Gleich zu Beginn seiner zweitägigen Sitzung hat der Diözesanpastoralrat am Freitag in einer Videokonferenz über den Fortgang der "Unabhängigen Untersuchung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt" beraten. Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki und Generalvikar Markus Hofmann stellten sich den Fragen des rund 70-köpfigen Beratungsgremium und gaben ausführlich Antwort. Sie machten dabei deutlich, dass sich die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im EBK nicht auf die Unabhängige Untersuchung beschränkt.
Einsicht ins Westpfahl-Gutachten im März 2021
Erzbischof und Generalvikar betonten erneut, dass sie - anders als in der Öffentlichkeit kolportiert - das Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl nicht kennen und folglich auch nicht unter Verschluss halten würden. Es sei einzig den Anwälten zur Kenntnis gegeben. Zugleich erneuerte Kardinal Woelki sein Angebot an den Betroffenenbeirat des Erzbistums, dieser könne nach Fertigstellung des Gutachtens durch Prof. Gercke auch Einblick in das WSW-Gutachten erhalten. "Wir bieten das den Mitgliedern des Betroffenenbeirats an, damit sie sich ein umfassendes Bild der Aufklärungsarbeit machen können", erklärte der Erzbischof.
Darüber hinaus hat Kardinal Woelki in Absprache mit Prof. Gercke und weiteren Experten beschlossen, nach Abschluss der Arbeiten an der unabhängigen Untersuchung eine generelle Möglichkeit eines Einblicks in das Westpfahl-Gutachten für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Als Vorbild dient hierbei das Vorgehen in Limburg. Dies eröffnet die Möglichkeit der Einsicht für interessierte Einzelpersonen, insbesondere Betroffene oder Journalisten im rechtlich möglichen Rahmen.
Unabhängige Aufarbeitungskommission in Vorbereitung
Des Weiteren kündigte Woelki an, dass auch die noch einzurichtende unabhängige Aufarbeitungskommission Einsicht in das Münchner Gutachten erhalten soll, wenn das Gercke-Gutachten im März 2021 fertiggestellt ist. Schon seit einigen Wochen sei man in intensiven Gesprächen mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig (UBSKM): "Wir stimmen gerade einen Fahrplan ab, um eine unabhängige Aufarbeitungskommission für unser Erzbistum einzurichten, die die Aufarbeitung des Umgangs mit sexualisierter Gewalt kritisch begleitet", sagte Generalvikar Hofmann.
Hierzu werde man auch Kontakt mit der NRW-Landesregierung aufnehmen und setze so die im Sommer geschlossene Vereinbarung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs um. "Herr Rörig hat mir gegenüber unser Vorgehen zur Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission, die die Kriterien und Standards der Gemeinsamen Erklärung des Unabhängigen Beauftragten und der Deutschen Bischofskonferenz umsetzt und dann auf dieser Grundlage Maßnahmen des Erzbistums anstößt und begleitet, ausdrücklich begrüßt", betonte Hofmann.
Wissenschaftliche Evaluation der vielfältigen Präventionsmaßnahmen
Kardinal Woelki informierte den Diözesanpastoralrat auch über den Auftrag eines Forschungsprojekts der NRW-Bistümer zur Wirksamkeit von Prävention. Ziel sei die wissenschaftliche Überprüfung der vielfältigen Präventionsmaßnahmen. Die Präventionsarbeit wirkt seit zehn Jahren in den Pfarreien und Einrichtungen der fünf nordrheinwestfälischen (Erz-) Bistümer. Damit hat sie eine nachhaltige Auseinandersetzung mit der Thematik der sexualisierten Gewalt angestoßen. Hundertausende Menschen seien bisher sensibilisiert, informiert und geschult worden.
Was aber der Präventionsarbeit fehle, seien empirische Daten darüber, wie Prävention im Einzelnen wirkt. "Um genau dies festzustellen, findet nun eine wissenschaftliche Überprüfung statt, die die Wirkfaktoren der zehnjährigen Präventionsarbeit identifiziert und Veränderungsprozesse beschreibt", erklärte Kardinal Woelki. Für dieses Forschungsprojekt haben die Forscherinnen und Forscher Zugang zu kirchlichen Kindertagesstätten, Schulen, Kirchengemeinden, Jugendverbänden sowie Einrichtungen der Alten-, Behinderten, und Gesundheitshilfe.
Prof. Jahn und Dr. Stirner geben Auskunft zur Unabhängigen Untersuchung
Am Freitagabend stand noch einmal das Thema Unabhängige Untersuchung im Mittelpunkt der Veranstaltung. Um die Entscheidung zur Neubeauftragung des Gutachtens an Prof. Björn Gercke nachvollziehbar zu machen standen die Experten Prof. Jahn (Universität Frankfurt) und Frau Dr. Stirner (Kanzlei Gercke & Wollschläger) den Teilnehmenden Rede und Antwort.
Prof. Jahn erläuterte dabei seine Einschätzung zu den grundsätzlichen Maßstäben an Methodik und Sorgfalt, denen ein solches Gutachten gerecht werden muss und beantwortete dazu Fragen des Gremiums. Frau Dr. Stirner gab ihrerseits einen Einblick in die Methodik und Systematik der Neufassung zum jetzigen Stand und einen Ausblick auf das Vorgehen zur Veröffentlichung bis zum 18. März 2021. Auch Frau Dr. Stirner beantwortete hierzu Fragen.
Kein leichter Entschluss
Das Gutachten nicht zu veröffentlichen, sei kein leichter Entschluss gewesen, räumte Kardial Woelki abschließend gegenüber den Konferenzteilnehmern ein: "Wir mussten uns mit ernstzunehmenden Warnungen renommierter Juristen auseinandersetzen, die zu einem vernichtenden Urteil kamen", so Woelki, "darüber konnte ich mich nicht einfach hinwegsetzen."
Zugleich machte er noch einmal deutlich, auch beim Gercke-Gutachten "bleibe es das unveränderte Ziel, dass Verantwortlichkeiten untersucht und festgestellt werden und dass Namen genannt werden." Auch deshalb habe "Prof. Gercke wortgleich denselben Gutachtenauftrag bekommen, den Westpfahl 2018 bekommen hat."
Auf Anregung des Betroffenenbeirats wird das Erzbistum das Gutachten von Prof. Gercke einer Abschlussprüfung durch Prof. Jahn und Prof. Dr. Dr. h.c. Streng unterziehen. Das Erzbistum hat dieses Vorgehen mit den Beteiligten bereits abgestimmt.