ZdK-Sprecher zum EU-Flüchtlingsgipfel

"Es geht um die Zukunft Europas"

Beim EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel steht ab Donnerstag auch ein Stück weit die Zukunft Europas auf dem Spiel. Das sagt ZdK-Sprecher Martin Kastler im domradio.de-Interview und hofft als gläubiger Christ auf ein politisches Wunder.

Martin Kastler / © Harald Oppitz (KNA)
Martin Kastler / © Harald Oppitz ( KNA )

domradio.de: Glauben Sie, dass Bundeskanzlerin Merkel ihre Asylpolitik doch noch an die Osteuropäer verkaufen kann?

Martin Kastler (Sprecher des Sachbereichs „Europäische Zusammenarbeit und interkulturelle Fragen im Zentralkomitee deutscher Katholiken und Leiter des Büros der Hanns-Seidel-Stiftung in Prag): Verkaufen ist das falsche Wort. Ich glaube, dass es insgesamt eine europäische Frage ist. Das wissen auch die Staats- und Regierungschef in Mittel- und Osteuropa. Wie man sich nun zusammenrauft, dass ist die große politische Kunst derer, die am Verhandlungstisch sitzen. Eine Chance, glaube ich, gibt es allemal. Es gab am Montag einen Gipfel der Visegrad-Länder - das ist die Vereinigung von vier mitteleuropäischen Ländern: Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn - bei denen es harte Diskussionen gab. Man wollte einen Grenzzaun zu Mazedonien mitfinanzieren und mit bauen. Hier ist es dann doch gelungen, dass die diplomatische Seite gesiegt hat. Man versucht nun, mit anderen Mitteln durchzukommen. Der Einfluss, den die Kanzlerin und auch andere mittel- und osteuropäische Länder haben, der ist schon da, und man kann sagen, dass es Chancen gibt, weiter zu kommen.

domradio.de: Muss denn ein Kompromiss zwingendermaßen so aussehen, dass die osteuropäischen Staaten Flüchtlinge aufnehmen oder kann deren Beteiligung an der Lösung auch anders aussehen?

Kastler: Es könnte eine der Möglichkeiten sein, einen Kompromiss zu finden. Die Quotenregelung war für viele mittel- und osteuropäische Staatschefs ein Fanal, denn zum ersten Mal in der Geschichte der EU wurden kleinere Länder einfach überstimmt. Das ist etwas, das man aus der Perspektive in Prag, in Budapest oder in Breslau auch sagen muss. Das kam in allen politischen Parteien eher schlecht an. Logischerweise ist hier auch zu sagen, wenn Wahlkampf herrscht und so etwas passiert, dann kann es natürlich für die nächste Zeit zu Schwierigkeiten kommen. Das war eine verbale Aufrüstung, ich glaube auch auf mehreren europäischen Seiten. Man hat gegeneinander geredet, aber nicht mehr miteinander. Ich hoffe, dass dies nun beim Gipfel ein Ende findet, weil jeder wissen sollte, dass es um mehr geht als um die Frage nach einer bestimmten Zahl von Flüchtlingen. Es geht auch ein Stück weit um die Zukunft von Europa.

domradio.de: Ein ganz sichtbares Zeichen ist ja bisher die Reisefreiheit innerhalb der EU gewesen, festgelegt durch das Schengener Abkommen. Nun ist dieses Abkommen schon angeschlagen. Glauben Sie, dass es allen Beteiligten klar ist, dass, wenn es keine gemeinsame Lösung beim Gipfel gibt, die Reisefreiheit in Europa auf der Kippe steht?

Kastler: Das ist, glaube ich, jedem klar. Wenn wir jetzt anfangen, an allen Außengrenzen und sogar zwischen den einzelnen Schengen-Ländern wieder Grenzen und Grenzzäune zu bauen, dann ist es eindeutig, dass die Reisefreiheit in großer Gefahr ist, und das kann keiner wollen. Ich kenne keinen vernünftigen Politiker im Westen oder Osten, der wünscht, dass wir in die Kleinstaaterei der Vor-EU-Zeit zurückgehen. Wir haben diese Errungenschaft der Reisefreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das sind große Dinge, die wir geschaffen haben und für die es sich auch lohnt, zu streiten. Aber es muss auch für alle das gleiche Ziel geben. Das ist, denke ich, allen bewusst, die in dem EU-28-Club mitmachen wollen.

domradio.de: Sollte Kanzlerin Merkel scheitern, was würde das für Deutschlands Grenzen bedeuten? Würde das auch bedeuten, dass wir unsere Grenzen befestigen?

Kastler: Ich würde von vornherein nicht vom Scheitern ausgehen. Dass es schwierig wird, ist klar. Ein Großteil der EU-Mitgliedsstaaten teilt nicht die Meinung der Kanzlerin. Ich möchte aber nicht unbedingt jetzt den Teufel an die Wand malen. Als gläubiger Christ denke ich eher in den Kategorien, dass es auch mal ein Wunder gibt. Wenn man sagt, wir schaffen das, und das im Quadrat sieht, dann kommt man eigentlich auf diese Wunder. Ich glaube schon, dass wir ein solches Wunder brauchen. Es gab solche auch schon in früheren Zeiten. Man war an einem Scheideweg oder einer Grenze und wenn ich in der Dimension von Helmut Kohl denke, dann kann man auch als Europäer etwas schaffen, wenn es scheinbar nicht weitergeht. An diesem Punkt stehen wir meiner Ansicht nach gerade. Das ist etwas, das man nicht vorher ausplaudert und das ist etwas, das man nicht vorher als Plan A, B oder C öffentlich skizzieren darf. Das muss auf dem Gipfel mit festem Willen diskutiert und dann auch durchgesetzt werden.

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR