Zukunft ist immer. Man holt sie nicht ein. Kann es ein Ziel geben, wenn man sich auf den Weg in die Zukunft macht? Leiden daran nicht alle Zukunftsprozesse, die in Gesellschaft und Kirche so gerne Aufbruch und Zuversicht signalisieren? Und: Hat sich die Zukunft nicht selbst schon überholt, wenn diese Prozesse zum Abschluss gekommen sind?
Auch im Erzbistum Köln kann man davon ja ein Lied singen. Das Pastoralgespräch Mitte der 1990er Jahr oder das Projekt "Zukunft heute" Anfang der 2000er Jahre wurde von vielen mit großem Engagement getragen; am Ende aber hatten die Zeitläufte die Zukunftsplaner längst überholt. Immer wollte man sich redlich den veränderten Herausforderungen der Zeit stellen, die am Ende der Prozesse aber meist noch größer waren, als am Beginn. Meist ging es um notwendig gewordene Einsparungen, die eine Konzentration von Kräften notwendig machte. Um das Wort "Zusammenlegung" zu vermeiden, sprach man dann gerne von Synergieeffekten, die in der römisch-katholischen Kirche natürlich immer auch das Priesteramt betreffen.
Konzentraton auf Eucharistiefeiern
Weil die Eucharistiefeier Quelle, Mitte und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens ist, bedeutet eine Abnahme der Zahl der zur Verfügung stehenden Priester immer auch eine notwendig werdende Konzentration der Eucharistiefeiern. Manche Gemeinde verlor so im Laufe der Jahre ihre geistliche Heimat, weil man sich nun nicht mehr sonntäglich in der Kirche zur Heiligen Messe traf, die man selbst oder die Eltern nach dem Krieg mit eigenen Händen mit aufgebaut hatten, in der man getauft worden war, zur Erstkommunion ging oder geheiratet hatte. Jetzt sollte man ins Nachbardorf oder die Nachbargemeinde fahren.
Hier und da sind so über die Jahre neue Beheimatungen entstanden. Sicher. Oft genug aber bleibt das Gefühl von Fremdheit, weil die eigene Kirche zwar noch im Dorf steht, sonntags aber verschlossen bleibt. Und nun lobt der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki den Pastoralen Zukunftsweg aus. Ist das nicht wieder so eine Geschichte, die nur zu größeren Strukturen und weiteren Wegen führt? Geht es nicht doch wieder nur um Einsparungen unter dem Deckmäntelchen eines geistlichen Aufbruchs? Lehren die Erfahrungen der vergangenen Prozesse nicht, dass man in Köln doch längst schon alles in den Schubladen hat?
Würde und Charismen der Getauften und Gefirmten
Ich muss sagen, dass ich diese Skepsis nur allzu gut nachvollziehen kann. Ich teilte sie sogar, als ich von den ersten Plänen hörte. Im Fastenhirtenbrief 2016, mit dem der Pastorale Zukunftsweg initiiert wurde, war nun viel von Getauften und Gefirmten die Rede, ihrer Würde und ihren Charismen, die es bei aller Verschiedenheit der Dienste und Rollen zu entdecken gälte. Das ist richtig und eigentlich nicht neu, spricht doch schon der Heilige Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert davon, dass die Gefirmten die Vollmacht hätte, "öffentlich den Glauben an Christus wie von Amts wegen zu verkünden". In der Praxis aber wurden sie über Jahrhunderte doch eher wie Schafe behandelt, die gehorsam den Hirten zu folgen hätten.
Dass nun die Getauften und Gefirmten stärker in den Mittelpunkt rücken, ist ein deutliches Indiz dafür, dass sich die Herausforderungen erneut geändert haben. In der Tat sind die Zahlen, Daten und Fakten unbestechlich. Mit Blick auf das Jahr 2030 steht jetzt schon fest, dass im Erzbistum Köln die Zahl der pastoralen Dienste – geweiht wie ungeweiht – halbieren wird.
Auch zeichnen die Prognosen kein freundliches Bild über die Entwicklung der Zahl der Kirchenmitglieder, die sich ebenfalls halbieren soll – allerdings erst bis zum Jahr 2060. Das hat neben der allgemeinen demografischen Entwicklung auch mit zurückgehenden Taufzahlen und steigenden Austrittszahlen zu tun. Damit einher geht aber auch, dass mit einem Rückgang der Kirchensteuereinnahmen zu rechnen ist. Auf diese Entwicklungen muss das Erzbistum Köln reagieren. Der Pastorale Zukunftsweg ist die Antwort auf diese Herausforderungen.
Gut besuchte Regionalforen
Man kann über den Namen "Pastoraler Zukunftsweg" tatsächlich streiten, ist doch die Zukunft per se nicht erreichbar. Trotzdem ist etwas anders als an den bisherigen Zukunftsprozessen. Im September 2018 begann mit der Gründung von fünf Arbeitsfeldern eine neue, die aktuelle Etappe des Pastoralen Zukunftsweges. Die fünf Arbeitsfelder beschäftigen sich unter breiter Beteiligung des Erzbistums mit den Themenbereichen "(Geistlicher) Kulturwandel, Vertrauensarbeit", "Kirche (in ihrer ganzen Breite) vor Ort", "Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit", "Ausbildung und Kompetenzerweiterung" und "Effizienz und Nachhaltigkeit". Nach ersten Analysen zu den jeweiligen thematischen Bereichen gingen Mitglieder der Arbeitsfelder in die Tiefen des Erzbistums, besuchten zahlreiche Recollectiones (also regionale Zusammenkünfte von Seelsorgerinnen und Seelsorgern), Konferenzen von Pfarramtsekretärinnen und -sekretären bzw. Küsterinnen und Küstern, oder Pfarrgemeinderäte.
Es wurde Experteninterviews geführt und Onlineumfragen organisiert, an denen über 7.000 Personen teilnahmen. Die Ergebnisse all dieser Ereignisse wurden in eine Zielskizze eingebracht, die im September/Oktober 2019 auf drei Regionalforen in Köln, Euskirchen und Düsseldorf einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt und dort diskutiert wurden. Über 1.500 Personen nahmen an den Regionalforen teil. Jede einzelne Rückmeldung wurde erfasst und fließt in die weiteren Beratungen ein. Wie wichtig Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki dabei jede einzelne Meinung ist, zeigt die Anekdote, als er bei einer Fragerunde die Moderatorin, die zur Mittagspause rief, unterbrach und feststellte, dass er erst jede Wortmeldung hören wolle.
Nach den Regionalforen ist die aktuelle Etappe im Pastoralen Zukunftsweg in eine neue Phase eingetreten. Die Rückmeldungen aus den Regionalforen werden in die Zielskizze eingearbeitet. In Fokusteams, die aus Mitgliedern der Arbeitsfelder und den Fachabteilungen des Erzbischöflichen Generalvikariates bestehen, werden auf dieser Basis Konzepte etwa zur Strategie der Öffentlichkeitsarbeit, der Digitalisierung, der Willkommenskultur oder den zukünftigen Strukturen der Pfarreien und Gemeinden erarbeitet. Letzteres ist sicher das, was viele Gemeindemitglieder am meisten interessiert. Wird es wieder nur um Zentralisierungen gehen?
Zentralisierung der Verwaltung unabdingbar
Die Zahlen, Daten und Fakten sind unbestechlich. Sie zeigen, dass sich wieder etwas ändern muss, wenn auch heute die Menschen zu Christus geführt werden und die Kirche wachsen soll. Gleichzeitig zeigen die Erfahrungen der letzten Zukunftsprozesse, dass alleinige Zentralisierungen keine nachhaltigen Lösungen sein können. Es braucht also ein grundlegendes Umdenken und einen geistlichen Kulturwandel auf allen Ebenen – nicht nur auf der Seite des Erzbischofs und des Generalvikariates, sondern auch bei den pastoralen Diensten und den Gemeinden selbst. Jetzt schon zeichnet sich ab, dass die Begriffe "Pfarrei" und "Gemeinde" neu gedacht werden müssen. Eine Zentralisierung der Verwaltung scheint mit Blick auf die Zahlen, Daten und Fakten unabdingbar. Gleichzeitig muss die Pastoral dezentraler als bisher gedacht werden.
Deshalb wird es zukünftig wohl größere Verwaltungseinheiten geben, die "Pfarreien" genannt werden. Unterhalb der "Pfarrei" aber wird es viele "Gemeinden" geben (müssen), durch die die Kirche "nah beim Haus" bleibt. Es ist klar, dass bei zurückgehenden Zahlen hauptberuflich pastoraler Dienste neue Leitungsmodelle notwendig werden. Deshalb wird an einem Konzept zur Einführung von "Teams von Verantwortlichen" gearbeitet, die ehrenamtlich und mit Kompetenz die Leitung der Gemeinden "nahe beim Haus" wahrnehmen. Die Rede von der Würde der Getauften und Gefirmten ist also kein Planspiel. Sie ist Teil eines fundamentalen Kulturwandels, der in den hauptberuflichen Pastoralen Diensten Ermöglicher sieht, die die Teams von Verantwortlichen begleiten und befähigen, ihren Fähigkeiten entsprechen öffentlich den Glauben an Christus wie von Amts wegen zu verkünden.
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki ist wichtig, dass die Eucharistie weiter Quelle, Mitte und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens bleibt. Sie muss verlässlich an zentralen Orten gefeiert werden. Hier stehen sicher noch offene Fragen im Raum, was das für die Versammlungen der neuen "Gemeinden" bedeutet. Aber auch hier zeichnen sich schon Ideen ab, die die Bedeutung der Eucharistie stärken, aber doch die Lebensbedingungen der Menschen ernst nehmen.
Keine Denkverbote
Eins kann ich jedenfalls nach fast anderthalb Jahren als Leiter des Arbeitsfeldes 3 "Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit" sagen: Es wird über alles offen gesprochen. Es gibt keine Denkverbote und keine fertigen Pläne in den Schubladen des Generalvikariates. Es ist ein offener und komplexer Prozess. Der Pastorale Zukunftsweg ist tatsächlich ein Aufbruch auf vielen Ebenen.
Er wird den Gemeinden im Frühjahr 2020 nahe kommen, wenn in lokalen Konferenzen (in Seelsorgebereichen oder Sendungsräumen) die zunehmend deutlicher werdende Zielskizze gemeinsam weiter geschärft wird, so dass im Sommer ein Zielbild entsteht, von dem man wirklich sagen kann, dass es aus der ganzen Breite des Erzbistums heraus entstanden ist.
Eines ist sicher: Zukunft ist immer. Nach 2030 wird es wieder eine Zukunftsprozess geben. Jetzt – hier und heute – ist es an uns, die nahe Zukunft so zu planen, dass auch in der fernen Zukunft die Kirche immer noch wächst, weil Menschen zu Jesus finden.
Autor: Dr. Werner Kleine ist Leiter des Arbeitsfeldes 3 "Kommunikation, Dialog, Öffentlichkeit" des Pastoralen Zukunftsweges im Erzbistum Köln. Er ist Referent für Citypastoral in der Katholischen Citykirche Wuppertal (Citypastoral, missionarische Pastoral, Passantenpastoral, Pastoral für Fernstehende)