar prägend waren? 

Frerichs: Jede Menge. Ich war mal Franziskaner ein paar Jahre und ich war im Noviziat draußen. Wir sollten zwei Tage auf dem Klosterberg verbringen, und ich weiß noch, dass die Nächte für mich wahnsinnig herausfordernd waren. Ich hatte wirklich richtig Angst: Angst vor der Dunkelheit, Angst vor dem, was da aus der Dunkelheit kommt. 

Ich glaube, das Gute daran war, dass mir im Nachhinein klar geworden ist, dass dieses Innen und Außen gar nicht so getrennt ist, weil vieles von dem, was mir da Angst gemacht hat, war ja gar nichts, was außerhalb war, sondern es waren Bilder, die ich mitgebracht habe, also innere Bilder. Das ist schon eine sehr wichtige Erfahrung. Später habe ich die Visionssuche entdeckt, die Aufgabe, dass dieses In-die-Natur-Gehen, dieses Rausgehen ein pankulturelles Phänomen ist, das wir in allen Kulturen – und ich würde auch sagen in so gut wie allen Religionen – finden, eben auch in der eigenen. 

Mose findet Gott auch nicht im Vorgarten, sondern in der Wüste. Die Wüste, in der Jesus 40 Tage verbringt, wo er zum Beten hingeht, um alleine zu sein, heißt biblisch "eremos" und die wilde Natur in unseren Breiten hier in Nordeuropa ist diese Wüste. Der Wald ist der Ort, zu dem wir ursprünglich hingegangen sind, um nach innen zu gehen, um Gott zu finden – wie auch immer man das dann ausdrückt.

DOMRADIO.DE: Klöster wurden im Wald oder am Waldrand errichtet. Jesus und seine Jünger waren oft in der Natur unterwegs. Pilger stärken heute auch ihren Glauben, indem sie draußen unterwegs sind, auch im Wald. Würden Sie sagen, der Wald und der Glauben gehören seit jeher zusammen? 

Frerichs: Auf jeden Fall! Ich würde sagen, das ist auch immer Bestandteil der Volkstradition gewesen. Die vielen ganz kleinen Rituale und Feste, die es gibt, von den Palmwedeln an Palmsonntag bis zum Kräuterstrauß an Mariä Himmelfahrt, sind alle naturverbundene Traditionen, die in den vergangenen 200 Jahren der Industrialisierung und Modernisierung ein bisschen verloren gegangen sind. 

Kräutersträuße an Mariä Himmelfahrt / © Bert Bostelmann (KNA)

Menschen haben sich schon immer in dieser Schöpfung, in diesem Kosmos verortet und versucht, den Sinn zu finden in diesen Prozessen, die um uns herum ablaufen. 

DOMRADIO.DE: Die Franziskanische Lebensschule "barfuß und wild" bietet Menschen die Möglichkeit, Glaubenserfahrungen in der Natur, im Wald zu machen. Wie sieht das konkret aus? 

Frerichs: Das ist recht einfach: Wir kommen zusammen mit höchstens zehn bis zwölf Menschen. Je nachdem, wie lang die Auszeit ist, ist auch die Vorbereitung entsprechend lang oder kurz. Morgen gehen wir zum Beispiel in eine Waldzeit, da sitzen wir ein Stündchen zusammen und dann geht jeder und jede draußen für ein paar Stunden in die Natur. Am Ende kommen wir zusammen und tauschen die Erfahrungen aus. Das Entscheidende ist, dass wir – ich würde sagen – auf eine kontemplative Weise rausgehen. 

Das heißt, ich betrachte alles, was mir da widerfährt, als einen Spiegel für mein Leben, für meine Seele. Und so ist es auch, wenn wir rausgehen in die gleiche Natur, dann nehmen wir das mitunter sehr unterschiedlich wahr. Das hängt natürlich damit zusammen, dass wir aus sehr unterschiedlichen Situationen kommen. Es ist spannend, was mir da draußen begegnet, wie ich darauf reagiere.

Ein Hirsch steht auf einer Lichtung im Wald / © Budimir Jevtic (shutterstock)

Wir kommen so mit etwas in Berührung, das sonst im Alltag nicht so viel Platz hat. Wir tauchen ein bis auf den Grund der Seele, psychologisch würde man sagen, auch mit in das Unbewusste hinein. Das ist wie Träumen, wenn wir auf kontemplative Weise rausgehen in die Natur. 

Meistens berührt das etwas, was für uns wesentlich ist, weil die Antworten auf die großen Fragen oder auf die Probleme, die wir haben, meistens gar nicht im Äußeren liegen, sodass wir das einfach lösen könnten. Es lohnt sich dafür tiefer zu tauchen und zu schauen: Wer bin ich eigentlich am Grunde der Seele? Was ist mir wirklich wichtig? Was brauche ich vielleicht, um ein Problem zu lösen? Und das geht in der Natur ganz wunderbar, weil ich da auch ich sein kann. Da kommt nämlich niemand und erwartet von mir, dass ich irgendetwas leiste oder beweise oder wie auch immer man das dann nennt. 

Jan Frerichs

"In der Natur kontemplativ unterwegs zu sein, das geht auch nur alleine."

DOMRADIO.DE: Menschen finden Ruhe in der Natur, haben die Möglichkeit, sich selbst zu beobachten. Viele Menschen gehen dazu auch in die Kirche. Wie anders sind die Erfahrungen in der Natur im Vergleich zu denen, die wir in einem Kirchengebäude erleben, zum Beispiel beim Beten?

Frerichs: Na ja, wenn ich es mal biblisch betrachte, ist Jesus auch zum Beten an einen einsamen Ort gegangen, wie es immer so schön heißt, und dennoch ist er auch in die Synagoge gegangen. In der Natur kontemplativ unterwegs zu sein, das geht auch nur alleine. Das ist kein "Ringelpiez mit Anfassen", sondern da gehe ich alleine. Und da faste ich vielleicht auch, also da gehe ich wirklich in mich. Ich lasse mal alles weg. Das ist eine andere Qualität als in der Kirche oder eben in der Synagoge zusammenzukommen. Synagoge heißt ja nichts anderes als in Gemeinschaft zu sein. 

Eigentlich sind das zwei Seiten von ein und derselben Medaille. Kirche ist Gemeinschaft. Das ist nichts, was ich ganz alleine mache. Sich daran zu erinnern, war zum Beispiel auch ein wichtiger Punkt im Konzil. Ich sitze da nicht alleine und lasse das Heil auf mich niedertröpfeln, sondern wir sitzen da als Gemeinde zusammen und wir feiern das, was ich vielleicht in der Natur für mich persönlich entdecken kann.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Tag des Waldes

Der 21. März ist traditionell der "Tag des Waldes", den die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) bereits in den 1970er Jahren als Reaktion auf die globale Waldvernichtung ins Leben gerufen hat. PEFC nutzt als weltgrößte Waldschutzorganisation den Tag des Waldes, um auf die Bedeutung einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung aufmerksam zu machen. (Quelle: (Link ist extern)https://tag-des-waldes.de/)

Wald, Waldfpad / © TSN52 (shutterstock)
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!