Kamp-Lintforter Pfarrer zeigt sich mit Bürgermeister solidarisch

"Wo kommen wir denn da hin?"

Weil er sich bedroht fühlt, will der Bürgermeister von Kamp-Lintfort im Dienst eine Waffe tragen. Der Politiker erhält viel Zuspruch. Einer Demonstration von Rechten stellten sich rund 1.000 Kamp-Lintforter und Pfarrer Stefan Maser entgegen.

Kamp-Lintfort: Mehrere Hundert Menschen haben für Bürgermeister Landscheidt demonstriert / © Arnulf Stoffel (dpa)
Kamp-Lintfort: Mehrere Hundert Menschen haben für Bürgermeister Landscheidt demonstriert / © Arnulf Stoffel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ihr Bürgermeister Christoph Landscheidt wollte einen Waffenschein besitzen, um sich und seine Familie im Notfall schützen zu können. Wie überrascht waren Sie von diesem Anliegen?

Stefan Maser (Pfarrer der evangelischen Gemeinde Hoerstgen in Kamp-Lintfort): Ich war sehr überrascht. Denn ich kenne Christoph Landscheidt seit vielen Jahren als sehr besonnenen und offenen Mann. Inzwischen hat Herr Landscheidt die Sache etwas näher erklärt. Am Sonntag war Neujahrsempfang der Stadt. Dort hat er gesagt, es gehe ihm nicht darum, in Zukunft mit einer Waffe unter die Bürger zu gehen. Es ginge ihm offenbar darum, klären zu lassen, ob er nach mehrfachen Drohungen nicht als erheblich gefährdeter Hoheitsträger gelten muss. Er hat uns erklärt, dass das nach dem Waffengesetz geklärt wird.

DOMRADIO.DE: Kamp-Lintfort liegt am Rande des Ruhrgebiets im Nordwesten von NRW. Fast 40.000 Einwohner zählt die Stadt. Wie ist denn die politische Landschaft? Wie ausgeprägt ist denn bei Ihnen diese rechte Szene?

Maser: Ich bin der Hoerstgener-Pastor. Hoerstgen ist der westlichste Stadtteil von Kamp-Lintfort. Leider haben wir ausgerechnet in Hoerstgen einen Neonazi-Treffpunkt. Davon geht eine ganze Reihe übler Sachen aus. Wir kriegen Propaganda und rechte Gesänge zu hören. Und es gibt auch Einschüchterungen und Drohungen gegen Nachbarn.

DOMRADIO.DE: Das heißt, davon bekommen Sie wirklich viel mit. Fühlen Sie sich denn so, als ob Sie dagegen etwas tun können?

Maser: Wir versuchen vor allem klarzumachen, dass so etwas nicht nach Kamp-Lintfort gehört. Da war der letzte Samstag mit einer Gegendemonstration mit 1.000 Menschen wirklich ein Meilenstein.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben diese Drohungen gegen Bürgermeister Landscheidt vor allem zugenommen, nachdem der im Europawahlkampf 2019 Plakate der Rechten hat abhängen lassen. Was stand da drauf?

Maser: Das waren die übelsten antisemitischen Plakate, die Sie sich überhaupt denken können. Mit einem Wort geändert, direkt von der Titelseite der Zeitschrift "Der Stürmer" aus der Nazi-Zeit. So ein Plakat hatte ich genau vor meiner Kirche hängen - sozusagen zwischen dem Neonazi-Treffpunkt und meiner Kirche. Ich bin froh und dankbar, dass das abgehängt werden konnte.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn für ein Gefühl, was Sie sonst noch tun können?

Maser: Einen Schulterschluss der Demokraten erzielen. Fast allen Leuten hier wird langsam klar, dass diese Sachen in Kamp-Lintfort keinen Platz haben und dass wir das auch deutlich machen müssen.

DOMRADIO.DE: "Lass deine Demokratie nicht im Stich!": Das war das Motto am Wochenende. Nun gab es 20 Fähnchen schwenkende Rechte und 1.000 Gegendemonstranten. Was ist das für ein Gefühl?

Maser: So merkwürdig es klingt: ein sehr gutes. Der Anlass für die ganze Aufregung waren Nachrichten über unseren Bürgermeister aus der SPD. Wir sind in einem Kommunalwahljahr. Das heißt, mehrere Parteien und Fraktionen werden wahrscheinlich dieses Jahr noch einen eigenen Bürgermeisterkandidaten präsentieren. Wir waren trotzdem über die ganze Breite der demokratischen Parteien, der Kirchen und der anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zusammen. Das ist doch was.

DOMRADIO.DE: Bürgermeister Christoph Landscheidt hat klären lassen wollen, ob er ein erheblich gefährdeter Hoheitsträger sei. Glauben Sie, dass Kommunalpolitiker mehr Unterstützung in solchen Situationen brauchen?

Maser: Ich finde, dass sie diese unbedingt verdienen. Sie setzen sich für die Allgemeinheit ein. In Kamp-Lintfort können wir sehr viel davon sehen, was hier in den letzten Jahren gelungen ist. Das ist ja ein Bergwerks-Städtchen, dessen Zeche seit Jahren geschlossen ist. Wenn solche Leute sich nicht sicher fühlen können, wo kommen wir denn da hin?

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Christoph Landscheidt  / © Arnulf Stoffel (dpa)
Christoph Landscheidt / © Arnulf Stoffel ( dpa )
Quelle:
DR