Gutachter sehen keine Pflichtverletzung des Kölner Kardinals

Woelkis weiße Weste

Kardinal Rainer Maria Woelki wird vorgeworfen, in die Vertuschung von Missbrauch verwickelt gewesen zu sein. Gutachter Gercke kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis - offenbar genau wie der Vatikan und das erste Gutachten.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Rainer Maria Kardinal Woelki / © Berg (dpa)
Rainer Maria Kardinal Woelki / © Berg ( dpa )

Aufklärung angekündigt, Gutachten zurückgezogen, zweites Gutachten vorgestellt: Das Erzbistum Köln hat für das Hin-und-Her in seiner Missbrauchsaufarbeitung in den vergangenen Monaten viel Kritik eingesteckt. Von einer katastrophalen Kommunikation war die Rede. Kardinal Rainer Maria Woelki wurde vielfach zum Rücktritt aufgefordert.

Das ungeschickte Krisenmanagement einmal dahingestellt - ob Woelki selbst Missbrauchsfälle vertuscht hat, ist bislang offen geblieben.

Ein Gutachten des Strafrechtlers Björn Gercke, das am Donnerstag in Köln vorgestellt wurde, kommt nun zu dem Ergebnis, dass sich der Erzbischof hier nichts vorzuwerfen habe. Die Untersuchung listet unter anderem einen Fall auf, den Kritiker Woelki anlasten - den Fall des mit ihm befreundeten Priesters O. aus Düsseldorf, der 2017 verstorben ist.

Woelki hat sich nichts vorzuwerfen

Die Untersuchung, die auch Stellungnahmen von Woelki und weiteren Kirchenverantwortlichen enthält, stellt den Fall folgendermaßen dar: O. soll in den 1970er Jahren einen Jungen im Kindergartenalter sexuell missbraucht haben. 2010 meldete sich der Betroffene erstmals beim Erzbistum, 2011 führte er die Vorwürfe näher aus.

Der damalige Personalchef und heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße (54) lud den Betroffenen daraufhin zu einem Gespräch ein. Aus gesundheitlichen Gründen und weil er weit weg wohnte, habe der Betroffene dieses Angebot abgelehnt. In Anerkennung des Leides erhielt er allerdings 15.000 Euro durch die Zentrale Koordinierungsstelle der Deutschen Bischofskonferenz - das Dreifache des damals üblichen Regelsatzes. Was dafür spricht, dass man die Schilderungen für glaubhaft hielt.

Dem Gutachten zufolge telefonierte Personalchef Heße im Juni 2011 mit Woelki wegen der Sache. Der war damals Weihbischof und für die Region Nord zuständig, in der O. tätig war. Zudem waren Woelki und O. seit langer Zeit befreundet. Wie Woelki zu Protokoll gab, fragte ihn Heße, ob er sich vorstellen könne, dass O. einen Missbrauch begangen habe.

Das habe er grundsätzlich verneint, so Woelki. Heße habe jedoch von den konkreten Vorwürfen nichts gesagt und sei auch seinen Nachfragen ausgewichen. Darüber habe er, Woelki, sich "später sehr geärgert", heißt es im Gutachten weiter. Heße habe sich lediglich noch nach dem Gesundheitszustand von O. erkundigt, den Woelki als schlecht einschätzte. O. habe einen Schlaganfall gehabt und leide an Depressionen.

Zwei Pflichtwidrigkeiten von Kardinal Meisner

Eine kirchenrechtliche Voruntersuchung unterblieb und der Fall wurde nicht an den Vatikan gemeldet - zwei Pflichtwidrigkeiten, die die Gutachter dem damals zuständigen Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) anlasten. Der hätte eine Voruntersuchung einleiten müssen, ganz unabhängig von Woelkis Einschätzungen zur Gesundheit von O. Alle "hierarchisch untergeordneten Beteiligten", etwa Personalchef Heße, hätten sich der Entscheidung ihres Erzbischofs fügen müssen.

Der Fall hätte zudem auch an die Staatsanwaltschaft gemeldet werden müssen, so die Rechtsexperten. Hier wäre die Justiziarin des Erzbistums zuständig gewesen, die von den Vorgängen aber vermutlich gar nichts wusste.

Im September 2014 wurde Woelki dann Erzbischof von Köln. Wenige Monate später ließ er sich eine Liste von Priestern unter Missbrauchsverdacht erstellen. Als er bemerkte, dass darunter auch Pfarrer O. war, ließ er sich die Akte kommen und erfuhr von den konkreten Vorwürfen gegen seinen Freund. Nun hätte der Kardinal eine kirchenrechtliche Voruntersuchung einleiten und den Fall nach Rom melden müssen, sagen die Kritiker. Beides unterblieb erneut.

Hier stützen nun die Gutachter ein Argument, dass das Erzbistum bereits vorher ins Feld geführt hatte: Wegen eines zweiten Schlaganfalls sei O. 2015 ein "Schwerstpflegefall" gewesen. Woelki zufolge war er bettlägerig und nicht mehr vernehmungsfähig. Ein Strafverfahren gegen O. hätte nicht mehr durchgeführt werden können.

Woelki hat Aufklärungspflicht nicht verletzt

Nach Ansicht einiger Kirchenrechtler wäre Woelki dennoch verpflichtet gewesen, den Fall nach Rom zu melden. Gutachter Gercke dagegen schloss sich der Meinung an, dass dies nach damaliger Rechtslage - anders als heute - nicht zwingend gewesen sei. Der Erzbischof habe seine Aufklärungspflicht also nicht verletzt.

Auch der Vatikan und die zuerst mit einem Gutachten beauftragte Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hätten Woelkis Handeln in diesem Fall nicht als Pflichtverletzung beurteilt, ergänzte Gercke und plauderte damit aus dem Nähkästchen. Denn diese wegen "methodischer Mängel" vom Erzbistum zurückgehaltene erste Untersuchung sollen Betroffene und Journalisten erst Ende kommender Woche einsehen können, um die Ergebnisse abgleichen zu können.

Folgt man diesen Ausführungen, ist Woelkis Weste weiß - salopp formuliert. Bis er neues Vertrauen bei Betroffenen und im Kirchenvolk gewinnt, kann es jedoch dauern. Die Laieninitiative "Wir sind Kirche" zeigte sich am Donnerstag trotz allem erschüttert vom "verstörenden Unrechtsbewusstsein bei den Leitungsverantwortlichen des größten deutschen Bistums". Der Kardinal müsse seinen Rücktritt anbieten, lautete nach wie vor die Forderung.


Quelle:
KNA
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