Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn gilt als Mann des besonnenen Wortes. Und seine Worte haben Gewicht, in Österreich und in der Weltkirche. Dort zählt er zu den profiliertesten Mitgliedern des Kardinalskollegiums, theologisch hochgebildet und moderat - der geborene Vermittler. Beobachter handelten ihn beim Konklave 2013 gar als möglichen nächsten Papst.
Nun sorgte der feinsinnige Österreicher mit ungeschminkten Aussagen über Europa und den Islam für Aufsehen. Anlass seiner Predigt am Sonntag war das Fest "Mariä Namen", das an den Sieg über die Türken am 12. September 1683 erinnert - ein Sieg, der nicht nur die belagerte Hauptstadt des Habsburgerreichs, sondern vermutlich weite Teile Europas vor der Islamisierung bewahrte.
"Hab Erbarmen mit Deinem Volk"
"Vor 333 Jahren ist Wien gerettet worden", so der Kardinal. "Wird es jetzt einen dritten Versuch einer islamischen Eroberung Europas geben? Viele Muslime denken und wünschen sich das und sagen: Dieses Europa ist am Ende." Der Kontinent habe sein christliches Erbe verschleudert wie der Verlorene Sohn das Vermögen seines Vaters. Nun fehle es "hinten und vorne" an geistlichem Rüstzeug. Schönborn schloss mit der Bitte an Gott: "Hab Erbarmen mit Deinem Volk, mit Europa, das daran ist, Dein christliches Erbe zu verspielen!"
Das Echo im Sozialen Netz schallte - wie bei dem Thema zu erwarten - laut; selbst internationale Medien berichteten über die Predigt. Auf Facebook wurde sie vielfach geteilt und kommentiert, meist mit dem Tenor, der Kardinal habe die Bedrohung deutlich benannt. Aber es gibt auch Stimmen, die Schönborn vorwerfen, er liefere den Rechtspopulisten Futter.
Klarstellung: Kein Aufruf zur Abwehr
Tatsächlich griff die rechtsgerichtete FPÖ die Predigt prompt auf, bei ihrer Wiener Gedenkfeier am Montagabend unter dem Motto "12. September 1683: Abendland beschützen, damals wie heute". Die Mitte-Links-Parteien hielten sich dagegen mit Kommentaren auffällig zurück. Schönborn genießt in der Alpenrepublik großes Ansehen über die Lagergrenzen hinweg. Als Figur des Panikmachers taugt er nicht. Hass und Hetze gegen Flüchtlinge hat er wiederholt verurteilt. 2015 bekannte er in einer Radioansprache kurz vor Weihnachten, die 600.000 Muslime im Land - der Großteil Türken - "gehören zu Österreich".
Dennoch sah sich Schönborn sich am Dienstagabend auf seiner Facebook-Seite zu einer Klarstellung genötigt. Seine Predigt, die er frei gehalten hatte, sei "nicht als Aufruf zur Abwehr von Flüchtlingen" zu verstehen, betont er da. Vielmehr fordere Jesus Nächstenliebe auch gegenüber Fremden.
Ängste vieler Europäer getroffen
Dass Schönborn an einem solchen Datum im Dom der alten Kaiserstadt, dessen Turm während der türkischen Belagerung als Ausguck auf die türkischen Stellungen diente, vor einer "islamischen Eroberung" warnte, dürfte aber kein Zufall und in seinem Konfrontationsgehalt ganz wörtlich zu verstehen sein. Selbst Radio Vatikan titelte: "Kardinal stellt Frage nach islamischer Unterwanderung Europas". Mit seinem Befund, dass viele Muslime genau dies anstrebten, scheint er auch nicht falsch zu liegen. Kein Geringerer als der Imam der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee, Scheich Muhammad Ayed, tönte 2015 mit Blick auf die Masseneinwanderung seiner Glaubensbrüder, das geburtenschwache Abendland sei schwach geworden. "Wir werden sie niedertrampeln, so Allah will." Und Islamführer wie ihn gibt es viele.
Umfragen legen nahe, dass Schönborn mit seiner Warnung die Ängste vieler Europäer getroffen hat. Das tat übrigens auch schon sein Vorgesetzter, Papst Franziskus persönlich. Er sprach im März vor französischen Besuchern von einer "arabischen Invasion". Sie biete allerdings auch Chancen zum Austausch - unter der Voraussetzung, dass sich die "Großmutter" Europa verjüngt und ihre kulturelle Identität wiederentdeckt.