DOMRADIO.DE: Altkanzler Schröder darf SPD-Mitglied bleiben. Begrüßen Sie das Urteil der SPD-Schiedskommission?
Karin Kortmann (SPD-Mitglied und ehemalige Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Ich begrüße das überhaupt nicht. Ich muss allerdings auch dazu sagen: Ich habe nichts anderes erwartet. Ein Parteiausschlussverfahren ist extrem kompliziert und sehr, sehr schwierig. Wir haben wenige Beispiele in der Geschichte aller Parteien, wo es zu einem Parteiausschlussverfahren kam. Wenn man da ein bisschen genauer in die Statuten schaut, heißt es bei der SPD: Parteiausschluss kann nur angeordnet werden, wenn vorsätzlich gegen die Statuten oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei verstoßen wurde und dadurch schwerer Schaden für die Partei entstanden ist. Juristen würden jetzt sagen: Da sind viele unbestimmte Rechtsbegriffe drin, mit "erheblich" und "schwer". Und das muss man nachweisen.
Wenn er ein bisschen Anstand gehabt hätte, dann hätte er gesagt: Ich trete aus dieser Partei aus, weil mein Verhalten dort nicht mehr mehrheitsfähig ist und keine Akzeptanz findet. Und um Schaden von dieser Partei abzuwenden, trete ich aus, weil ich ja scheinbar auch nicht mehr mit den Grundsätzen von Frieden und Sicherheitspolitik, von Demokratieförderung übereinstimme, sondern mich mit einem Despoten, einem Kriegstreiber, einem Aggressor nach wie vor befreundet fühle. Das kann niemand gutheißen, weder in der eigenen Partei noch in der Gesellschaft. Er verspielt damit alles, was er als Kanzler auch Gutes getan hat. Bundeskanzler ist man für eine gewählte Zeit. Aber Verantwortung für das Gemeinwesen, für diesen Staat hat man in einer besonderen Weise, auch wenn man nicht mehr aktiver Kanzler ist.
DOMRADIO.DE: Zum Parteiausschluss reicht das aber nun nicht. Was muss man denn machen, um aus der SPD rauszufliegen?
Kortmann: Man muss aktiv gegen Parteibeschlüsse vorgehen oder gegen einzelne Mitglieder in der Partei. "Schwerer Schaden" ist schwer nachzuweisen und man konnte es ein bisschen herauslesen, da sich Schröders Anwalt ja schon während des Verfahrens zu Wort gemeldet hat: Da würde nichts bei rauskommen.
Jetzt sieht man aber auch auf der anderen Seite: Es gibt 17 SPD-Gliederungen, die das Parteiordnungsverfahren gegen Schröder beantragt haben. Erst mal hat sein Ortsverein darüber entschieden und jetzt kann innerhalb von zwei Wochen gegen diesen Beschluss angegangen werden. Ich gehe mal davon aus, diese 17 SPD-Gliederungen werden das auch tun und dann geht es in die nächste Stufe. Dann muss der Bezirk Hannover das Schiedsverfahren noch mal neu aufsetzen. Gibt es auch dagegen Anfechtungen, dann geht es an die Bundes-Schiedskommission.
Ich würde auch jedem raten, alle Instanzen durchzugehen und das prüfen zu lassen. Dafür ist es zu wichtig und hinterlässt einen so schalen Geschmack auch für die SPD, dass man scheinbar keine Handhabe hat, diese Kriegstreiberei zu beenden. Und nichts anderes ist es ja, wenn er sich weiterhin mit Putin umgarnt. Dann nützt es auch nichts, wenn er im Mai seinen Posten im Aufsichtsrat des russischen Energiekonzerns Rosneft aufgegeben hat oder die Nominierung für einen Sitz im Aufsichtsrat von Gazprom abgelehnt hat. All das reicht nicht mehr. Der Haushaltsausschuss des Bundestags hat ihm ja sogar sein Büro aberkannt und die vier noch verbliebenen Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen wieder auf andere Posten zurückversetzt. Also er findet nirgendwo mehr Unterstützung für diese Positionen. Und dann muss man sagen: Hast du es nicht begriffen? Willst du's nicht begreifen? Wen will er denn hier noch vorführen?
DOMRADIO.DE: Altkanzler Schröder war in den Neunzigerjahren ja schon ein großer Hoffnungsträger für Deutschland und auch für die SPD. Man kann sich kaum erklären, warum er sich jetzt so in den Dienst russischer Gaskonzerne stellt und Putin unterstützt. Haben Sie eine Erklärung dafür oder macht Sie das auch ratlos?
Kortmann: Ich glaube, das macht mich und die meisten der SPD-Mitglieder ratlos. Aber auch andere Menschen, die das beobachten. Er hat ja in der Tat 1998 mit dem Wahlsieg vieles erreichen können. Für die Sozialgesetzgebung. Er war gegen den Irakkrieg, hat sich durchgesetzt gegen den amerikanischen Präsidenten. Er hat gesagt, es gibt keine deutsche Beteiligung. Also da gab es viele gute Momente, an die man gerne denkt, aber sie werden überlagert von der Art und Weise, wie er seit ein paar Jahren auf Putin hin reagiert und überhaupt keine Beratung mehr annimmt. Also entweder ist er beratungsresistent, wovon ich schon glaube ausgehen zu dürfen. Und das andere ist, dass es kein Korrektiv mehr für ihn gibt. Es erreicht ihn scheinbar niemand mehr aus der Parteispitze oder aus der Fraktion, die versucht haben, mit ihm darüber zu sprechen. Er ist einfach ein isoliertes Mitglied innerhalb der SPD. Ihm müsste klar sein, dass sich ein Parteiausschlussverfahren, ähnlich wie es bei Thilo Sarrazin gelaufen ist, ja auch über mehrere Jahre strecken kann, aber zum Schluss trotzdem die Einsicht überwiegt. Entweder von der Schiedskommission, dass sie gut recherchiert und Nachweise finden kann, oder eben von dem Angeklagten selber, dass er sagt: Es ist das Ende der Zumutungen für meine Partei.
DOMRADIO.DE: Aber vielleicht steht in den Geschichtsbüchern ja auch irgendwann: Gerhard Schröder hat sich durch seinen inoffiziellen Einsatz trotz allen Gegenwinds um den Frieden in der Ukraine verdient gemacht.
Kortmann: Bis heute können wir ja nicht nachweisen, dass er sich wirklich darum bemüht, sondern er hat nur davon gesprochen, dass er Informationen aus dem Kreml hat, dass man zu Verhandlungslösungen kommen will und dass sie nicht militärisch zu gewinnen sind. Er spricht vom Kreml, er spricht nicht von Putin. Daraus könnte man ablesen, dass er nicht mit Putin gesprochen hat. Den Friedensnobelpreis wird er sowieso nicht bekommen. Und wenn er Glück hat, dann behält er noch ein bisschen was an Anerkennung von denjenigen, die eine Zeit lang seine politischen Weggefährten waren. Aber auch diese Anzahl von Personen wird kleiner. Er hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Das Interview führte Heike Sicconi.