Das Passionsspiel war immer ein "Propagandawerkzeug der katholischen Kirche", meint Christian Stückl. Er muss es wissen. Seit 1990 leitet er das weltweit berühmteste Spiel vom Leiden und Sterben Jesu, das alle zehn Jahre in Oberammergau aufgeführt wird. 2022 wird der Theatermann zum vierten Mal verantwortlich sein. Über die Jahre ist es ihm gelungen, die Geschichte zunehmend von antisemitischen Darstellungen und Texten zu befreien. Wie er das schaffte und was noch getan werden muss - darüber ging es am Dienstagabend bei einer Veranstaltung im Münchner Volkstheater in der Reihe "Reden über".
Eingeladen hatte Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) den Regisseur sowie den Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam. Heraus kam eine lebhafte Diskussion.
"Jesus war kein Katholik"
Die erste schriftliche Kritik über die Oberammergauer Passion stammt von 1880. Damals mokierte sich ein Berichterstatter über jene Szene, in der Händler aus dem Tempel vertrieben werden - "galt es doch die Juden zu verprügeln". Der Verräter Jesu musste zudem lange ein gelbes Gewand tragen. Dies war selbst 1945 noch üblich, als jeder wusste, welche Bedeutung der gelbe Judenstern in der NS-Zeit hatte. Pilatus dagegen wurde stets als der "edle" Römer gezeigt.
"Antisemitismus" - dieses Wort hatte der 1961 geborene Stückl schon als Bub gehört, wenn im Wirtshaus seiner Familie die Männer über das Passionsspiel sprachen. Was es damit auf sich hat, darauf hatte der Opa keine Antwort. Aber etwas rebellierte im Enkel, ihm wurde klar: "Jesus war kein Katholik. Der hatte weder Erstkommunion noch Firmung. Er war vom ersten bis zum letzten Tag Jude." Letztlich sei das Passionsspiel kein Streit zwischen Juden und Christen, sondern eine innerjüdische Angelegenheit. Mit seinem zweiten Spielleiter Otto Huber war Stückl sich einig im Willen zur Veränderung.
Die junge Generation wollte Veränderungen
So kam es 1986 zu einem Gespräch im Münchner Ordinariat. Zwei Rabbiner aus den USA hatten sich angekündigt und eine Liste mit 18 zu ändernden Punkten mitgebracht. Ein katholischer Theologieprofessor sollte als Fachmann mit ihnen reden, erinnert sich Stückl. Auf kirchlicher Seite sei festgestanden, höchstens auf die Hälfte der Forderungen einzugehen. Irgendwann platzte Stückl der Kragen. Er lud die Rabbiner zu sich nach Hause ein, um endlich reden zu können. Die Aufregung war groß, auch im Gemeinderat: "Der Stückl verkauft uns an die Juden." Doch die junge Generation im Ort wollte Veränderungen.
Auch Rabbiner Homolka kennt sich mit Widerständen aus. Als bekannt wurde, dass er Stückl den Abraham-Geiger-Preis zuerkenne wollte, waren nicht alle begeistert. "Jetzt werden schon Preise verteilt, dafür dass Juden nicht verbrannt werden." Homolka ließ sich nicht beirren. Denn da habe es einer geschafft, binnen 30 Jahren ein Genre so von innen zu verändern, dass sich nun gar US-Rabbiner freuten, wenn sich der Vorhang in Oberammergau wieder hebe.
"Brennglas" für Verhältnis zwischen Christen und Juden
Der erste Teil komme eh "wie in einer Familiensaga" daher, sagte der Rabbiner. Im Übrigen seien die Veränderungen durch das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) gedeckt, durch die Erklärung "Nostra aetate", in der die Haltung der Kirche zu anderen Religionen beschrieben wird. Für Homolka hat Oberammergau etwas von einem "Labor-Charakter". Was dort verändert werde, strahle aus auf die vielen anderen Passionsspielorte, auch in den USA. Gerade dort werde sehr genau in das oberbayerische Bergdorf geblickt.
Spaenle sieht in der Entwicklung eine Art Brennglas in Bezug auf das Verhältnis von Christen- und Judentum. Im Spiel werde plastisch, was sich geändert habe; und es sei leichter zu verstehen als ein theologischer Vortrag. "Man wird nie fertig", erklärte Stückl seine Arbeit. Er aber ist in Bezug auf Juden und Christen der Überzeugung: "Wenn man miteinander redet, wird es ganz leicht." Bei einem Symposium in Rom sagte ihm ein jüdischer Vertreter indes offen, er wolle von Oberammergau und ihm als Person nichts wissen. Abends beim Wein, verriet der Theatermann, sei man dann Glas um Glas doch ins Gespräch gekommen.