"Woche für das Leben" wirbt für ein "Alter in Würde"

Entwicklungspotenzial bis zum Schluss

Vergesslich, gebrechlich, auf Hilfe angewiesen - oft dominiert eine solche Sicht auf Senioren. Die ökumenische "Woche für das Leben" will den Blick auf Ressourcen alter Menschen weiten und wirbt für ein "Alter in Würde".

Senioren genießen den Frühlingsanfang / ©  Felix Kästle (dpa)
Senioren genießen den Frühlingsanfang / © Felix Kästle ( dpa )

Der große Komponist Johann Sebastian Bach hat es vorgemacht: Im Alter litt er unter Diabetes, die mit Schmerzzuständen und motorischen Einschränkungen einherging, später erblindete er und erlitt einen Schlaganfall. Das hielt ihn nicht davon ab, weiter zu komponieren. 

In dieser Zeit entstanden zwei der größten Werke der Musikgeschichte, die "Kunst der Fuge" und die h-Moll-Messe. Für den Heidelberger Gerontologen Andreas Krause ein Musterbeispiel für seelische und geistige Stärken trotz körperlicher Einschränkungen.

Chancen des Alterns 

Nicht nur er will Mut machen, das hohe Alter anzunehmen und mit Leben zu füllen. Auch die bundesweite ökumenische "Woche für das Leben", die am Samstag in Mainz eröffnet wurde, wirbt diesmal für Lebensqualität bis ins hohe Alter und dafür, neben den Herausforderungen auch die Chancen dieser Lebensphase zu sehen. 

Unter dem Motto "Alter in Würde" lenkt sie den Blick auf die sogenannte vierte Lebensphase ab dem neunten Lebensjahrzehnt.

Christliches Kernanliegen

Die Aktionswoche möchte "zur Gestaltung der Jahre im hohen Lebensalter" animieren, wie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, im Themenheft schreiben.

Sie verweisen darauf, dass sich die Kirchen in vielen Einrichtungen gerade um diese Zielgruppe kümmern. Diese Sorge sei ein christliches Kernanliegen. Gerontologe Krause mahnt, Senioren nicht auf Defizite und das Bewusstsein um Endlichkeit und Vergänglichkeit zu reduzieren. 

Rentner im Urlaub / © Jens Büttner (dpa)
Rentner im Urlaub / © Jens Büttner ( dpa )

Gerade bei Hochbetagten treten nach seiner Beobachtung zugleich "seelische und geistige Qualitäten" zutage, "die die Verletzlichkeitsperspektive um eine Entwicklungsperspektive" erweitere. Bei vielen Senioren erlebe er eine erhöhte "Sensibilität für zentrale Lebens- und Sinnfragen".

Auseinandersetzung mit sich selbst

Diese Lebensphase sei oft gekennzeichnet von einer vertieften Auseinandersetzung mit sich selbst. Durch die gefühlte Nähe zum Tod ergebe sich "eine umfassendere Weltsicht", und es bilde sich eine "gelassenere Lebenseinstellung" heraus. Auch nähmen Spiritualität, Anteilnahme am Leben anderer Menschen und Dankbarkeit im eigenen Erleben zu.

Doch was ist mit den rund 1,5 Millionen allein in Deutschland an Demenz Erkrankten? Der Theologe Michael Coors und die Gesundheitsethikerin Andrea Dörries weisen darauf hin, dass die Würde des Menschen nicht an kognitive Fähigkeiten gekoppelt werden dürfe. Auch Menschen mit Demenz seien als Person zu behandeln.

Für die Kirchen ist klar, dass die Würde eines Menschen nicht von seinem Erscheinungsbild oder seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit abhängt, sondern auf der "Gottebenbildlichkeit und der Liebe Gottes zu allen Menschen" basiere. Daraus erwachse der Auftrag, auch Menschen in der vierten Lebensphase zu begleiten.

Ziel: Selbstbestimmte Senioren

Wie das gelingen kann, dazu führen die Kirchen Beispiele auf. Unter dem sperrigen Namen "Sozialraumorientierte Netzwerke in der Altenhilfe" (SoNAh) des Caritasverbandes Mainz startete 2012 ein Projekt, das alte Menschen aktivieren möchte, "sich für das Zusammenleben im Wohnumfeld zu engagieren und ihr Know-how dafür zur Verfügung zu stellen". Es richtet sich an "eine neue Generation selbstbewusster und selbstbestimmter Senioren".

Inzwischen vermelden die Organisatoren weit über 100 Projekte mit mehr als 1.000 Unterstützern, die die soziale Infrastruktur "abwechslungsreicher, lebenswerter und interessanter" machen möchten - etwa durch Nachbarschaftsinitiativen und tragfähige Netzwerke. Im hessischen Rödermark haben sich Ehrenamtliche zum "Seniorenlotsen", einer Art Ansprechpartner in Alltagsfragen, ausbilden lassen.

Die Erzdiözese Freiburg lädt mit dem Projekt "Spurensuche - geistliche Wege älterer Menschen ermöglichen und begleiten" zu einem niederschwelligen spirituellen Angebot ein, sich einen Monat lang auf einen geistlichen Übungsweg zu begeben. Anhand von Lebensthemen im Alter werden dabei biblische Gestalten in den Blick genommen. Das Angebot versteht sich als Einladung, "ermutigende Quellen für das eigenen Leben zu finden".

"Woche für das Leben"

Die jährlich stattfindende "Woche für das Leben" ist eine bundesweite Aktion der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland. Damit treten sie gemeinsam für den Schutz menschlichen Lebens in all seinen Phasen ein.

Ursprünglich begründet wurde die Initiative 1991 von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die Abtreibungspraxis in Ost und West unterschiedlich gehandhabt, sodass eine Neuregelung notwendig wurde.

Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen  / ©  Julian Stratenschulte (dpa)
Aktion "Woche für das Leben" der Kirchen / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
KNA