Wie NRW mit dem Personalnotstand in Kitas umgeht

"Alarmstufe Rot"

Laut einer aktuellen Studie herrscht in 95 Prozent aller NRW-Kitas akuter Personalmangel. NRW-Familienminister Joachim Stamp fehlen bislang dazu selbst die Statistiken. Kritik kommt vom Deutschen Kita-Leitungskongress.

Autor/in:
Johannes Nitschmann
Zwei Kinder warten vor einer katholischen Kindertagesstätte / © Harald Oppitz (KNA)
Zwei Kinder warten vor einer katholischen Kindertagesstätte / © Harald Oppitz ( KNA )

Wie viele Erzieher derzeit in den landesweit 10.600 Kindergärten fehlen, vermag der nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp (FDP) nicht mal annähernd zu beziffern. "Das kann man nicht exakt sagen, das wird statistisch so nicht erfasst." Die Schuld dafür weist der Politiker weit von sich.

"Das liegt daran, dass die Träger uns das dann entsprechend übermitteln müssen." In der vergangenen Woche wurde das Düsseldorfer Familienministerium von einer aktuellen Studie des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) offenkundig kalt erwischt: In 95 Prozent aller Kindergärten in NRW herrscht demnach akute Personalnot. Das sind fünf Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt.

Fachkraft-Kind-Relation

Neun von zehn Kindergärten hätten in den letzten zwölf Monaten zumindest zeitweise mit einer prekären Personalunterdeckung arbeiten müssen, erklärt der Autor der Studie, Sozialmanagement-Professor Ralf Haderlein. Die empfohlene Fachkraft-Kind-Relation werde in fast jedem Kindergarten unterschritten. Oft werde nicht einmal die gesetzliche Betreuungsquote eingehalten. In der Altersgruppe der unter Dreijährigen (U3) würden mitunter bis zu 18 Kinder von einer Fachkraft betreut.

Nicht alle Bundesländer steuerten ihre Kindergärten mangels Statistiken bei den Personalvakanzen im Blindflug. In Rheinland-Pfalz müsse jeder Kindergarten zeitnah anzeigen, wenn eine Erzieherstelle unbesetzt sei, berichtet Haderlein. Dann werde umgehend Ersatzpersonal beschafft. Für den Koblenzer Professor gehört das zur gesetzlichen Aufsichtspflicht. Schließlich gäben die Länder Milliarden für Kindergartenpersonal aus.

Arbeitsmarkt für Erzieher "leergefegt"

Offensichtlich werde diese Aufsichtspflicht bei den Kitas aber nur unzureichend wahrgenommen, urteilt Haderlein. Anders lasse sich der dramatische Personalnotstand kaum erklären. Hinzu komme ein massiver Fachkräftemangel. Der Arbeitsmarkt für Erzieher sei "leergefegt".

Nachbesetzungen dauerten oft mehr als ein halbes Jahr. Das NRW-Familienministerium zeigt sich angesichts der alarmierenden Zahlen sprachlos. Eine kurzfristige Antwort auf die Vorwürfe des Kitaleitungskongresses sei nicht möglich, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit. Die Fachabteilung sei derzeit besonders wegen der Novelle des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) "sehr eingespannt".

570 Millionen Euro vorgerechnet

Mit den kommunalen Spitzenverbänden hat sich Minister Stamp darauf verständigt, 1,3 Milliarden Euro zusätzlich an die Kindergartenträger zu zahlen. Zugleich soll ein zweites Kita-Jahr in NRW kostenfrei werden. Die Wohlfahrtsverbände und Kirchen beklagen, dass mit der Milliardenspritze nur notdürftig Löcher gestopft würden. Weder werde so die Betreuungsqualität verbessert, noch gebe es die zugesagte Entlastung für Wohlfahrt und Kirchen beim Eigenanteil.

Zudem hat die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege dem Familienminister inzwischen eine Finanzierungslücke von 570 Millionen Euro vorgerechnet. Offenbar seien in den Kalkulationen seines Ministeriums Ausgaben für Verwaltungskosten, Sachinvestitionen und Außenanlagen von Kindergärten schlicht ignoriert worden. Stamp hingegen verteidigt sein Finanzkonzept mit einer "veränderten Systematik" bei den Berechnungsgrößen.

"Sauber, trocken, satt"

Für den Verband Bildung und Erziehung (VBE) herrscht in den Kindergärten längst "Alarmstufe Rot". Kitas verkämen zunehmend zu "besseren Verwahranstalten", sagt der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Trotz aller Anstrengungen könnten die meisten ihrem Bildungsauftrag nicht mehr gerecht werden. Der Staat habe seit Jahren dringend notwendige Investitionen in Kitas verweigert, beklagt Beckmann. Durch ihr "Nicht-Handeln" nähmen die Politiker einen "erheblichen Schaden" der Kinder in Kauf.

"Unser Problem ist, das wir bei der Regierungsübernahme ein völlig unterfinanziertes System vorgefunden haben", betont Stamp. Jetzt sei eine umfassende KiBiz-Reform notwendig, um Betreuungsqualität und Sprachförderung deutlich zu verbessern. Gleichzeitig würden die Kita-Öffnungszeiten flexibilisiert, mehr Zeit für Kita-Leitungen ermöglicht und die Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher attraktiver gemacht. Gute Kinderbetreuung, so Stamp, müsse mehr sein als "sauber, trocken, satt".


Quelle:
KNA