DOMRADIO.DE: Beim Investiturstreit war die Einsetzung von Äbten und Bischöfen nur ein Aspekt. Worum ging es im Grundsätzlichen?
Prof. Dr. Norbert Köster (Seminar für Historische Theologie und ihre Didaktik): Im Grundsätzlichen ging es darum, dass die Frage bestand, wer eigentlich das Recht hat, überhaupt solche Ämter und die damit verbundenen Einkünfte – das ist ein ganz wichtiger Punkt – zu vergeben. Darf ein Laie, also ein weltlicher Herrscher, kirchliche Ämter in seinem Bereich vergeben oder ist das eine Sache, die irgendwie der kirchlichen Sphäre zugehört?
Das war ein lange schwelender Streit, denn die Adelsfamilien – das muss man sich jetzt klar machen: Feudalherrschaft des Mittelalters – wollten ihre Kinder standesgemäß versorgen. Sie sollten nicht arbeiten müssen, sondern irgendwelche Einkünfte haben. Der Älteste erbte die Herrschaft und die nachgeborenen Kinder mussten versorgt werden.
Die Frauen kamen dann in der Regel, wenn sie nicht verheiratet wurden, in ein Stift, in ein Kloster, wo sie versorgt waren. Die nachgeborenen Männer mussten dann anderweitig versorgt werden. Da boten sich kirchliche Ämter an, denn die hatten eigene Einkünfte. Karl der Große hatte ja die Kirche mit dem Zins ausgestattet, also dem Zehnt. Man durfte Gebühren eintreiben.
Das heißt, alle höheren kirchlichen Ämter waren mit Einkünften versehen. Daher war es für den Adel äußerst wichtig und lukrativ, kirchliche Ämter an ihre Kinder zu verteilen. Das setzte natürlich eine eigene Dynamik in Gang, dass de facto im Mittelalter der Adel alle kirchlichen Ämter in seinem Bereich selbstständig besetzte.
DOMRADIO.DE: Aber war das nicht im römischen Papsttum zeitweise auch so? Was für ein Geist wehte denn damals in Rom, dass man da etwas gegen hatte?
Köster: Das kam erst dadurch, dass in Rom eine große Reformbewegung in Gang kam. Das hängt mit Kaiser Heinrich III. zusammen. Der zog 1046 nach Rom, um sich zum Kaiser krönen zu lassen, fand aber in Rom drei Päpste vor. Das war ein klassisches Problem in Rom. Die römischen Adelsfamilien machten unter sich aus, wer Papst wird, und das konnte schon mal sehr konfliktiv sein und auch dazu führen, dass man drei Päpste hatte.
Also hat Heinrich III., weil er jetzt von einem gültigen Papst gekrönt werden wollte, eine Synode einberufen, drei Päpste abgesetzt und dafür gesorgt, dass ein neuer und auch jemand aus seinem Herrschaftsbereich, nämlich Suitger von Bamberg, zum Papst gewählt wird, der ihn dann auch sofort gekrönt hat. Diese Geschichte hat in Rom einen ziemlichen Schock ausgelöst. Also: Unter welcher Herrschaft stehen wir eigentlich?
Dann kommt eine ziemlich radikale Reformbewegung, die wir die Gregorianische Reform nennen, in Gang, die jetzt sagt: Das passiert uns nicht noch einmal, dass ein Kaiser oder ein König einen Papst absetzt und dafür sorgt, wer der neue Papst wird. In verschiedenen Schritten eskaliert jetzt dieser Konflikt.
DOMRADIO.DE: Ein Höhepunkt des Investiturstreits war ja gleich zu Beginn der Gang Heinrichs IV. nach Canossa im Winter 1076/77. Was wollte er damit bezwecken?
Köster: Heinrich IV. hatte nach Auffassung des Papstes Gregor VII. eigenmächtig sieben Bischöfe ernannt und dafür hatte ihn Gregor gebannt, das heißt, er hatte ihn aus der katholischen Kirche ausgeschlossen. Damit verlor Heinrich nach dem damaligen mittelalterlichen Verständnis auch das Recht auf seine Herrschaft. Die Fürsten durften ihm gar nicht mehr begegnen.
Das war eine ziemlich massive Maßnahme. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als im Winter über die Alpen zu ziehen, vor der Burg Canossa Buße zu tun und dort dann wieder eingesetzt zu werden. Das war ein etwas komplexerer Prozess, als ich das jetzt schildere. Aber de facto hat Gregor VII. dabei verloren, denn der Konflikt geht weiter. Diese scharfe Maßnahme hat sich dann am Ende nicht ausgezahlt.
DOMRADIO.DE: Am 23. September 1122 wurde dieser lange Investiturstreit mit dem Wormser Konkordat zwischen Kaiser Heinrich V. und Papst Calixtus II. beigelegt. Wie hat man sich letztendlich geeinigt?
Köster: In diesem Konkordat, das kein wirklicher Vertrag war, sondern zwei Urkunden, in denen man sich gegenseitig etwas bestätigt, wird jetzt etwas Fundamentales für die Geschichte Europas beschlossen, nämlich dass man erst einmal klar unterscheidet zwischen einem geistlichen und einem weltlichen Bereich. Das heißt, geistliche Ämter werden nur von Geistlichen vergeben.
Ein Bischof kommt dadurch ins Amt, dass benachbarte Bischöfe ihm den Ring und den Stab übergeben. Das ist der erste wichtige Akt, dass sowohl der König als auch der Papst in dieser Hinsicht einig sind. Das geistliche Amt – das ist das Bischofsamt oder das Amt des Abtes, der Äbtissin – wird von einem Geistlichen mit den Zeichen Ring und Stab übergeben.
Davon getrennt wird jetzt im Wormser Konkordat die Übergabe der weltlichen Herrschaft. Es gehört ja zur Geschichte des Mittelalters, dass auch Bischöfe weltliche Herrschaft ausübten. Das hängt damit zusammen, dass die Könige ihre Söhne, die Bischöfe, würdenreich ausstatten mit sogenannten Regalien, also mit Gütern, so dass sie gut leben konnten.
Die Frage war jetzt immer: Wie werden diese weltlichen Güter übergeben? Jetzt einigt man sich, dass nach der Übergabe von Ring und Stab, also der Einsetzung ins geistliche Amt, die weltliche Herrschaft vom weltlichen Herrscher übergeben wird. Dafür brauchte man jetzt ein neues Zeichen. Das ist das Problem des Mittelalters: Alles, was de facto gültig ist, geschieht durch Zeichenhandlungen, nicht durch Urkunden. Die spielen im Mittelalter gar nicht so eine große Rolle.
Jetzt war die große Frage: Was übergeben wir denn jetzt als Zeichen weltlicher Herrschaft? Da erfindet man das Zepter, was dann in der Geschichte Europas als Zeichen der weltlichen Herrschaft eine wichtige Rolle spielt. Das ist der Kernpunkt dieses Vertrags, dass das genau getrennt wird, geistliches Amt und weltliche Herrschaft.
DOMRADIO.DE: Eigentlich schon ein relativ modernes Konkordat oder eine moderne Vereinbarung in Richtung Trennung von Kirche und Staat, so wie wir es auch heute in den Staaten der westlichen Welt haben?
Köster: Wir haben hier eine theoretische klare Trennung von Kirche und Staat, die aber über das Mittelalter und auch bis in die Neuzeit zu einer ganz engen Kooperation führt, wie sie das Heilige Römische Reich dann auch kennt, also dass man in vielen Dingen zusammenarbeitet.
Das haben wir bis heute in den Fragen von Religionsunterricht in der Schule, aber auch umgekehrt, dass der Bischof bis heute, wenn er hier vom Domkapitel gewählt wird, dann vom Staat bestätigt werden muss. Das ist alles die Rechtsfolge dieses Konkordats.
DOMRADIO.DE: Konkordat ist auch wieder heute ein großes Thema, wenn aktuell über Kirchenreform diskutiert und gestritten wird. Neben der Bischofswahl sind Hochschule und kirchliches Arbeitsrecht relevante Themen. Was hat das Wormser Konkordat da heute noch für eine Relevanz?
Köster: Auf der einen Seite hat das Wormser Konkordat die Relevanz, dass bis heute die Kirche bestimmte Dinge im Staat und im staatlichen Auftrag auch tun kann. Die Kirche darf Schulen unterhalten. Das dürfen andere freie Träger auch, aber das ist eine Folge dieses engen Zusammenarbeitens zwischen Kirche und Staat, dass die Kirche solche Dinge tun kann.
Auf der anderen Seite hatten wir auch lange eine große Freiheit der Kirche im Rahmen des Arbeits- und des Dienstrechts. Da haben wir jetzt in den letzten Jahren sehr deutliche Veränderungen, dass diese große Freiheit, die die Kirche in der Tradition des Wormser Konkordats im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation hatte, jetzt eingegrenzt wird.
Beim Kölner Chefarzturteil von 2015 hat der Europäische Gerichtshof ja sehr deutlich gemacht hat, dass diese kirchliche Rechtssphäre ihre Grenzen hat. Die Kirche darf nicht mehr das Privatleben ihrer Angestellten durchforsten und erforschen. Jemand, der zum Beispiel geschieden und wiederverheiratet ist, wie es im damaligen Urteil war, darf nicht allein aufgrund dieser Tatsache entlassen werden, sondern es müssen ganz andere Dinge vorliegen.
Daran sieht man, dass diese Trennung von Kirche und Staat jetzt auch aufgrund des europäischen Einflusses stärker wird, als sie hier bei uns in der Tradition des Wormser Konkordats bislang war.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.