Die Franziskaner-Minoriten sind nur eine kleine Ordensgemeinschaft. Aktuell zählt die Deutsche Provinz mit Hauptsitz in Würzburg 40 Mitglieder an sechs Standorten.
2022 hat sich die Gemeinschaft entschieden, in Sachen Missbrauch für Aufklärung zu sorgen. Sie beauftragte zwei unabhängige Kölner Rechtsanwältinnen, um Licht ins Dunkel zu bringen. Auf Basis einer Vereinbarung zwischen dem Dachverband der katholischen Orden in Deutschland mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung von 2021. Seit Montag liegt der Abschlussbericht vor.
Auf 152 Seiten tun sich Abgründe auf, die so gar nicht mit dem sittsamen Leben eines der Keuschheit verpflichteten Gottesmanns zusammenpassen. Zu Übergriffen kam es nicht nur auf Kinder und Jugendliche in den ordenseigenen Internaten, auch Mitbrüder blieben nicht verschont. "Eine Besonderheit war, dass etliche Betroffene in den Orden eingetreten sind beziehungsweise bereits dort waren und es nach wie vor Betroffene unter den Brüdern gibt", so die Autorinnen Petra Ladenburger und Martina Lörsch.
Beschuldigter will sich nicht äußern
Der in ihrem Bericht mit dem Kürzel "Br. JB" belegte Fall sticht besonders hervor. Der 1953 geborene Mann trat 1978 im fränkischen Kloster Schwarzenberg bei den Franziskaner-Minoriten ein. Zuvor war er aus dem Priesterseminar geflogen, was damals zum Orden nicht durchgedrungen sein soll. Er zählt zu den noch lebenden Beschuldigten. Gegenüber den Anwältinnen wollte er sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Was nun folgt, basiert auf Aussagen Betroffener und anderer Zeitzeugen.
Schon aus seinen Anfangsjahren wird von einem Fall aus dem Würzburger Kloster berichtet. JB und ein sogenannter Junior verbrachten demnach den Abend allein im Erholungsraum des Ausbildungstrakts. Auf dem Weg in die Zimmer habe er versucht, den Mitbruder am Ohr zu küssen. Als dieser ihn zurückwies, habe er ihm deutlich gemacht, dass die vom heiligen Franziskus geforderte Bruderliebe erst in der körperlichen Liebe zweier Brüder ihre Erfüllung finde.
2008 erstmals verwarnt
1981 oder 1982 habe es JB erneut bei einem jüngeren Mitbruder versucht. Ihm bei einem abendlichen Gespräch den Arm auf die Schulter gelegt sowie sein Bein über dessen Bein und ihn dann aufgefordert, die Hand auf sein Bein zu legen. Am Schluss sei noch sein Kopf auf der Schulter des Mitbruders gelandet. Der habe sich der Situation entzogen und das Zimmer verlassen. Ein anderer Bruder berichtete, mit JB auf dem Sofa gesessen zu haben. Auf einmal habe dieser ihn umklammert und mit ihm "zu schmusen" versucht. Es sei ihm aber gelungen, sich zu lösen und den Raum zu verlassen. Der Mitbruder meldete den Vorfall am Folgetag. JB sei er danach aus dem Weg gegangen.
Als ein etwa 20-jähriger Mann, der an einem Ordenseintritt interessiert war, auf der Durchreise im Kloster übernachtete, kam JB dem Bericht zufolge in dessen Zimmer und legte sich zu ihm ins Bett. Diese Nummer soll JB mehrfach auch bei Mitbrüdern abgezogen haben. Es dauerte bis 2008, bis der Provinzial nach einer Rücksprache mit Rom eine Verwarnung aussprach und mit Suspendierung drohte.
Juristisch nicht strafbar
In der Untersuchung heißt es, dass der Bruder Übergriffe oft an erwachsenen Personen verübte. Häufig im Rahmen von Beicht- oder seelsorgerischen Gesprächen oder unter Ausnutzung eines besonders persönlichen Verhältnisses. Bei der juristischen Ahndung solcher Taten tue sich ein Problem auf, schreiben die Autorinnen. "Sexueller Missbrauch innerhalb der Seelsorge ist weder nach alter noch nach derzeitiger Rechtslage strafbar."
Kirchenintern mahlten die Mühlen nur langsam. Als seine Entlassung aus dem Orden bevorstand, machte JB selbst einen Schnitt und trat 2021 aus.