DOMRADIO.DE: Inwieweit war denn der BDKJ vor 50 Jahren an der Gründung des Fairen Handels beteiligt?
Dr. Clemens Kienzler (Vorsitzender des entwicklungspolitischen Auschusses beim Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Mitglied des Aufsichtsrats von Fairtrade Deutschland): Wir waren so eine Art Keimzelle und treibende Kraft damals. Gemeinsam mit den evangelischen Jugendverbänden haben wir uns im Jahr 1970 zusammengefunden, um den Fairen Handel im Anschluss an die Friedensmärsche weiter voranzubringen. Die Idee war, Menschen im globalen Süden daran teilhaben zu lassen, dass wir im Norden ihre Produkte konsumieren. Damals gab es keine Möglichkeit, fair gehandelte Produkte zu kaufen. Das heißt, die Idee wurde da geboren und gemeinsam mit den Hilfswerken der Kirchen umgesetzt.
DOMRADIO.DE: Was waren denn die ersten Ziele, die mit dem Fairen Handel verbunden waren?
Kienzler: Neben dem Ziel, den im Süden angesiedelten Produzenten die Teilhabe zu ermöglichen, hatten wir aus BDKJ-Sicht vor allem den pädagogischen Impuls der Bewusstseinsbildung. Also, den Gegensatz zwischen dem Überschuss im Norden und der Mangelwirtschaft im Süden ins Bewusstsein zu rücken und das mit dem Verkauf von fair gehandelten Produkten ein Stück weit zu beheben.
DOMRADIO.DE: Wie lange hat es gedauert, bis das Anliegen in den Köpfen der Menschen angekommen ist?
Kienzler: Ich würde sagen, das dauert bis heute an und ist noch längst nicht abgeschlossen. Nach unseren ersten Gesprächen damals 1970 hat es drei Jahre gedauert, bis in Deutschland der erste Kaffee zu kaufen war. Davor gab es nur Handwerksprodukte. Und diese Produkte des Alltags - Kaffee und dann später auch Tee, Zucker, Schokolade und so weiter - deren Absatz stieg dann nach und nach an. Er ist aber bis heute nicht auf einem Niveau, das über fünf Prozent des gesamten Umsatzes in Deutschland liegt. Das heißt, wir haben durchaus noch einiges vor uns.
DOMRADIO.DE: Welche Entwicklungen waren in den vergangenen 50 Jahren denn besonders wichtig?
Kienzler: Es gab zum einen die Gründung der GEPA, als eine Art wirtschaftlicher Arm der Fair-Handels-Bewegung, gegründet und weiterhin getragen von den Gesellschaftern aus der Kirche, also Misereor und Brot für die Welt, der Evangelischen Jugend und uns, dem BDKJ als Jugendverbände, dazu noch das Kindermissionswerk. Da sind wir auch weiterhin dabei. Heute kann man viele Produkte in vielen Supermärkten kaufen.
Der nächste Abschnitt war dann die Gründung der Siegel-Organisation Transfair Deutschland, die heute unter selbigem Namen noch den deutschen Arm der Fairtrade-Bewegung repräsentiert. Auch dort engagieren wir uns weiterhin. Ich bin im Aufsichtsrat von Fairtrade Deutschland. Und dann gab es die große Bewegung weg aus der Nische, ein bisschen mehr in die Breite. Wie gesagt, GEPA-Produkte kann man heute auch im Supermarkt kaufen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, heute ist das Engagement des Fairen Handels breiter aufgestellt.
Kienzle: Richtig, insofern, dass man die Nische von kleinen Weltläden und Verkäufen vor der Kirche ein bisschen verlassen hat, dass man auch die gesellschaftliche Verantwortung ein bisschen mehr in den Blick genommen hat und sowohl auf der Produzenten- als auch auf der Konsumenten-Seite einfach ein größeres Spektrum abdeckt. Wir sind aber auch - gerade im BDKJ - in den politischen Diskussionen drin und wollen zum Beispiel in Richtung Lieferkettengesetz auch dafür sorgen, dass es durchaus eine gesetzliche Verantwortung gibt für deutsche Unternehmen, entlang ihrer Lieferkette Menschenrechtsverletzungen und ökologische Schäden zu verhindern.
DOMRADIO.DE: Was sind denn die aktuellen Herausforderungen für die Handelspartnerschaften?
Kienzle: Die Handelspartnerschaften selbst sind immer noch davon getrieben, dass sie den Absatz von fair gehandelten Produkten sicherstellen müssen. Die einzelnen Produzenten müssen wirklich dafür sorgen, dass das, was sie produzieren, unter fairen Bedingungen auch bei uns gekauft wird. Sonst haben sie kein Einkommen. Das zweite ist, dass natürlich ganz viele große Trends - wie zum Beispiel der Klimawandel - für bäuerliche Produzenten im Süden ein großes Problem darstellen.
Da wandeln sich sehr viele Anbaubedingungen und Strukturen. Dann gibt es Dinge wie Landflucht und Flucht, die natürlich auch einen Einfluss haben. Das sind sozusagen die globalen Trends, die da mit hinein spielen. Und dann steht, wie gesagt, das Lieferkettengesetz auf der Agenda - eine Art Verpflichtung der verkaufenden Unternehmen in Deutschland und in Europa, Verantwortung für ihre Produzenten zu übernehmen.
DOMRADIO.DE: Und wie sehen die Ziele des BDKJ im Bezug auf den Fairen Handel aus?
Kienzler: Unser Ziel ist es, den Fairen Handel weiter mitzugestalten und in die Breite zu bringen, aber nicht auf Kosten der Kriterien des Fairen Handels. Das heißt, nicht um jeden Preis, sondern schon in dem Sinne, dass wir weiterhin im Fokus haben, die Süd-Produzenten einzubinden und deren Teilhabe zu erhöhen. Ganz konkret jetzt in Corona-Zeiten ist es natürlich wichtig, dass wir sowohl die Absatzmärkte für die Produzenten weiterhin schaffen und bedienen, als auch, dass wir uns nochmal darauf konzentrieren zu schauen: Wie können wir als Fair-Handels-Bewegung Strukturen schaffen im Süden, etwa Gesundheitssysteme oder soziale Sicherungssysteme. Diese Dinge sind natürlich gerade im Fokus, auch von unseren Partnern in Süden.
Das Interview führte Dagmar Peters.