Wie realistisch ist derzeit eine Zweistaatenlösung?

"Gefährlicher Flächenbrand"

Der EU-Außenbeauftragten Borrell hat eine neue Strategie für eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt vorgelegt. Ist Frieden möglich oder doch eine Utopie? Für Journalist Matthias Kopp erscheint die aktuelle Lage fast aussichtslos.

Stacheldraht, im Hintergrund unscharf der Felsendom in Jerusalem. / © Mohammed musthafa p (shutterstock)
Stacheldraht, im Hintergrund unscharf der Felsendom in Jerusalem. / © Mohammed musthafa p ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Der brutale Anschlag der Hamas auf Israel ist knapp vier Monate her. Es folgte der Militärschlag der israelischen Regierung in Gaza. Auf beiden Seiten gab es bislang zahlreiche Opfer. Es scheint ausweglos. Empfinden Sie das auch so? 

Archäologe und Theologe Matthias Kopp (KNA)
Archäologe und Theologe Matthias Kopp / ( KNA )

Matthias Kopp (Theologe, Archäologe, Publizist und Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz): Ja, es ist auch völlig ausweglos derzeit. Es wäre zu schön, um wahr zu sein, wenn es wirklich eine Vision für Frieden derzeit gäbe, auf die ich natürlich immer hoffe.  

Matthias Kopp

"Das Ganze ist derart unübersichtlich und droht zu eskalieren".

Denn der Konflikt vom 7. Oktober 2023 hat sich bereits als gefährlicher Flächenbrand entwickelt. Wir sehen, das durch die Angriffe aus dem Jemen, im Roten Meer, im Golf von Suez, und vor allem durch die Angriffe des Iran auf Stellung in den Irak hinein. Das Ganze ist derart unübersichtlich und droht zu eskalieren, dass man nur hoffen kann, dass jeder Ansatz eines Gesprächs über und miteinander Früchte trägt.

DOMRADIO.DE: Dieser Konflikt ist sehr alt, erstreckt sich über Generationen. Wie Sie sagen, kaum jemand bekommt das alles richtig zu packen. Es gibt viele Perspektiven. Wo fangen Sie an, wenn Sie sich damit beschäftigen?

Kopp: Einmal natürlich in dem Konflikt selbst zwischen Israel und der Hamas in Gaza, aber auch in dem supranationalen Konflikt, der vom Iran ausgeht, der jetzt die Chance nutzt, die hochgerüstete schiitische Hisbollah im Libanon so zu nutzen, dass vom Libanon aus Angriffe auf Israel kommen und gleichzeitig der Iran offensichtlich versucht, einen Flächenbrand im Nahen Osten zu eskalieren. 

Wie angedeutet, die Angriffe Richtung Irak, die Explosion, die es in Syrien gab, die Konflikte Richtung Pakistan, das alles sind Elemente, die in diesem Konflikt eine Rolle spielen. Ich bin wirklich in großer Sorge, dass wir hier eine Eskalationsstufe erreichen, die uneinholbar ist. Wir sind in einer Situation im Nahen Osten, die mir dramatischer erscheint als in der Phase nach dem Sechstagekrieg von 1967.

DOMRADIO.DE: Die Zweistaatenlösung kommt wieder als Möglichkeit auf den Tisch. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat ein Konzept vorgelegt. Für Sie ist das auch der Weg, den man einschlagen sollte, oder? 

Matthias Kopp

"Die Zweistaatenlösung ist schwer beschädigt. Einige sagen auch, sie ist tot. Aber wir müssen nicht im Konjunktiv sprechen, denn sie ist existent, völkerrechtlich seit 1994."

Kopp: Nicht einschlagen sollte, es gibt die Zweistaatenlösung. Ich staune immer darüber, dass sie angeblich nicht existiere. Die Zweistaatenlösung ist schwer beschädigt. Einige sagen auch, sie ist tot. Aber wir müssen nicht im Konjunktiv sprechen, denn sie ist existent, völkerrechtlich seit 1994. 

Das wird mir in der gegenwärtigen Debatte zu sehr vergessen. Wir haben eine Zweistaatenlösung, sie ist korrumpiert worden, sie ist auch teilweise in alte Grenzen zurückversetzt worden. Ich glaube, wir brauchen eine Wiederbelebung der Zweistaatenlösung, dessen, was 1994 ermöglicht wurde, als ein palästinensischer Staat international entwickelt wurde, auch anerkannt wurde. Und der Staat Israel muss sich in diese Verpflichtung zurückgesetzt fühlen, diese Zweistaatenlösung zu wollen. 

Gleichzeitig müssen die Palästinenser ihre demokratische Reife zeigen, künftig einer solchen Zweistaatenlösung zuzustimmen. Die Westbank, also das Gebiet von Jenin im Norden bis hin nach Bethlehem im Süden existiert mit einer Regierung der Al-Fatah, die mit der Hamas kaum spricht im Gazastreifen. Es stellt sich also die Frage, wie gelingt es den Palästinensern, ihren Staat aufrecht zu erhalten? Wie gelingt es Israel, diesen Staat Palästina dauerhaft zu akzeptieren?

DOMRADIO.DE: Israels Ministerpräsident Netanjahu und auch die Hamas lehnen eine solche Lösung gerade vehement ab. Kann man da von außen einwirken? 

Matthias Kopp

"Völlige politische Verantwortungslosigkeit sind solche Äußerungen der Hamas und von Benjamin Netanjahu."

Kopp: Völlige politische Verantwortungslosigkeit sind solche Äußerungen der Hamas und von Benjamin Netanjahu. Es ist zu hoffen, dass die Europäische Union die Kraft ihrer Verhandlungsstärke, die sie früher hatte, wieder mit auf das Parkett bringt. 

Wie sich die Situation in den USA entwickelt, die ein wichtiger Player im Nahen Osten sind, ist außerordentlich fraglich mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen, die anstehen. Während Wahlen in den USA vorbereitet werden, während Russland sich in einem Krieg befindet, hat die EU eine unglaublich wichtige Stellung und ich hoffe, dass sie diese Verantwortung wahrnimmt, hier an Konzepten zu arbeiten, Partner an einen Tisch zu bringen.

DOMRADIO.DE: Am Abend halten Sie einen großen Vortrag zu genau diesem Thema im Maternushaus in Köln. Sie ordnen da die derzeitige Situation völkerrechtlich, weltpolitisch ein. Was genau ist da Ihre Botschaft?

Kopp: Dass wir die Zweistaatenlösung 2.0 benötigen, wie ich versuche am Abend auszulegen. Ich werbe noch mal dafür, dass das aus dem Gaza-Jericho-Abkommen von 1994 auch passiert. Ich erkläre auch, warum ich davon überzeugt bin, dass diese Lösung nicht tot ist, dass wir sie nur zu neuem Leben erwecken müssen. Das ist, glaube ich, die Botschaft, die gleichsam die Quadratur des Kreises ist. 

Ich will den Blick auch auf die Situation in Syrien und im Irak lenken, weil beides fragile Staaten sind, die in dieser derzeitigen Eskalation eine sehr wichtige Rolle einnehmen und – wie schon angemerkt – durch den Iran angegriffen eine Rolle einnehmen müssen, und zwar dahingehend, dass sie nicht das Zünglein an der Waage für einen Friedensprozess sind, sondern dass der Friedensprozess im Nahen Osten mit allen Staaten im Nahen Osten zusammenhängt: Israel, Palästina, Libanon, Syrien, Irak, dem Iran, dem Jemen und letzten Endes auch Ägypten.

Das Interview führte Verena Tröster. 

Zweistaatenlösung

Mit der Resolution 181 (II) hat die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 29. November 1947 den UN-Teilungsplan für Palästina angenommen. Er sieht die Einrichtung zweier unabhängiger Staaten für Juden und Araber auf dem Gebiet Palästinas vor und wollte Jerusalem und Bethlehem unter internationale Kontrolle stellen. 

Getrennte Straße in der Judäischen Wüste / © Andrea Krogmann (KNA)
Getrennte Straße in der Judäischen Wüste / © Andrea Krogmann ( KNA )
Quelle:
DR