Davon macht sich ZdK-Präsident Sternberg derzeit ein Bild.
domradio.de: Sie sind mit Vertretern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in diesen Tagen in Polen, um an einem Kongress über die Rolle der Kirche für Europa teilzunehmen - und sich auch ein Bild über die Situation der polnischen Kirche zu machen. Ist die Kirche in Polen denn tatsächlich genau so gespalten, wie die Gesellschaft?
Prof. Thomas Sternberg (Präsident des Zentralkomitees deutscher Katholiken/ZdK): Ja, man hat von außen diesen Eindruck. Allerdings ist es wichtig, dass man Gespräche führt und mit den Menschen spricht. Vieles sieht dann doch wieder anders aus, wenn man vor Ort ist und wenn man Begegnungen und Kontakte pflegt. Dann sieht man doch, dass die Unterschiede vielleicht nicht so grundsätzlich sind, wie sie bei uns gelegentlich erscheinen.
Ich glaube, es ist notwendig, dass man versucht zu verstehen, wie man hier denkt, wie man hier lebt und wie in Polen die Gesellschaft organisiert ist. Viele Unterschiede, die für uns radikal erscheinen, sehen dann vor Ort doch noch etwas anders aus, wenn man sie differenziert betrachtet. Allerdings ist es nicht zu übersehen, dass es schon einen durchaus scharfen Gegensatz zwischen Nationalisten und Europäern gibt, zwischen Menschen, die für die weitere Öffnung Polens und auch für die stärkere Integration nach Europa sind und denen, die nationalistischen Tendenzen verfolgen.
domradio.de: Gibt es denn auch Brückenbauer, also Leute, die versuchen zwischen diesen beiden Blöcken zu vermitteln und nach Ausgleich zu suchen?
Sternberg: Ganz ohne Frage. Da gibt es sogar sehr viele. Und ich glaube, das ist sehr gut. Gerade sind wir zu Besuch in Polen. Die letzte Reise war im Jahr 2009. Wir wollen diese Polenkontakte intensivieren und besonders fördern. Ich glaube, wir sind gerade als katholische Christen aufgerufen, diesen Kontakt zwischen Polen und Deutschland intensiv zu vollziehen und zu betreiben.
Denn wir wollen ja nicht vergessen: vor fünfzig Jahren waren es nicht nur die Bischöfe, die in dem Briefwechsel die deutsch-polnische Aussöhnung betrieben haben, sondern es waren auch die Laien. Es war auch Bernhard Vogel, es war das ZdK, Kronenberg und die vielen anderen, die das Maximilian-Kolbe-Werk gegründet haben und die diese Aussöhnung mit Polen intensiv betrieben haben. Und wir müssen jetzt mit einer neuen Generation von jungen europäischen Polen viele Kontakte wieder intensiv knüpfen und verbessern.
domradio.de: Sie haben gerade die wichtige Rolle der Kirche in der Aussöhnung zwischen Deutschland und Polen angesprochen. Haben Sie den Eindruck, dass das heute noch von Bedeutung ist und bei den jungen Leuten noch so im Kopf ist?
Sternberg: Ja. Ich glaube Europa ist ganz wesentlich auch Arbeit an der Identität und an der Identitätsvorstellung der Menschen. Ich glaube, Europa ist für viele etwas gewesen, das 2004 über dieses Land kam als ein perfekt geschmierter Apparat von Verwaltung, Bürokratie und Ähnlichem. Und die großen Ideen von Europa als Wertegemeinschaft, Europa als Idee, die müssen hier wieder aktiviert werden. Die müssen deutlich gemacht werden.
Vielleicht kann man das auch damit deutlich machen, dass zum Beispiel Kardinal Kominek, der wesentliche Verfasser dieses Briefes "Wir vergeben und bitten um Vergebung" damals, auch einer der Gründerväter Europas gewesen ist. Das heißt, dass diese europäische Idee auch in Polen jahrzehntelange Tradition hat. Auch zu kommunistischer Zeit, wo sie sich natürlich nicht ausleben konnte.
domradio.de: Was kann in Ihren Augen die katholische Kirche heute tun? Für Katholiken gibt es ja keine nationalen Grenzen. Ist da die Kirche auch prädestiniert, für die Idee Europas zu werben?
Sternberg: Ich glaube, dass wir als katholische Kirche sogar ganz besonders prädestiniert sind, uns für diese europäische Idee einzusetzen, weil wir eben keine Nationalkirchen haben. Wir haben da nichts zu überwinden.
Allerdings, wenn wir einmal sehen wieviel wir denn voneinander wissen und wieviel wir von unseren gegenseitigen Frömmigkeitstraditionen kennen oder wieviel wir davon wissen, wie wir als Katholiken in den jeweiligen Ländern ticken, dann werden da intensiv dran arbeiten müssen. Wir werden daran arbeiten, dass wir als katholische Christen unseren Beitrag für die europäische Einigung und die europäische Einheit auch über die Krisenjahre, in denen wir jetzt fraglos sind, hinweg fördern können.