DOMRADIO.DE: "Es ist an der Zeit, dass Notre-Dame ihre Pforten wieder weit öffnet“, hat der Erzbischof von Paris gesagt, Laurent Ulrich. Wie erleben Sie dieses besondere Wochenende?
Markus Hirlinger (Pfarrer der katholischen Gemeinde deutscher Sprache St. Albertus Magnus Paris): Mit größter Freude. Wir sind alle gespannt und neugierig, wie das gefeiert wird. Es beginnt mit einem besonderen Ritual: Der Erzbischof klopft an das Portal von Notre Dame und bittet um Einlass. Anschließend gibt es einen Dialog mit der Orgel, die zum ersten Mal wieder erklingen wird. Dann folgt das Magnificat des Chores, dass die Freude und Großartigkeit ausdrückt.
Gleichzeitig fragen sich viele, wie das alles zusammenpasst – die etwa 40 geladenen Politiker, darunter Präsident Zelensky, der ehemalige und designierte US-Präsident Trump und andere wichtige Vertreter. Kann die Kathedrale ein Symbol der Einheit werden, vielleicht sogar für ein gespaltenes Frankreich? Wir spüren jedenfalls eine tiefe Dankbarkeit für diesen Moment.
DOMRADIO.DE: Spüren Sie die besondere Atmosphäre in der Stadt?
Hirlinger: Ja, schon gestern Abend war deutlich etwas los. Heute Mittag werde ich losziehen, aber die Straßen sind bereits gefüllt mit Menschen. Es gibt Absperrungen und viel Polizei, die für Sicherheit sorgt. Da ist einiges geboten.
DOMRADIO.DE: Notre Dame stand 2019 in Flammen. Paris, Frankreich und die Welt waren geschockt. Präsident Macron versprach den Wiederaufbau in fünf Jahren. Wie wirkt die Kathedrale heute auf Sie?
Hirlinger: Macron hat sein Versprechen gehalten, und viele sagen, dass er das gut gemacht hat. Ein solches Versprechen kann Antrieb geben, etwas Großes zu schaffen. Die meisten würden bestätigen, dass die Kathedrale schöner ist als zuvor. Einige finden sie vielleicht zu hell, aber das braucht Gewöhnung. Der Wiederaufbau und damit die komplette Schließung der Kathedrale war eine Gelegenheit, alles gründlich zu reinigen und die wichtigsten Orte für Glaube und Liturgie neu zu gestalten.
Nicht jeder ist damit zufrieden, aber ich empfinde vor allem Achtung und Demut – gegenüber den Feuerwehrleuten, den über 2000 Handwerkern und Handwerkerinnen sowie den 340.000 Spenderinnen und Spendern, die insgesamt 840 Millionen Euro ermöglicht haben. Wir dürfen auch die Menschen nicht vergessen, die vor 850 Jahren mit dem Bau begonnen haben, wohl wissend, dass sie ihn selbst nicht vollenden würden. Das zeigt die tief verwurzelte Glaubensüberzeugung jener Zeit.
DOMRADIO.DE: Es wurde diskutiert, ob ein Eintrittsgeld für Touristen erhoben werden soll. Was halten Sie davon?
Hirlinger: Ich verstehe, dass die Verantwortlichen darüber nachgedacht haben. Sie sind für eine nachhaltige Betreuung verantwortlich. Mit 5 Euro pro Eintritt bei 30.000 Besuchern täglich – mehr als der Eiffelturm – käme eine beeindruckende Summe zusammen. Das ist eine große Versuchung, aber ich finde es richtig schön, dass etwas anderes stärker war, dass andere Werte stärker gewichtet wurden.
Es ist unbezahlbar, in das Haus Gottes einzutreten. Hier geht es um die Geschenke der Gnade und der Liebe, die dort gefeiert wird. Das ist unbezahlbar. Und wer weiß, vielleicht geht eine Person, die nur an der Kunst interessiert ist, als Ungläubige hinein und kommt als Gläubige wieder hinaus. Für solche Momente kann kein Preis hoch genug sein. Wenn so etwas passieren kann, ist auch dafür kein Preis zu hoch.
DOMRADIO.DE: Was wird die Menschen wohl bewegen, wenn sie die Kathedrale betreten?
Hirlinger: Das erste Wort, das mir einfällt, ist "überwältigt". Für viele sicherlich auch sprachlos. Ich hoffe, dass die Menschen nicht sofort zum Handy greifen, sondern den Moment wirken lassen. Man kann gar nicht anders als sprachlos nach oben schauen.
Denn der Blick wird nach oben gezogen, und ich glaube, in diesem Moment gibt es kaum Unterschiede zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. Hier spürt jeder: Das ist etwas Größeres, etwas Unfassbares, etwas, das den Menschen übersteigt. Es ist ein Ergriffensein, das alle erreicht.
DOMRADIO.DE: Welche Botschaft hat die Kathedrale Notre Dame für ihre Besucher?
Hirlinger: Die drei Portale sagen: Komm rein! Betrete einen Raum, in dem es um etwas anderes geht. Die Kathedrale lädt ein zu staunen – über die großartige Arbeit der Architekten und Künstler. Aber sie sagt auch: Bleib nicht beim Staunen stehen, sondern lass dich ergreifen von der Wirklichkeit, von der die Kathedrale Zeugnis gibt.
Es geht um mehr. Tritt ein in den Dialog. Sie fordert auf, das eigene Leben mit in diese Schönheit dieser Kathedrale einzubringen, mit all seinen Sorgen und Freuden. Vielleicht geschieht dadurch eine innere Verwandlung, ein Dankbarkeitsgefühl, das bis in den Alltag hineinwirkt. Die Kathedrale möchte jeden Menschen als lebendigen Stein in Gottes Bauwerk einladen.
DOMRADIO.DE: Wann werden Sie Notre Dame das erste Mal wieder betreten?
Hirlinger: Ich freue mich sehr, dass ich selbst bereits am Montag an einem großen Gottesdienst mit Priestern teilnehmen darf. Zwei, drei Wochen später darf ich sogar am Altar konzelebrieren. Das ist für mich persönlich eine große Freude. Für unsere Kirchengemeinde habe ich einen Termin organisiert. Leider ist der erst im Frühjahr. Wir dürfen dann gemeinsam und in Ruhe in einem bestimmten Zeitfenster eintreten – darauf freue ich mich besonders.
Das Interview führte Carsten Döpp.