DOMRADIO.DE: Wenn Sie in diesen Tagen in Wuppertal unterwegs sind, wie wird da in den Gemeinden über das Thema Missbrauch diskutiert?
Werner Kleine (Pastoralreferent für Citypastoral im Stadtdekanat in Wuppertal): Es ist erst einmal gar keine große Überraschung mehr, weil wir den Missbrauchsskandal 2009 ja schon mal hatten. Dass in der Kirche missbraucht wird, schockiert die Leute schon gar nicht mehr. Das ist in sich schon fast erschütternd, dass man gar nichts anderes erwartet hat.
DOMRADIO.DE: Gibt es trotzdem Reaktionen?
Kleine: Was die Leute empört und erschüttert ist zweierlei: Erstmal das Ausmaß, das jetzt offenbar wird. Schauen wir uns die Zahlen an: 3.677 Missbrauchsfälle durch 1.670 Kleriker. Da kann man eben nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Es steht im Raum, dass fünf Prozent der Kleriker an Missbräuchen beteiligt waren. Das heißt, jeder Zwanzigste. Auch in den Gemeinden ist klar: Wir werden in unseren Reihen jemanden gehabt haben, der an so etwas - rein statistisch gesehen - beteiligt war. Da brechen jetzt Bilder zusammen.
DOMRADIO.DE: Was für Bilder?
Kleine: Es gab lange Zeit die Bilder vom Herrn Pastor, Hochwürden und dem Herrn Kaplan in den Köpfen, die emotional sehr positiv bewertet wurden. Diese Bilder schwinden. Da machen sich emotional Enttäuschungen breit.
Das Zweite, was noch viel stärker im Raum steht - und da bin ich fast dankbar - ist die Empörung, dass bisher offenkundig kein erkennbarer Aufklärungswille da war. Dass man diese Studie zum Anlass nimmt, endlich aufzuklären, ist an sich gut. Aber die Frage steht im Raum: Warum erst jetzt? Warum hat man das bisher nicht gemacht?
DOMRADIO.DE: Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki will jetzt eine externe Kommission einsetzen, wo alles schonungslos auf den Tisch kommt. Wie wird so etwas wahrgenommen?
Kleine: Das wird an der Basis durchaus schon mit sehr viel Aufmerksamkeit wahrgenommen. Andere Bischöfe, wie Ipolt in Görlitz, wollen eine Messe für Opfer und Täter feiern. Das verstehen die Leute überhaupt nicht. Was jetzt wirkt und die Glaubwürdigkeit der Kirche retten kann, ist absoluter und schonungsloser Aufklärungswille. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Um es biblisch zu sagen: Die Wahrheit wird Euch freimachen.
DOMRADIO.DE: Gibt es aber neben Wut und Enttäuschung auch eine Resignation? Das hört man ja immer wieder, dass es heißt: Ach Mensch, die Kirchenoberen und das Thema Sexualität - da wird sich doch eh nichts ändern. Wie ist das?
Kleine: Ich glaube, dass wir generell in einer Umbruchzeit leben, von der ich nicht weiß, ob wir das kirchenintern - also auf der Ebene der Hauptamtlichen - wirklich schon so nachvollzogen haben. Diese alten Kirchenbilder: Da oben ist der Herr Pastor, Hochwürden, vor dem macht man einen Knicks und sagt "Gelobt sei Jesus Christus". Diese Zeiten sind nicht nur längst vorbei, sondern diesen Vertrauensvorschuss gibt es einfach nicht mehr. Wir haben also eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise. Es ist die große Herausforderung dieser Gegenwart, mit diesem Missbrauchs-Thema so umzugehen, dass diesem Glaubwürdigkeitsverlust massiv entgegengewirkt wird. Und das geht nur, indem man tatsächlich objektiv und unabhängig aufklären lässt.
DOMRADIO.DE: Da steckt noch ganz schön viel Arbeit drin; ein langer Weg. Wie ist es persönlich bei Ihnen, als Mitarbeiter der Kirche? Wie werden Sie mit diesen Missbrauchsvorwürfen konfrontiert?
Kleine: Das ist in meinem Fall noch etwas ganz Besonderes, weil wir vonseiten der katholischen Citykirche Wuppertal ja gezielt die Öffentlichkeit suchen. Wir gehen auf die Straßen und Plätze der Stadt. Ich stelle mich regelmäßig auf Plätze und halte eine Platzrede. Da gehe ich natürlich auch auf dieses Thema ein.
Die normale Gesellschaft unterscheidet jetzt nicht, ist da ein Priester vor mir, ist der Priester überhaupt Täter? Oder ist der Priester kein Täter? Ich selber bin ja gar kein Priester, sondern da steht jetzt einfach jemand, sichtbar für die katholische Kirche. Und das führt in Tagen wie diesen dazu, dass man dann auch öffentlich beschimpft wird. Da muss man schon einiges einstecken. Im Moment ist es nicht vergnügungssteuerpflichtig, draußen zu stehen. Da weht uns der Wind gerade entgegen.
DOMRADIO.DE: Aber Sie machen im Prinzip genau das, was jetzt gebraucht wird, nämlich Glaubwürdigkeit wiederherstellen...
Kleine: Das ist unser Job. Da stehen wir auch für. Nirgendwo in der Bibel steht, dass Christsein immer nur ein Zeichen großer Freude ist. Der, an den wir glauben, ist auch nicht sanft entschlafen, sondern am Kreuz gestorben und von den Toten auferstanden. Und da muss man in Zeiten wie diesen halt auch entsprechend dastehen, um das Evangelium weiter verkünden zu können.