"Machen Sie das Thema Aufarbeitung von Missbrauch zur Chefsache!", "Verstecken Sie sich nicht weiter hinter der katholischen Kirche!" und "Wir brauchen einen radikalen Wandel der Kirchenkultur im Umgang mit sexualisierter Gewalt!" Die Kritik, die sich die Synodalen der Evangelischen Kirche in Deutschland am Montag von den Betroffenenvertretern anhören mussten, war hart.
Nachdem bereits vor zwei Jahren Kerstin Claus sprechen konnte, die inzwischen Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung ist, kam das Thema sexualisierte Gewalt in den Reihen der evangelischen Kirche auf der diesjährigen Synode erneut auf die Tagesordnung. Das Fazit der Betroffenen: Es ist viel zu wenig passiert.
Auch EKD-Leitung unzufrieden mit Aufarbeitung
Bereits am Sonntag hatte sich der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm unzufrieden mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der evangelischen Kirche gezeigt. "Wir sind manchen Schritt vorangekommen, aber dennoch muss ich an dieser Stelle auch selbstkritisch sagen: Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten", sagte Bedford-Strohm am Sonntag in seinem letzten Ratsbericht vor der digital tagenden Synode der EKD.
Viel zu oft sei das mit sexueller Gewalt verbundene Unrecht in den eigenen Reihen nicht gesehen worden, "oder man wollte es nicht sehen", räumte der Ratsvorsitzende ein. Wichtig sei es nun, den Weg der Aufarbeitung weiterzugehen.
Unmittelbarer Anlass für die neue Diskussion in der evangelischen Kirche war die Aussetzung des Betroffenenbeirats durch die EKD wegen verschiedener Konflikte im vergangenen Mai. Einige Betroffene dieses ausgesetzten Beirats nahmen die Einladung der Synode an und sprachen dort. Andere wollten das nicht, unter anderem weil sie ihre Beiträge bereits im Vorfeld abgeben sollten, abseits der Synode hatten sie aber bereits ähnlich lautende Kritik geäußert.
Der Sprecher des Beauftragtenrats, der Braunschweiger Bischof Christoph Meyns, betonte, die Bekämpfung von Missbrauch sei eine Daueraufgabe für Kirche und Diakonie. Er hob hervor, dass eine umfassende Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie bis 2023 vorliegen solle. In der 3,6 Millionen Euro teuren Untersuchungen würden auch Betroffene miteinbezogen. Zudem werde sich die EKD finanziell an einer möglichen Dunkelfeldstudie für Missbrauch in der Gesellschaft beteiligen, die der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern vorgeschlagen hatte.
Zeit für Selbstkritik
Zudem kündigte Meyns an, dass der Beauftragtenrat eine neue Struktur für einen Betroffenenbeirat schaffen werde. Es solle dazu eine Expertise erstellt werden. Selbstkritisch räumte Meyns ein, dass das vergangene Jahr "ein schwieriges war" und sich der Beauftragtenrat mehr vorgenommen habe als er erreicht habe. "Wir haben erfahren, dass es auf unserem Weg harte Rückschläge geben kann, dass in bester Absicht Geplantes auch scheitern kann", so Meyns.
Die Vorgängerin von Meyns, die Hamburger Bischöfin Kristen Fehrs, übte ebenfalls Selbstkritik: Konzept des Beauftragtenrats sei es gewesen, "nicht als machtvolle Kirche" aufzutreten. Das sei offenbar nicht gelungen, sagte sie sichtlich bewegt und den Tränen nahe. Ihr sei aber auch klar, dass der 11-Punkte-Plan, den sie maßgeblich aufgesetzt hatte und der unter anderem die Einrichtung einer Anlaufstelle beinhaltet, nur ein erster Schritt gewesen sei, so Fehrs die als eine aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge von Bedford-Strohm gilt.
Präses Anna-Nicole Heinrich, betonte vor Journalisten, die Synode werde sicherstellen, dass Betroffene besser gehört werden. Es dürfe nicht so sein, dass die EKD die Deutungshoheit behalte. Anträge dazu würden nun beraten und am Mittwoch werde die Synode darüber entscheiden. Dazu gehöre, dass eine eigene synodale Kommission eingerichtet werden solle, die sich fortlaufend mit dem Thema der sexualisierten Gewalt in der Kirche beschäftigen solle und die für eine Vernetzung mit dem Beauftragtenrat und den Betroffenen sorgen soll.
Als konkrete Maßnahmen it laut Heinrich geplant, das Disziplinarrecht zu verschärfen, es müsse eine "Null-Toleranz für Täter" gelten. Außerdem solle es eine Vernetzungsplattform für Betroffene geben.