Weihbischof König aus Paderborn kennt sich aus in der Weltkirche, und hofft, dass wir durch die Krise näher zusammenwachsen.
DOMRADIO.DE: Als Bischofsvikar ist er im Erzbistum Paderborn sind Sie für Weltkirche und Weltmission zuständig. Sie sind auch in der Weltkirche-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz. Was beschäftigt Sie persönlich am meisten im Moment?
Weihbischof Matthias König (Erzbistum Paderborn): Das, was fast alle beschäftigt: Wie kann man diese Zeit, die jetzt auf einmal durch äußeren Stillstand gekennzeichnet ist, sinnvoll füllen? Aber da ja viele Aufgaben weitergehen in dieser digitalen Welt, habe ich da eigentlich keine Probleme. Es ist in mancher Beziehung wie verlängerte Exerzitien. Jeden Tag ist im Dom Anbetung und da gehe ich immer hin wie unsere anderen Bischöfe auch. Das machen auch erstaunlich viele Leute. Das, was die Welt und die Menschen bewegt, kann so vor Gott getragen werden.
DOMRADIO.DE: Die Zeit sinnvoll nutzen, was heißt das für Sie?
König: Ich versuche mit Menschen Kontakt zu halten. Das geht ja über E-Mail und Telefon ganz gut. Außerdem versuche ich, die weltkirchlichen Aufgaben, die ich habe, weiter zu beantworten, auch wenn da Einschränkungen sind, weil zum Beispiel nach Indien gar keine Post mehr durchgestellt wird. Das ist zwar im Zeitalter von E-Mail, Whatsapp oder anderen Messengerdiensten auch nicht ganz so tragisch, aber es zeigt doch, dass die Welt so ein Stück in ihrem Fluss gestoppt ist.
DOMRADIO.DE: Sie haben Kontakt in die unterschiedlichsten Länder. Was hören Sie denn da im Moment? Wie ist die Lage?
König: Als erstes fällt mir Indien ein, wo ich im Januar und Februar noch gewesen bin. Ein Riesenland mit 1,3 Milliarden Einwohnern. Wir können in den Medien sehen und lesen, dass dort jetzt alles verboten ist, was nach außen geht. Das ist im Grunde kaum vorstellbar. Die Menschen sollen Zuhause bleiben, aber Millionen Menschen haben gar kein Zuhause, die leben auf der Straße. Was wir aus anderen Erdteilen, wo die Armut sehr verbreitet ist, auch hören ist, dass dieser sogenannte Shutdown für viele bedeutet, dass ihnen das Einkommen wegbricht, weil sie nicht mehr arbeiten können als Tagelöhner, Aushilfen, Straßenhändler oder Essensverkäufer am Wegesrand. Das ist natürlich sehr dramatisch. Ich habe so einige Nachrichten bekommen aus dem Nordosten Indiens. Da schrieb mir jemand, dass die Polizei ganz rigoros sei und mit ziemlicher Gewalt vorgehe. Wenn jemand auf der Straße ist, fragt sie nicht groß, sondern schlägt entweder sofort zu oder konfisziert das Fahrzeug. So schrieb mir ein Seminarist: "Unser Verwalter fuhr mit dem Auto auf den Markt und kam zu Fuß wieder zurück."
DOMRADIO.DE: Haben Sie auch Kontakt nach Afrika?
König: Ja, aus Afrika höre ich, dass die Situation sehr unterschiedlich ist. Alle haben Angst, ganz klar. Äthiopien hat 111 Millionen Einwohner und für die gibt es 100 Intensivbetten. Deutschland hat mittlerweile 30.000 Betten bei 82 Millionen Einwohnern. Wenn das Coronavirus dort hinkommt und so verheerend wirkt wie in China, Europa und Amerika, dann kommen große Katastrophen. Und was für Indien gilt, gilt natürlich auch für Afrika: Die Menschen haben kein Einkommen und sie wissen nicht, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen.
DOMRADIO.DE: Solche Dinge hört man hier kaum.
König: Ja, wir merken in Deutschland, dass wir sehr mit uns selber beschäftigt sind. Ich schließe mich da ja gar nicht aus. Wir haben darüber den Blick verloren für wirkliche Not in anderen Erdteilen oder auch in anderen Ländern. Da braucht man ja gar nicht aus Europa herauszugehen. Die Situation ist überall ähnlich, es sind alle öffentlichen Institutionen geschlossen, Schulen, Universitäten und Kindergärten, soweit es die gibt. Geschäfte sind zum größeren Teil geschlossen. Die Ausgangsbeschränkungen sind ähnlich wie bei uns oder ganz drastisch wie in Spanien oder anderen Ländern, wo man das Haus wirklich nur für das Allernötigste verlassen darf und sonst in seinen eigenen vier Wänden bleiben muss. Nur noch einmal: Was mache ich in Südafrika in so einem Township, wenn 10 Personen auf 12 Quadratmetern hausen?
DOMRADIO.DE: Und gleichzeitig gibt es Streit bei der EU und den Vereinten Nationen. Trump will die WHO-Gelder streichen. Müssten wir in solchen Zeiten als Menschheit nicht eher zusammenrücken?
König: Ich hoffe sehr, dass die EU durch diese ganze Krise und den Versuch sie zu bewältigen, gestärkt wird. Im Grunde haben wir gar keine andere Wahl und auch gar keine andere Chance im positiven Sinne. Wir müssen das gemeinsam angehen. Da hoffe ich sehr, dass nationale Egoismen oder vorschnelle sehr einseitige Handlungen sich jetzt doch weiten zu einem gemeinschaftlichen Konzept.
Wir haben ja eine hohe Zustimmung unseren Politikern gegenüber. Wir haben den Eindruck, in dieser so plötzlich hereingebrochenen Situation managen die das gut. Wir können im Grunde nur dankbar sein, dass das so ist, wie es jetzt geschieht. Da hoffe ich eben auch, dass sich das auf EU-Ebene durchsetzt und die Solidarität nicht nur verbal, sondern auch wirklich praktisch funktioniert. Deutschland hat ja Kranke aus anderen Ländern in unsere Krankenhäuser aufgenommen. China beliefert jetzt alle Welt mit Masken. Wir sollten dem Prinzip folgen: "Tu Gutes und rede darüber“.
DOMRADIO.DE: Wir sind katholisch, wir sind Weltkirche, was bedeutet das für Sie denn in diesen Zeiten?
König: Wir versuchen die Ärmsten der Armen nicht an den Rand gedrängt zu sehen. Wir nehmen sie in den Blick und versuchen, für sie da zu sein. Unsere großen Hilfswerke tun das. Die erfahren ja täglich, wie die Situation ist. Ich bekomme das am Rande dann auch mitgeteilt.
Die Caritas ist jetzt noch mehr gefragt, wenn sie an die Flüchtlinge denken, wenn Sie daran denken, wie die Situation in den Flüchtlingslagern ist. Da passiert ganz viel, das wird nur nicht so publikumswirksam inszeniert wie andere Dinge, die besser präsentiert werden können. Die Helferinnen und Helfer legen aber auch keinen Wert auf Präsentation, sondern vielmehr auf die Effektivität ihrer Arbeit.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch Möglichkeiten unabhängig von den Hilfswerken, auf die Menschen am Rande zuzugehen?
König: Es geschieht ja bei uns im Umfeld. Wenn ich höre, wie viele Initiativen es gibt für alte oder einsame Menschen, für Menschen, die keine Kontakte haben. Da bin ich äußerst dankbar und froh, dass gerade junge Leute das in den Blick nehmen und dass sie erstaunliche Initiativen zeigen, auch für die, die digital abgehängt sind.
Es gibt ja ganze Generationen, die keinen Zugang zu unseren digitalen Medien haben und darum vieles nicht mitbekommen. Das ist schon ein gutes Zeichen. Wir haben immer noch einige unserer Freiwilligen, die in den Ländern geblieben sind, obwohl eigentlich alle raus mussten. Die anderen, die wieder zurück mussten, teilweise auch mit den Rückholtransporten der Bundesregierung, die versuchen auf ihre Weise hier mitzuarbeiten und mitzuhelfen.
Ich habe das Beispiel eines jungen Mannes vor Augen, der in Indien war und den wir im Januar und Februar dort auch getroffen haben. Er ist jetzt wieder in seiner Gemeinde und hat sich sofort ganz groß eingebracht in die mediale Arbeit, damit die Gottesdienste aus den Kirchen in die Haushalte kommen. Das lässt ihn so richtig wieder ankommen nach all den Monaten, in denen er in einer ganz fremden Welt gelebt hat. "Ich merke, wie wichtig mir meine Heimatgemeinde ist", sagt er. Untypisch für viele junge Leute, aber mich macht das unendlich froh und hoffnungsvoll.
DOMRADIO.DE: Herr Weihbischof, unsere Abschlussfrage, die muss jeder beantworten: Was bringt Ihnen Hoffnung im Moment?
König: Natürlich ist mein österlicher Glaube der Grund meiner Hoffnung. Diese Botschaft, die wir in diesen Tagen ja immer wieder hören, feiern und bekennen: "Durch den Tod geht es zum Leben, durch das Dunkel zum Licht." Christus hat das, was uns bedrängt und unser Leben einschränkt, durch seinen Tod und seine Auferstehung besiegt.
Wenn ich jeden Tag im Dom bin und vor dem Allerheiligsten kniee und unseren schön geschmückten Altarraum sehe, das ist ja alles ein großes Zeichen der Hoffnung. Die Blumen, die Kerzen und in der Mitte Christus selber in der Monstranz mit seinem Fleisch und Blut zur Anbetung. Daraus lebe ich, das merke ich. Aus dem Gebet. Ich habe ja auch so manche Bedrängnisse mitzutragen von Menschen, von denen ich weiß, dass sie schwer krank sind, nicht unbedingt an Corona. Es gibt Leute, die Verstorbene betrauern. Ich habe selber drei Beerdigungen unter diesen Bedingungen gehalten. Da war trotz aller Traurigkeit gerade durch die Osterbotschaft ganz viel Hoffnung. Wir haben beim Grab, am Sarg oder bei der Urne gesungen und wir konnten miteinander beten.
Wir können uns nicht in den Arm nehmen oder Hände halten – und trotzdem gibt es ganz viel Nähe. Das gibt es ja übertragen auch in vielen anderen Bereichen. Menschen schöpfen durch Anrufe, Begegnungen auf der Straße und Gespräche aus der Ferne ganz viel Hoffnung. Mir fällt ein persönliches Beispiel ein. Eine alte Frau in meiner früheren Pfarrei, die ich mal angerufen habe, mit der ich sprechen konnte und die hinterher sagte "Das war jetzt mein schönstes Ostergeschenk." Das merkt man ja vielleicht manchmal gar nicht, wenn man so etwas macht, aus einem Impuls, aber so eine Rückmeldung macht dann natürlich froh. Wir können vieles tun, mit kleinen Zeichen und relativ geringem Aufwand. Das macht mir Hoffnung, dass viele das tun. Und wenn ich noch einmal weltkirchlich schaue, wie viele Menschen in aller Welt gerade auch aus diesem Glauben versuchen, gegen die Krise anzugehen und andere Menschen im Blick zu behalten mit den Mitteln und Möglichkeiten, die sie haben.
Hinweis:
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.