domradio.de: Was ist dran an der These, dass der Islam bei der Radikalisierung nicht unbedeutend ist?
Dr. Guido Steinberg (Stiftung Wissenschaft und Politik): Ja, ich glaube, dass die Autoren dieser Studie in die richtige Richtung geforscht haben. Es ist nicht der Islam, sondern eine politische Ideologie mit der wir es zu tun haben, die auf religiösen Fundamenten beruht. Deshalb nennen wir sie auch Salafismus, Dschihadismus oder Islamismus, weil ganz viele derjenigen, die die vertreten, tatsächlich daran glauben, dass das was sie dort tun, Gott gefällig ist.
domradio.de: Erst vor kurzem hieß es, radikale Muslime hätten meist nur eine geringe Kenntnis ihrer Religion. Jetzt kommt diese Studie zu einem anderen Ergebnis. 29 Interviews wurden mit straffälligen Muslimen in Österreich geführt. Wieviel Vertrauen kann man in solche Studien haben?
Steinberg: Das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt. 29 Salafisten oder Dschihadisten in Österreich sind ein ganz kleines Sample, sodass man daraus nicht auf die Wirklichkeit außerhalb Österreichs schließen kann, vielleicht noch nicht mal auf die Wirklichkeit in Österreich. Allerdings gibt es, wie ich finde, ganz viele andere Hinweise darauf, dass es da einen sehr harten wahren Kern gibt. Das ist auch meine Erfahrung aus Treffen mit Dschihadisten, Berichten über sie, aus der Lektüre ihrer Schriften, dass sie tatsächlich sehr häufig religiös motiviert sind. Aus dieser religiösen Motivation haben sie dann eine politische Ideologie gemacht. Ich glaube auch, dass man nur so ihre enorme Opferbereitschaft erklären kann. Wir haben nun mal diesen Fall, dass Tausende junger Leute im Irak sich in Listen einschreiben lassen, um Selbstmordattentäter zu werden und dadurch ins Paradies einzukehren. Sie wollen ins Paradies, deswegen sind sie da.
domradio.de: Das heißt, die Radikalisierung geht nicht zurück auf die ursprüngliche Lehre wie sie im Islam vertreten wird, sondern auf die politischen Ideologien, die daraus entwickelt worden sind?
Steinberg: Ja, allerdings eine politische Ideologie auf der Grundlage von Lehren, die auch im Islam weit verbreitet sind. Der Salafismus hat seine Wurzeln in Lehren, die wir schon im zehnten oder im 13. Jahrhundert finden. Das ist eine anerkannte Glaubensrichtung im sunnitischen Islam, die hier von kleinen Gruppen in eine Art politische Ideologie überführt wird. Das repräsentiert nicht die ganze Religion, sondern eine Teilströmung. Aber eben eine, die wir gut kennen und eine, die in den letzten Jahren im Aufstieg begriffen ist.
domradio.de: Man hat in Deutschland öfters den Eindruck, dass man solche Thesen - der Islam spielt eine Rolle bei der Radikalisierung - nicht so gerne hören will. Kann es sein, dass wir mit dem Thema Islam zu vorsichtig umgehen?
Steinberg: Ja, das glaube ich unbedingt. Ich bemerke das in der Wissenschaft. Ich hab vor kurzem einen Artikel geschrieben, etwas provokativ, in dem ich ähnliche Thesen vertreten habe. Allerdings mit mehr Anspruch auf Allgemeingültigkeit und darauf habe ich sehr aggressive Reaktionen bekommen. Ich glaube, dass es offensichtlich ist, dass der Islam bei der Radikalisierung von jungen Salafisten eine wichtige Rolle spielt und dass es sich um fromme Muslime handelt. Deswegen müssen wir uns auch mit der Verbreitung von salafistischem Gedankengut unter Muslimen auseinandersetzen. Das ist zum einen ein politisch-gesellschaftliches Problem, das ist andererseits aber auch ein wissenschaftliches Problem, ganz einfach deshalb, weil viele - vor allem Wissenschaftler - Religion, Kultur und Ideologie nicht als wirkmächtigen Faktor wahrnehmen. Da geht es nur um die materielle Basis. Also Karl Marx hat in gewisser Weise gesiegt, aber eben in einer Art und Weise, wie er sich das vielleicht nicht vorgestellt hätte.
domradio.de: Wie können wir denn Radikalisierung oder Salafismus begegnen, ohne gleich diese ganze Religion pauschal zu verurteilen? Indem wir es so ausdifferenzieren, wie Sie es gerade erwähnt haben?
Steinberg: Ja, indem wir uns einfach auf diese Personen konzentrieren, das ist auch der richtige Weg. Zunächst einmal geht es um Straftäter, die kommen ins Gefängnis. Gleichzeitig sollten wir uns aber auch darüber klar werden, dass in den letzten Jahren in Deutschland, Europa und weltweit salafistische Weltanschauung nicht nur als Ideologie, sondern auch als Glaubenslehre an Einfluss gewonnen hat. Ich persönlich glaube nicht daran, dass staatliche Politik, schon gar nicht deutsche Politik, irgendetwas daran ändern kann. Aber wir können zumindest die Folgen mildern, indem wir beispielsweise verhindern, dass Träger dieser Ideologie einwandern, dass die hier predigen; oder auch, dass sie Geld bekommen von Ländern, die Salafismus finanzieren - Stichwort: Saudi-Arabien.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.