Wiener Dompfarrer erinnert sich an vereitelte Anschlagspläne

"Wir waren niemals so gut bewacht wie in diesem Gottesdienst"

Vor einem Jahr vereitelten österreichische Behörden einen Terroranschlag am Stephansdom. Die Gefahrenlage ist seitdem nicht kleiner geworden. Das Bistum steht im ständigen Austausch mit der Polizei und dem Innenministerium.

Autor/in:
Clemens Sarholz
Stephansdom in Wien / © Annika Schmitz (KNA)
Stephansdom in Wien / © Annika Schmitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Vor einem Jahr wurde am Stephansdom ein Terroranschlag vereitelt. Wie haben Sie das erlebt?

Toni Faber ist Dompfarrer im Stephansdom Wien. / © Dompfarre.info/Suzy Stöckl
Toni Faber ist Dompfarrer im Stephansdom Wien. / © Dompfarre.info/Suzy Stöckl

Toni Faber (Dompfarrer am Stephansdom): Am Vortag des Weihnachtsabends hat mich der Polizeipräsident persönlich verständigt. Es gebe eine Gefahrenlage, ein Anschlag sei geplant gewesen. Man müsse höchste Sicherheitsvorkehrungen vornehmen. Wir waren dankbar dafür, dass wir Gottesdienste feiern konnten, aber in den Medien hat das natürlich für Aufregung gesorgt und die Mitfeiernden minimiert.

Aber wir waren niemals so gut bewacht wie in diesem Gottesdienst: 200 Beamte in Uniform, Beamte in Zivil, teilweise mit Langwaffe vor dem Dom. Es war eine ganz besondere Atmosphäre. Bevor man den Dom betreten hat, musste man an zehn Beamten mit Maschinenpistolen und Vollvisier vorbei. Aber das hat uns nicht beeinträchtigt, das Weihnachtsfest zu feiern.

DOMRADIO.DE: Wie wirkt sich das auf das diesjährige Weihnachtsfest aus?

Faber: Diese gute Zusammenarbeit mit den Behörden, mit der Wiener Polizei und dem Innenministerium hat uns gewappnet für all das, was kommen mag. Natürlich hoffen wir sehr auf völlig ungestörte Weihnachtstage. Aber gleichzeitig fühlen wir uns sehr gut beschützt von den Behörden. 

DOMRADIO.DE: Das war nicht die erste Bombendrohung, die Sie im Stephansdom gehabt haben. Wie gehen Sie damit um?

Faber: Bei so großen Attraktionen wie dem Stephansdom gibt es ja immer wieder mal Unsicherheiten, wie auch Bombendrohungen. Ich persönlich bin darauf vorbereitet, nicht in Panik zu verfallen und mich nicht von Angst und Furcht beherrschen zu lassen. Das ist es ja, was die Terroristen wollen: Angst, Furcht und Schrecken erzeugen. 

Meine Aufgabe ist es, Menschen zusammenzuführen und sichere Gottesdienste zu feiern, Menschen an Hoffnungsgeschichten teilhaben zu lassen. Nichts, was wir im Leben tun, ist gänzlich risikofrei. Das soll uns aber nicht daran hindern, dem nachzukommen, was wir uns vorgenommen haben und was wir als richtig erkennen, was für uns auch der Wille Gottes ist. Es wäre falsch in so einer Zeit und wirklich nur das allerletzte Mittel, Gottesdienste abzusagen.

Polizisten stehen nach Hinweisen auf einen möglichen Anschlagsplan einer islamistischen Gruppe vor der Domkirche St. Stephan. / © Max Slovencik (dpa)
Polizisten stehen nach Hinweisen auf einen möglichen Anschlagsplan einer islamistischen Gruppe vor der Domkirche St. Stephan. / © Max Slovencik ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was haben die Menschen Ihnen erzählt?

Faber: Eine junge Mutter von drei Kindern sagte mir erst noch, dass sie auf jeden Fall mit ihren Kindern in die Heilige Messe käme und hat mich dann am Heiligen Abend tränenreich angerufen, um mir zu sagen, dass es die Großmutter verboten habe: "Du darfst doch mit den Kindern nicht in die Kirche gehen, wenn so eine Gefahrenlage da ist." Das hat die Leute schon beeinträchtigt. 

Aber gleichzeitig wissen wir uns gehalten und wir wissen, dass wir Hoffnungsgeschichten weiterschreiben sollen. Im Vergleich zu dem, wie unsere Väter, Großväter und Großmütter Weihnachten erlebt haben, in anderen Situationen, im Bombenhagel, ist die Gefahrenlage dann doch relativ gering.

Toni Faber

"Nach der Mitternachtsmesse, um halb 2 in der Nacht, stand ich mit 80 schwerbewaffneten Polizeibeamten auf dem Stephansplatz."

DOMRADIO.DE: Was machen Sie, um den Menschen die Sicherheit zurückzugeben? 

Faber: Immer wieder darauf hinweisen, dass wir alle menschlichen Vorkehrungen getroffen haben. Mit der Polizei stehen wir das ganze Jahr über im guten Kontakt. 

Da gab es eine Sache, die mich vor einem Jahr besonders berührt hat. Nach der Mitternachtsmesse, um halb 2 in der Nacht, stand ich mit 80 schwerbewaffneten Polizeibeamten auf dem Stephansplatz und habe mit ihnen noch eine Weihnachtsandacht gehalten. Ich konnte sie in ihrer großen Ausrüstung mit einem Segen heimschicken, sodass sie selbst Weihnachten feiern konnten. Das war für mich sehr bewegend. Diese Menschen verschaffen uns Sicherheit. 

Dank ihnen konnten wir mitten in der Nacht, in dieser Dunkelheit die Unsicherheit niederlegen und feiern, dass es auch Licht gibt in der Welt. Es waren dann nicht 5.000 Menschen, die mit uns gefeiert haben, sondern nur etwas mehr als 3.000, aber die haben sich die Feierstimmung nicht nehmen lassen.

Leerer Wiener Stephansdom / © Hans Punz (dpa)
Leerer Wiener Stephansdom / © Hans Punz ( dpa )

DOMRADIO.DE: War es Ihre Initiative, den Beamten noch den Segen zu spenden? Oder wurden Sie darum gebeten?

Faber: Darauf hätte ich natürlich auch selber kommen können, aber dem Kommandanten war das ein Anliegen. Er hat mich gefragt, ob ich noch Zeit hätte, den Beamten einen Segen mitzugeben, wenn der Gottesdienst beendet ist. Das hat mich sehr berührt und ich habe das sehr dankbar aufgegriffen. 

Ich habe auch jetzt noch guten Kontakt mit dem Kommandanten und dem Präsidenten auch gesagt, dass er ganz tolle Leute hätte, mit denen ich noch gemeinsam gebetet hätte. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihr Sicherheitskonzept aus? 

Faber: Wir haben einen Sicherheitsbeauftragten vor dem Dom und wir arbeiten in der Vorbereitung von Weihnachten auch sehr eng mit Polizeieinheiten zusammen, außerdem gibt es ständige Absprachen mit dem Innenministerium. Wir kennen die Gefahrenlage und haben dann an den Aus- und Eingängen Beamte, die im Blick haben, wer hereinkommt und wer herausgeht. 

Natürlich kann man nicht lückenlos kontrollieren, wie am Flughafen, das würde das Feiern ungeheuer erschweren. Wenn jede Handtasche kontrolliert werden müsste, dann gäbe es eine lange Warteschlange und das ist praktisch nicht machbar. 

DOMRADIO.DE: Garantieren können Sie also nichts. 

Faber: Wir haben immer nur eine relative Sicherheit. Bei all unseren Sicherheitsbesprechungen ist uns das immer klar. Wir dürfen auch keine absolute Sicherheit für uns beanspruchen. Man ist nie ganz sicher und komplett ohne irgendeine Gefahrenlage. In dieser nüchternen Klarheit laufen unsere Gespräche und Vorbereitungen. Wir können nur die Risikoformen so gut es geht minimieren.

Toni Faber

"Der Polizeipräsident hat sehr deutlich gemacht, dass wir diese vermeintliche Sicherheitslage nie mehr so haben werden, wie wir das gewohnt sind."

DOMRADIO.DE: Es wurde eine eigene Polizei-Staffel gegründet, die sich um nichts anderes als den Schutz von öffentlichen Gebäuden kümmert. Wie läuft das bei Ihnen?

Faber: Die Wiener Polizei hatte das Bedürfnis, nicht aktive Beamte für den Objektschutz abzustellen, sondern Beamte für den Objektschutz zu spezialisieren. Das ist jetzt deren Hauptaufgabe, um die Streifen- und Kriminalpolizisten von diesen Aufgaben zu entlasten. Das war, glaube ich, sehr notwendig, weil die allgemeine Gefahrenlage gewachsen ist. 

Der Polizeipräsident hat bei der letzten Neujahrsansprache sehr deutlich gemacht, dass wir diese vermeintliche Sicherheitslage und dieses Sicherheitsbedürfnis nie mehr so haben werden, wie wir das von früher gewohnt sind. Wir müssen ständig mit neuen Gefahren und Bedrohungen rechnen. Die Kunst dabei ist, dass wir uns davon nicht abhalten lassen, das zu tun, was für uns lebenswert ist und was Zukunft stiftet.

Blick auf den Christkindlmarkt am Stephansplatz vor dem beleuchteten Stephansdom.  / © Georg Hochmuth (dpa)
Blick auf den Christkindlmarkt am Stephansplatz vor dem beleuchteten Stephansdom. / © Georg Hochmuth ( dpa )

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass das Sicherheitskonzept, das Sie in Wien haben, auch ein Beispiel für andere große Kirchen und Kathedralen sein könnte? 

Faber: Wir sind natürlich herausragend durch die Anzahl der Besucher. Wir haben sieben Millionen Besucherinnen und Besucher pro Jahr. Gleichzeitig haben wir jeden Tag sieben Gottesdienste, am Sonntag sogar neun und tausende Menschen, die eine Kerze anzünden. 

Wir sind in Österreich mit einem ganz großen Alleinstellungsmerkmal ausgerüstet, gleichzeitig gibt es auch in Deutschland Domkirchen von dieser Relevanz, von der Vielzahl der Gottesdienste, der Liebe der Einwohner zu ihrem Dom, den tausenden Kerzen, den Hunderten Beichten, den Andachten, die gehalten werden. Das ist dann vermutlich schon vergleichbar. 

Von Notre-Dame kann man sicherlich auch viel lernen. Wie bewältigen die Franzosen das? Die Kirche, im Eigentum des Staates, versucht freien Eintritt zu gewähren und gleichzeitig hohe Sicherheitsvorkehrungen treffen. Insgesamt ist das Interesse daran schon hoch. Umso höher die Anzahl der Besucher ist, desto größer ist dann auch das Sicherheitsbedürfnis. 

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Menschen, um Ihnen die Angst zu nehmen? 

Faber: Dort, wo wir von der Polizei und vom Innenministerium geschützt werden, ist die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags bis gegen null reduziert. Wir lassen uns nicht davon abhalten, etwas zu feiern, was der Angst widersteht, was gegenüber der Furcht einen Wall bauen kann. 

Wir erzählen und feiern und zelebrieren Hoffnungsgeschichten, die uns in den Unsicherheiten des Alltags einen Mehrwert an Leben gewinnen lassen. Auch dort, wo wir in großen Gemeinden Gottesdienste feiern, gehen wir gestärkt heraus. Wenn ich über die Straße gehe, ist auch das Risiko von Unfällen gegeben. Trotzdem wählen wir unseren Weg relativ frei.

Das Interview führte Clemens Sarholz.

Erzdiözese Wien

Die Erzdiözese Wien umfasst das Bundesland Wien und die östliche Hälfte von Niederösterreich. Aufgrund der besonderen Größe und der unterschiedlichen Struktur dieser Gebiete ist die Diözese in drei Regionen, die Vikariate unterteilt, für die jeweils ein Bischofsvikar als Stellvertreter des Bischofs verantwortlich ist.

Stephansdom in Wien (KNA)
Stephansdom in Wien / ( KNA )
Quelle:
DR