Zehn Jahre nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo"

Als der Terror in Paris ankam

Das junge Jahr 2015 war noch nicht recht in Gang gekommen - dann veränderte das Attentat auf die Pariser Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" alles. Für die Betroffenen, aber auch für ganz Europa. Neun Menschen starben.

Autor/in:
Paula Konersmann
Sonderausgabe von Charlie Hebdo zum Jahrestag des Anschlags auf die Redaktion / © Ian Langsdon (dpa)
Sonderausgabe von Charlie Hebdo zum Jahrestag des Anschlags auf die Redaktion / © Ian Langsdon ( dpa )

Ihren - ganz eigenen - Humor haben sie bewahrt. Fast zehn Jahre nach dem islamistischen Anschlag sucht das Satiremagazin "Charlie Hebdo" derzeit religionskritische Karikaturen. "Machen Sie Ihrer Wut über den Einfluss aller Religionen auf Ihre Freiheiten Luft", heißt es in dem Aufruf. Die besten Zeichnungen sollen zum Jahrestag in der Zeitschrift veröffentlicht werden.

Acht Redaktionsmitglieder starben bei dem terroristischen Angriff am 7. Januar 2015; weitere neun Menschen wurden am selben Tag in einem koscheren Supermarkt und auf der Straße in Paris erschossen. Später übernahm der "Islamische Staat" (IS) die Verantwortung für die Taten.

Trauer und Solidarität weltweit

Dass die Feder spitz bleiben würde, war damals schnell klar: Eine Woche nach dem Anschlag meldete sich die "Charlie Hebdo"-Redaktion mit einer Mohammed-Karikatur zurück. Ebensolche Zeichnungen waren es gewesen, auf die sich schon vorige Attentäter bezogen hatten: "Charlie Hebdo" gehört zu den wenigen Medien der Welt, die bereits 2006 die Bilder des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard nachgedruckt hatten. 2011 hatte es einen Brandanschlag auf die Redaktion gegeben; auch der 2021 verstorbene Westergaard war mehrmals Ziel von Mordversuchen.

Die Monate nach dem Attentat 2015 waren geprägt von Debatten um Religion und Meinungsfreiheit. Insgesamt erfasste Europa nach dem Blutbad eine heute kaum mehr vorstellbare Welle von Trauer und Solidarität. Der Slogan "Je suis Charlie" wurde millionenfach geteilt und auf Plakaten durch die Straßen getragen. Es gab Mahnwachen, Blumenmeere und Lichtinstallationen; am Sonntag nach der Bluttat, die oft als Zäsur beschrieben wurde, versammelten sich rund 1,5 Millionen Menschen, darunter Staats- und Regierungschefs, zu einer Gedenkkundgebung in Paris - mehr waren es nie seit Verkündigung des Kriegsendes 1945.

Verschärfte Sicherheit, bleibende Angst

Es blieb nicht der letzte islamistische Anschlag mit zahlreichen Toten. Die Promenade von Nizza oder die Pariser Konzerthalle "Le Bataclan" sollten ebenfalls zu Orten des Grauens werden. Zuletzt wurden am vierten Adventswochenende Erinnerungen wach an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016, auch wenn der Hintergrund in Magdeburg offenbar ein anderer war. Ebenfalls 2016 wurde bei Rouen der Priester Jacques Hamel während der Messe von Islamisten ermordet, 2020 der französische Lehrer Samuel Paty - er hatte Mohammed-Kariktaturen im Schulunterricht gezeigt, um über Meinungsfreiheit zu diskutieren.

Der Ton vieler Debatten wurde schärfer, die Sicherheitsmaßnahmen ebenfalls: Heute wird hierzulande auch auf mittelgroßen Veranstaltungen das Messerverbot kontrolliert. Niemand kann mehr ohne Ticket unter dem Eiffelturm entlanglaufen, und die französische Schriftstellerin Emilie Freche beobachtet weiterhin Angst im Zusammenhang mit Mohammed-Karikaturen, wie sie kürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte. Für ihr Theaterstück über Paty sei es schwierig, Schauspieler zu finden, "weil die Leute Angst haben".

Verwechslung von Islam und Islamismus

In Frankreich wurde im Herbst 2015 der Ausnahmezustand ausgerufen; mit Verlängerungen sollte er für zwei Jahre gelten. Zugleich häuften sich die Appelle, man dürfe sich nicht einschüchtern lassen - aus der Politik, im Karneval oder von bekannten Schriftstellern wie Michel Houllebecq, dessen Roman "Unterwerfung" am Tag des Anschlags auf "Charlie Hebdo" erschienen war. Er erzählt von einer französischen Gesellschaft, in der ein Vertreter der Muslimbruderschaft kurz vor der Wahl zum Präsidenten steht.

Das geteilte Echo auf die scharfen Rundumschläge von "Charlie Hebdo" - Zuspruch für die Widerständigkeit oder Vorwürfe des Zynismus - ist einkalkuliert. Es sei jedenfalls keine Lösung, bestimmte Probleme zu verschweigen, mahnte der Herausgeber von "Charlie Hebdo", Laurent "Riss" Sourisseau, einmal in der Zeitung "Die Welt". Er kritisierte, die politische Dimension des Attentats sei allzu rasch in den Hintergrund gerückt. Und: Populisten zielten darauf ab, "dass man Islam und Islamismus verwechselt".

Nach dem Anschlag selbst war es eine vergleichsweise versöhnliche Karikatur von 2011 gewesen, die in den Sozialen Netzwerken immer wieder geteilt wurde. Sie zeigt zwei knutschende Männer, einen mit Bart und Turban, den anderen mit Stift hinter dem Ohr. "L'amour plus fort que la haine", steht darüber: "Liebe ist stärker als Hass".

Quelle:
KNA