DOMRADIO.DE: Was bedeutet Ihnen das gemeinsame Gebet im Garten der Religionen?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln und Präsident des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande / DVHL): Ich bin davon überzeugt, dass die verschiedenen Religionen gerade in solchen Notsituationen zusammenstehen müssen – und Juden, Christen und Muslime sind ja gerade eben auch im Heiligen Land in einer besonderen Weise miteinander verbunden.
Es ist das Land Abrahams, Isaaks und Jakobs. Es ist das Land Jesu. Dass dort jetzt dieser furchtbare Krieg herrscht, setzt uns in die Pflicht, wirklich alles Menschenmögliche zu tun, damit diese Auseinandersetzung ein Ende nimmt und ein friedliches und friedvolles Zusammenleben ermöglicht wird.
Wo wir als Menschen darüber hinaus eben nicht mehr weiterkommen, und dies scheint mir zum Beispiel so eine Situation zu sein, da bin ich wirklich davon überzeugt, dass das Gebet im Letzten stärker ist als alle Waffen.
Wir können nur den Himmel bestürmen, dass Gott ein Einsehen hat und unsere Herzen aus Stein erweicht und uns Herzen aus Fleisch gibt, die Herzen aus Liebe werden und die Herzen zum Frieden führen.
DOMRADIO.DE: Sie stehen in Kontakt mit dem Patriarchen von Jerusalem, mit Kardinal Pizzaballa. Welche Nachrichten haben Sie da?
Woelki: Es ist natürlich eine furchtbare humanitäre Katastrophe. Die Menschen in Israel, die Menschen in Gaza sind traumatisiert. Insbesondere auch die christlichen Gemeinden leiden unter dieser Situation.
Wir versuchen, über unseren Heilig-Land-Verein und auch als Erzbistum Köln dabei zu helfen, jetzt erst einmal die menschliche Not zu lindern.
Wir versuchen, Materialien zu beschaffen, sodass die Gemeinden weiter überleben können, dass Verbandsmaterial und andere wichtige Güter angeschafft werden. Das ist vor allen Dingen eine wichtige humanitäre Aufgabe, die wir jetzt zu leisten haben.
Zudem sind wir natürlich auch im Gebet miteinander verbunden und versuchen, unsere Solidarität mit allen Menschen im Heiligen Land zum Ausdruck zu bringen.
Dankbar bin ich dafür, dass in der Schmidt-Schule (eine Schule des DVHL in Ostjerusalem für christliche und muslimische Mädchen, Anm. d. Red.) der Unterricht wieder weitergeht, auch in Präsenz.
Ebenso bin ich dankbar dafür, dass auch die vielen Lehrer aus Deutschland dort vor Ort bleiben und den jungen Mädchen, die dort zur Schule gehen, helfen, ihre schulische Ausbildung ohne einen Abbruch zu beenden.
DOMRADIO.DE: Für Israel bedeutet dieses Massaker das, was für Amerika die islamistischen Terroranschläge vom 11. September 2001 bedeuteten. Glauben Sie, dass wir in Deutschland wirklich begriffen haben, welche Erschütterung dieses bestialische Massaker für Israel bedeutet?
Woelki: Ich weiß nicht, ob man das überhaupt begreifen kann und habe manchmal den Eindruck, dass angesichts der Situation, wie wir sie gegenwärtig im Heiligen Land vorfinden, eigentlich alle Worte versagen.
Ich denke, dass in dem gegenwärtigen Moment wirklich nur eines möglich ist: uns an Gott zu wenden, dass er seinen Geist aussendet und die Herzen der Menschen bewegt und sie zum Frieden hin bewegt.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, der Garten der Religion sei klein, aber unser gemeinsames Gebet könne ihn groß machen. Welche Bedeutung hat das gemeinsame Gebet?
Woelki: Alle Menschen guten Willens, hat der Papst gesagt, sollten zusammenkommen, um für Frieden zu beten, sich für Frieden auszusprechen.
Auch wenn wir als Muslime, als Juden, als Christen leben, ist es doch dies, was uns verbindet und trägt; dass wir Geschwister sind, einer großen Menschheitsfamilie angehören und alle von Gott geschaffen wurden.
Es ist unser gemeinsames Ziel, dass wir zu Gott hinkommen und in ihm unser Glück und unsere Vollendung finden. Deshalb ist es doch nicht vorstellbar, dass wir uns hier auf der Erde so entzweien.
Es muss Gerechtigkeit geschaffen werden, weil Gerechtigkeit die Voraussetzung ist für Frieden, Gerechtigkeit auch im Heiligen Land. Dann kann Frieden werden und wachsen.
DOMRADIO.DE: Was macht Ihnen Hoffnung?
Woelki: Hoffnung macht mir, dass wirklich viele Menschen da sind, die jetzt helfen und unterstützen.
Ich habe in den vergangenen Wochen junge Menschen kennengelernt, die im Libanon waren, die sich dort vor allen Dingen für Jugendliche und andere Menschen eingesetzt haben, die auch vom Unfrieden bedroht waren.
Die mussten leider ausreisen. Aber in Israel gibt es auch viele Menschen, die dort bleiben, ganz bewusst dort bleiben, um den Menschen dort jetzt ihre Solidarität ganz praktisch zu zeigen.
Ich habe wirklich die große Hoffnung, dass das Gebet und die Gesten der Menschlichkeit im Letzten dazu führen werden, dass Frieden wird.
Das Interview führte Johannes Schröer.