DOMRADIO.DE: Sie waren in dieser Woche in Ihren Gemeinden unterwegs und haben viele Gespräche geführt. Wie haben Sie die Stimmung vor Ort erlebt?
Domkapitular Dr. Dominik Meiering (Leitender Pfarrer der Kölner Innenstadtgemeinden): Zunächst muss man ja sagen, Maria 2.0 ist nicht gleich Maria 2.0. Denn an den unterschiedlichsten Orten wird das auf ganz unterschiedliche Art und Weise begangen. Und das ist wichtig, weil es ja immer um konkrete Menschen, konkrete Situationen und um konkrete Gemeinden geht, die sich Gedanken machen. Und da sind wir in St. Agnes sehr stolz, dass dort mit der KFD und darüber hinaus eine sehr lebendige Gemeinschaft existiert.
DOMRADIO.DE: Sie, Frau Knauf, sind eine der Mitinitiatorin von "Maria 2.0" an St. Agnes in Köln. Sie treffen sich jeden Abend um 18 Uhr zu Gesprächen am Feuer. Was passiert da?
Franka Knauf (Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln): Wir haben am Samstagabend mit einem Gottesdienst und anschließendem Gesprächen gestartet. Das zieht sich wie ein roter Faden durch – jeden Abend von sechs bis acht Uhr sind wir mit einem großen Kreis an Frauen und auch Männern vor Ort.
Die Menschen kommen ganz gezielt zu uns, weil sie davon gehört oder gelesen haben, und suchen das Gespräch. Menschen kommen auch, weil sie Ermutigung suchen. Ganz viele haben es schon mitbekommen und sagen: "Wir finden das ganz großartig, was ihr da macht." Die Solidarität und der Zuspruch sind großartig. Es bleiben aber auch ganz viele Passanten stehen und lassen sich aus Interesse auf ein Gespräch ein. Nachher setzen wir uns zusammen und beten. Wir sind dann immer völlig überwältigt von diesen Eindrücken, die wir dort sammeln.
Meiering: Und das, finde ich, ist eigentlich das Spannende: Da sind Menschen auf der Straße und sprechen über ihren Glauben.
Knauf: Das ist der helle Wahnsinn! Da ist so eine Sehnsucht! In den Gesprächen kommen Berichte, Erlebnisse, Verletzungen und teilweise auch Wut zutage. Und trotzdem suchen die allermeisten Menschen eine Heimat in der Kirche. Die sind so enttäuscht, aber die wollen rein. Da müssen wir ran.
Meiering: Es ist eine Riesenchance, wenn Menschen sagen: "Ich will hier mal über die Themen, die ihr habt, meinen eigenen Glauben und meine Verunsicherungen reden", oder: "Ich will hier einfach die Chance nutzen, dass Menschen da sind, die sich auch Gedanken machen, und vielleicht will ich mitdenken und kreativ werden." Diese Chance sollten wir nutzen.
Knauf: Wir haben zum Beispiel ein Gästebuch, wo wir die Leute bitten, sich einzutragen. Wir haben eine Wandzeitung, auf der Leute etwas schreiben können. Und wir haben eine Mail-Liste, die schon richtig gut gefüllt ist. Viele Leute wollen etwas machen. Frauen und auch Männer sagen: "Wir wollen da dran bleiben und mitgestalten." Und da merke ich nochmal – seit 30 Jahren bin ich Hebamme und komme mit vielen Menschen ins Gespräch –, dass wir im Gespräch um Glaube noch dialogfähiger werden müssen.
DOMRADIO.DE: Pfarrer Meiering, niemand wird bestreiten, dass die Kirche ohne Frauen nicht existieren kann und will. Muss die Rolle der Frau in der Kirche neu gedacht und gestaltet werden?
Meiering: Wer was macht, hat Macht, und wer von etwas begeistert ist, kann andere begeistern – und das zeigen die Frauen an dieser Stelle. Die nehmen die Dinge einfach selbst in die Hand und schaffen eine neue Kultur des Umgangs miteinander, kommen mit Menschen auf der Straße und anderen Gläubigen ins Gespräch. Und dabei machen wir die Erfahrung, dass es viele Themen gibt, die die Frauen bewegen – aber auch die Männer kommen dazu, sprechen mit, bringen ihre Themen auf den Tisch.
Da merke ich, wir haben einen großen Nachholbedarf in der Diskursfähigkeit, miteinander zu streiten und vielleicht auch mal festzustellen: Okay, der oder die andere tickt anders als ich, aber wir sind getragen von einer gleichen Leidenschaft für die Kirche und für den Glauben. Die Frauen bringen uns gerade bei, das zu spüren.
DOMRADIO.DE: Priester- und Diakonweihe für Frauen wird es auf absehbare Zeit in der katholischen Kirche nicht geben. Wie kann man denn da dem Frust der Frauen begegnen, die das fordern?
Knauf: Ich hoffe schon, dass ich es noch erlebe, dass Frauen zu Diakoninnen geweiht werden. Denn ich finde, dass das ein ganz wichtiger Schritt für uns als katholische Kirche wäre. Da ist so ein großer Schatz an Wissen und Fähigkeiten von Frauen, den müssen wir heben und erkennen. Das wird uns in den Gemeinden enorm bereichern. Aber da müssen wir uns als Frauen hinstellen und fordern, dass eine gute Aufklärung stattfindet.
Meiering: Wie stellen wir sicher, dass die Perspektive der Frauen mit eingebracht wird? Das ist, glaube ich, eine ganz große Frage. Ich merke das auch, wenn wir Gespräche über die Zukunft der Kölner Innenstadtgemeinden führen, dann stellt sich immer wieder die Frage: Sind wir immer noch so priesterzentriert, dass wir denken, der Pfarrer muss alles machen? Oder schaffen wir es auch, eine neue Perspektive zu bekommen und nach Charismen, Begabungen und Leidenschaften zu gucken?
Ich will jetzt auch nicht nur Frauen nennen. Denn es geht auch um alle, die ganz viel an Begabungen, Fähigkeiten und Perspektiven haben, die eingebracht werden können. Es braucht insgesamt eine größere Diskursfähigkeit und eine größere Transparenz im Hinblick auf die unterschiedlichen Perspektiven, die da sind.
Knauf: Wir haben so tolle Pastoralreferentinnen und -referenten, Gemeindereferentinnen und -referenten, die an der Basis sind und jeden Tag mit den Leuten vor Ort arbeiten. Die sollten nicht nur eine organisatorische Leitungsfunktion innehaben, die sollten auch ein verbrieftes Recht an der seelsorgerischen Leitungsfunktion bekommen. Das ist eine der zentralen Forderungen. Und das würde uns auch wirklich weiterbringen. Es wird uns helfen.
DOMRADIO.DE: Sie haben über ihre Aktionen an Sankt Agnes berichtet. Die Aktion Maria 2.0 soll aber ja auch ein Streik sein. Viele ehrenamtliche Tätigkeiten finden nicht statt. Bestreiken Sie auch die Gottesdienste?
Knauf: Wir haben im Vorfeld heftig darüber diskutiert. Wir haben uns entschlossen, das nicht explizit in unseren Handzettel aufzunehmen, sondern das all den Frauen und Männern freizustellen. Sie sollen das selber entscheiden. Wir haben stellvertretend für die Frauen und Männer, die diese Woche die Kirche nicht besuchen, weiße Tücher auf Kirchenbänke gelegt, um das zu verdeutlichen. Aber wir haben kein Verbot ausgesprochen. Das hätte uns nicht entsprochen.
Wir spüren ganz große Solidarität von anderen Frauen und Männern in der Gemeinde, die Dienste wirklich niederzulegen. Die Bücherei ist diese Woche leider nicht geöffnet. Und auch die Kollekten werden beispielsweise nicht gezählt.
DOMRADIO.DE: Das spürt man dann also schon.
Knauf: Ja, das spürt man und das macht es auch glaubwürdig.
Meiering: Gleichzeitig gibt es natürlich auch Leute, die sagen: "Da mache ich nicht mit. Ich gehe zum Kirchenchor, da habe ich Freude dran. Ist doch eine Selbstverständlichkeit," oder auf der anderen Seite: "Auf keinen Fall die Kirche betreten." Das ist irgendwie auch kein Ding für mich. Ich finde es super, dass ihr gesagt habt: "Leute, macht das so, wie Ihr es für richtig haltet." Und natürlich sind am Samstagabend nach dem abschließenden Gebet vor der Kirche alle zur Abendmesse eingeladen.
Knauf: Genau, und auch heute Abend werden wir zwischen 18 und 20 Uhr ein Gespräch führen. Vielleicht ist auch das Feuer an, denn das ist ja ein gutes Zeichen: Es brennt in uns und wärmt an diesen kalten Abenden. Die Elternband aus der Gemeinde unterstützt uns mit Musik. Und am Samstag werden wir um 17.30 Uhr einen Wortgottesdienst vor St. Agnes feiern und danach in die Messfeier einladen.
DOMRADIO.DE: Aber auch dann geht es bei Ihnen noch weiter. Sie haben noch mehr vor.
Knauf: Auf jeden Fall. Ich persönlich freue mich sehr, dass der Stadtverband der KFD das Thema aufgegriffen hat und am Montag um 16.30 Uhr vor Groß Sankt Martin ein Gebet initiiert. Wir in St. Agnes werden am 22. Juli das Fest der Heiligen Maria Magdalena mit einem Gottesdienst feiern. Am Vortag wird es einen Workshop dazu geben. Und die Zwischenzeit werden wir nutzen, um uns zusammenzusetzen. Wir sind alle so voller Eindrücke. Aber das Ganze hat auch unglaublich viel Kraft gekostet. Wir müssen das sammeln, das Schriftmaterial durcharbeiten und dann werden wir da weitermachen.
Das Interview führte Carsten Döpp.