Wie steht es um die Missbrauchsaufarbeitung in Spanien?

"Es besteht das Problem der Verjährung"

Nach einigem Zögern haben sich Spaniens katholische Bischöfe im Februar entschieden, eine landesweite Missbrauchsstudie in Auftrag zu geben. Der Jurist Javier Cremades leitet die Untersuchung und berichtet über den Stand der Arbeiten.

Almudena-Kathedrale in Madrid / © Lukasz Janyst (shutterstock)
Almudena-Kathedrale in Madrid / © Lukasz Janyst ( shutterstock )

KNA: Den Zuschlag für die Untersuchung von Missbrauch in der katholischen Kirche in Spanien erhielt eine private Anwaltskanzlei in Madrid, die Anfang 2023 Ergebnisse vorstellen will. Sie leiten die Untersuchung. Wie viele registrierte Missbrauchsfälle gibt es im Umfeld der Kirche in Spanien?

Javier Cremades (Jurist, Leiter der Untersuchung und Mitglied bei Opus Dei): Wir haben noch keine genaue Zahl. Bei der Erstellung unseres Gutachtens sind wir noch nicht fertig mit den Befragungen der Diözesen, Institutionen und Orden, die sich bereiterklärt haben, einschlägige Fälle zu identifizieren und uns mitzuteilen. Nicht alle kooperieren in gleichem Maße.

KNA: Warum dauert der Aufklärungsprozess deutlich länger als in anderen europäischen Ländern?

Cremades: Wir teilen diesen Eindruck nicht. Richtig ist allerdings, dass die Aufklärungsarbeit in einigen Diözesen schneller vorangeht als in anderen.

KNA: In Deutschland zum Beispiel sind die Nachforschungen viel weiter fortgeschritten. Warum fordert die spanische Gesellschaft nicht mehr Tempo?

Cremades: Das mag an der gegenwärtigen Nachrichtenlage liegen. Wir haben so viele Katastrophen zu verdauen. Ich glaube zwar nicht, dass die Spanier kein Interesse an der Missbrauchsthematik haben; aber wir werden derzeit überladen mit Informationen jedweder Art. Sobald das Gutachten vorliegt, wird das Interesse bestimmt steigen.

KNA: Dass es bereits zu Suiziden unter den Opfern gekommen ist, müsste den Aufklärungsdruck doch steigern.

Cremades: Jeder Tod und jedes Opfer ist beklagenswert. Sicher dauert alles etwas zu lange. Kirche und Gesellschaft an sich müssen Missbrauchsfälle schneller erkennen und klare Konsequenzen ziehen.

Wichtig sind Prävention und Entschädigung der Betroffenen. Wir für unseren Teil arbeiten daran, dass die Opfer im Zentrum der Untersuchung stehen. Unsere Arbeitsgruppe umfasst 32 Personen, darunter auch Psychologen. Sie haben die Aufgabe, alle relevanten Fälle herauszufiltern. Die Zusammenarbeit mit dem vom Parlament eingesetzten Ombudsmann Angel Gabilondo beruht auf gegenseitigem Respekt.

KNA: Wer sind dann die Bremser in diesem Prozess?

Cremades: Niemand bremst wirklich; aber es gibt einige Erzbischöfe, die nicht so kooperativ sind. In manchen Bistümern gibt es genaue Strukturen, um Missbrauchsfälle systematisch zu erfassen; in anderen steht man noch am Anfang.

KNA: Warum müssen sich die Täter nur selten vor Gericht verantworten?

Cremades: Wir arbeiten auch an juristischen Konsequenzen im Rahmen staatlicher Gerichte. Hinzu kommen die kirchlichen Prozesse. Wie bei allen Missbrauchsfällen besteht das Problem der Verjährung von Straftaten. Das liegt daran, dass viele Opfer erst Jahre später den Schritt zur Anzeige wagen.

Eine Psychologin, mit der wir zusammenarbeiten, sagte uns, dass jeder Betroffene seinen eigenen Moment finden muss, in dem er die Kraft hat, seinen Fall zu schildern. Wir haben aber trotz der Verjährungsfristen die Pflicht, den Opfern durch Therapie, Vermittlung von Hilfsangeboten und durch Entschädigungen beizustehen.

Das Interview führte Stefanie Claudia Müller.

Quelle:
KNA