DOMRADIO.DE: 43 Prozent der jungen Menschen unter 29 Jahren sehen sich als christlich, aber lange nicht alle glauben an den einen Gott. Das ist Ergebnis der Trendstudie "Jugend in Deutschland - Sommer 2022". Ist das aus Ihrer Sicht eine realistische Einschätzung?
Annika Jülich (Diözesanvorsitzende beim Bund der deutschen katholischen Jugend / BDKJ): Grundsätzlich würde ich sagen ja. Das zeigen auch andere Studien. Das bestätigt sich zum Beispiel in der Shell-Jugendstudie, in der Sinus-Jugendstudie, an der auch der BDKJ beteiligt ist. Da erreichen wir auch ein katholisches Milieu.
Wenn ich jetzt auf mein persönliches Umfeld schaue und auf das Umfeld der Jugendverbände, kann ich das auch nur bestätigen. Ich erlebe das an ganz vielen Stellen, auch in meinem Freundeskreis. Da hinterfragen viele ihren Glauben, weil sie auch nicht mehr so an ihr Elternhaus gebunden sind. Sie hinterfragen auch die Institution Kirche sehr stark und verlieren dadurch den Kontakt zu Angeboten.
Bezogen auf die Jugendverbände sind diese Fragen sehr wichtig, gerade die Fragen an die Institution selbst.
Allerdings sind die Jugendverbände an vielen Stellen doch noch attraktiv für junge Menschen, weil sie eine gewisse Unabhängigkeit mit sich bringen. Junge Menschen können sich dort ausprobieren, wie sie das möchten. Wir haben in den letzten Monaten, in den letzten Jahren gemerkt, dass die Verbundenheit da sehr groß ist, sodass viele dann doch zumindest den Jugendverbänden treu bleiben.
DOMRADIO.DE: Aber 43 Prozent der jungen Menschen gehen nicht unbedingt in die Kirche. Deswegen werden sie vielleicht auch nicht auf dieses Angebot der Kirchen aufmerksam. Jetzt hat die Corona-Pandemie Kirche digitaler gemacht. Sind dadurch vielleicht dann doch mehr junge Menschen auf Kirche aufmerksam geworden oder sind es gar noch weniger?
Jülich: Mehr würde ich nicht sagen. Wir haben aber festgestellt, dass die Mitgliedszahlen in den Jugendverbänden in den letzten zwei Jahren nicht gesunken sind. Das hat sicherlich mit digitalen Angeboten zu tun. Da war die Motivation sehr groß, von Anfang an an die jungen Menschen zu denken, also zum Beispiel Gruppenstunden weiter aufrechtzuerhalten. Das war ganz wichtig.
Mehr junge Menschen damit zu erreichen, fiel dann doch schwer. Da lebt Kirche auch von Gemeinschaft, von den persönlichen Begegnungen und auch den Begegnungen mit Menschen, die noch gar keine Verbindung oder keine Verbindung mehr zur Kirche haben. Aber zumindest in den Jugendverbänden ist der Kontakt an ganz vielen Stellen nicht verloren gegangen.
DOMRADIO.DE: Wie kann Kirche noch stärker auf die Bedürfnisse junger Menschen eingehen?
Jülich: Ich würde sagen, dass es gar nicht mal unbedingt um die Angebote an sich geht, sondern um die Haltung, mit der Kirche auf junge Menschen zugeht. Wenn man zum Beispiel das Gefühl hat, dass man sich bei einem Angebot ausprobieren kann und so sein kann, wie man ist, dann werden die Angebote auch attraktiver. Natürlich müssen dafür auch soziale Medien genutzt werden.
Wenn die Offenheit dahinter stimmt, dann sind auch junge Menschen zu erreichen, die bislang nicht so viel Berührung mit der Kirche hatten. Das merken wir zum Beispiel bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern, bei der Malteser-Jugend, die noch mal ein besonderes Profil haben und sehr nach außen wirken. Das funktioniert durchaus.
Aber an vielen Stellen ist die Haltung nicht mehr entsprechend der Lebensrealität, gerade abseits der Jugendverbände. So fühlen sich viele Menschen gar nicht angesprochen durch das, wie Kirche da auf junge Menschen zugeht.
DOMRADIO.DE: Diejenigen, die in den Jugendverbänden sind, zum Beispiel auch in der Katholischen jungen Gemeinde (KjG), sind oft die, die sowieso schon die christlichen Werte von zu Hause aus mitkriegen. Haben Sie ein besonderes Augenmerk darauf, genau die zu erreichen, bei denen das nicht so ist?
Jülich: Ja, an vielen Stellen schon. Zum Beispiel gehen viele Jugendverbände vor Ort auch auf Schulen zu, an denen viele Menschen sind, die keine Berührungspunkte haben. Das ist schon wichtig.
Es ist zum Beispiel auch der Katholischen jungen Gemeinde sehr wichtig, Menschen zu erreichen, die von der Institution Kirche diskriminiert werden. Es gibt viele queere junge Menschen, die sich dort aufgehoben fühlen. Auch in der Katholischen Studierenden Jugend in Köln gibt es mittlerweile eine Ortsgruppe, die queere studierende Jugend, in der viele doch wieder ein zu Hause finden und den Weg zumindest in einen Bereich der katholischen Kirche zurückfinden.
Das Interview führte Dagmar Peters.