Sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe ließe sich verstehen, wenn man auch die historische Dimension berücksichtige, erklärte Helena Haack von der Frauenrechtsorganisation medica mondiale e.V. im Interview gegenüber DOMRADIO.DE. Jeder dokumentierte Krieg belege, dass es solche Taten gegeben habe. Waffen hätten sich über die letzten Jahrhunderte und Jahrtausende weiter entwickelt, sexualisierte Kriegsgewalt hingegen sei eine Konstante.
Dass sich die Situation von Frauenrechten weltweit in den letzten Jahren verschlechtert habe, sei ein Indiz dafür, dass sich auch in den Kriegssituationen die Gewalt gegen Frauen verschärfe, so Haag. Vergewaltigungen im Krieg seien kein Ausdruck von normaler Sexualität, daher werde von "sexualisierter Gewalt" gesprochen, um die Gewalt in den Vordergrund zu stellen. "In erster Linie ist das ein Ausdruck von Macht." Im Extremfall gehörten systematische Vergewaltigungen zur Kriegsstrategie.
Häufig existiere die Vorstellung, dass ein Oberbefehlshaber einen konkreten Befehl zur Vergewaltigung an die Soldaten weitergibt. Die Wahrheit sähe viel subtiler aus, so Haack: "Es ist so, dass die Generäle schon wissen, dass ihre Soldaten sich im Kriegskontext so verhalten werden." Sobald sie nichts dagegen tun würden oder eine Atmosphäre schufen, die die Soldaten vor Strafverfolgung schütze, könne man von einem strategischen Einsatz dieser Vergewaltigungen sprechen.
Strafverfolgung ist kompliziert
Das sei auch am Beispiel der Ukraine zu sehen, so Haack weiter. Etwa dann, wenn Putin Soldaten öffentlich auszeichne, die in Butscha derartige Gräueltaten begangen haben: "Das war ein ganz eindeutiger Code an die anderen Soldaten, dass so ein Verhalten sogar begrüßt wird." Auch hier könne von einer Strategie gesprochen werden.
In den Kriegsregionen der Welt ließe sich beobachten, dass auch häusliche Gewalt zunehme und Frauen auf der Flucht immer häufiger in Abhängigkeiten gerieten. Die Auswirkungen der Gewalt seien deutlich langfristiger, wenn man bedenke, dass die Beziehungsfähigkeit dadurch zerstört werde und Traumata über Generationen hinweg weitergegeben würden und auch dort Schaden anrichteten.
Obwohl der internationalen Gerichtshof und diverse andere Organisationen gegen Menschenrechtsverletzungen vorgingen, sei es schwierig mit der Strafverfolgung. Die Taten ließen sich nicht dokumentieren und damit kaum eindeutig nachweisen. Hier sieht Haack besonders großen Handlungsbedarf. Wenn es Prozesse gebe, seien die für die Betroffenen besonders schwer. Daher sei eine traumasensible Begleitung während dieser Phase wichtig.
Wenn aus den Verbrechen Kinder hervorgehen
Aus den Verbrechen der Vergewaltigung gingen häufig auch Kinder hervor. Ein Beispiel aus Bosnien ist für Helena Haack besonders eindrücklich: das einer Frau aus Bosnien, die nach einer Vergewaltigung vor 20 Jahren eine Tochter bekam. Die Tochter sei heute selbst als Psychologin tätig, erzählt sie, und habe eine Organisation gegründet, die sich für mehr Öffentlichkeit für dieses Thema einsetzt. Denn weltweit gebe es viele Kinder mit genau diesem Hintergrund.