Martin Mosebach liest in Kölner Kirche aus seinem Kopten-Buch

Zeitreise ins frühe Christentum

Es war ein denkwürdiger Abend: Martin Mosebach liest auf Einladung des Kölner Generalvikars in der Kirche St. Ursula aus seinem bewegenden neuen Buch: Die 21 - Eine Reise ins Land der Martyrer.

Generalvikar Dominik Meiering und Martin Mosebach (DR)
Generalvikar Dominik Meiering und Martin Mosebach / ( DR )

"Warum sitzen wir hier in der Kirche? Mit entzündeten Kerzen und zwei koptischen Ikonen auf dem Altar", fragt Dominik Meiering. Direkt vor dem Altar der Kölner Kirche Sankt Ursula steht ein kleiner runder Tisch, ein weltliches Möbel, darauf zwei Bücher und Wassergläser. Der Kölner Generalvikar hat den Schriftsteller Martin Mosebach eingeladen, in der Kirche aus seinem neuen Buch zu lesen. Martin Mosebach ist bekennender Katholik. Für ihn ist eine Kirche eine Kirche und kein Literaturhaus. Eigentlich macht er solche Sachen nicht: in einer Kirche lesen. Das findet er unpassend. Und doch hat er hier eine Ausnahme gemacht. Sein neues Buch heißt "Die 21 / Eine Reise ins Land der koptischen Märtyrer". Sankt Ursula sei die Kölner Kirche der Märtyrer, erklärt Meiering. Hier werden in der Goldenen Kammer die Gebeine der elftausend Gefährtinnen der Heiligen Ursula aufbewahrt. "Es gibt keinen passenderen Ort, um über Märtyrer zu reden", ist Meiering überzeugt.

Mosebach, der Mann aus dem Frankfurter Westend, der stets galant in feinem Anzug und Einstecktuch daher kommt, ist nach Ägypten gereist. Er hat Bauernfamilien besucht, die mit ihrem Vieh unter einem Dach in einfachsten Verhältnissen leben, Familien, die ihre Söhne, Brüder, Ehemänner verloren haben. Sie wurden von IS-Terroristen 2015 hingerichtet.

Grauenvolles Video im Internet

Ein Video hat diese inszenierte Hinrichtung der 21 koptischen Christen weltbekannt gemacht. In orangen Guantanamo-Overalls werden sie von schwarz vermummten Dschihadisten in einer Prozession des Todes, im Gleichschritt an einen Strand geführt. Vor laufenden Kameras wird ihnen die Kehle durchgeschnitten.

Martin Mosebach hat in einer Zeitschrift einen Kopf gesehen, die Augen geschlossen, als würde der Mann friedlich schlafen. Erst auf den zweiten Blick hat der Schriftsteller erkannt, dass der Kopf des jungen koptischen Wanderarbeiters vom Körper abgetrennt war. Dieses Foto hat Mosebach nicht ruhen lassen. Dazu kam, so erzählt er in der Kirche Sankt Ursula, dass der koptische Glaube ihn seit jeher fasziniere. Da war das koptische Klappaltärchen auf dem Schreibtisch seines Vaters, das ihn beeindruckte und dann die koptische Liturgie, die ihn begeistert. Mosebach wollte wissen, wie das Umfeld und die Welt von Männern aussieht, die so große Glaubensstärke in sich tragen, dass sie mit einem Gebet auf den Lippen für ihren Glauben sterben. Die christlichen Männer hätten sich retten können, wenn sie zum Islam konvertiert wären. Für die koptischen Bauernsöhne war das keine Frage – ihren Glauben hätten sie nie verraten.

Bei den Bauern einfach angeklopft

Martin Mosebach reist also nach Oberägypten, er reist in das Dorf der Märtyrer und klopft bei den einfachen Bauern an. Das ist mutig, findet Generalvikar Meiering. Mosebach empfindet das nicht so. Sein katholischer Glaube hat ihn angespornt, sich auf den Weg zu machen. "Das war eine Zeitreise in eine erstaunliche Welt", erzählt er, "in die Welt der Frühzeit des Christentums". Bei den Familien habe er sich gar nicht anmelden müssen, alle Türen hätten ihm offen gestanden, erzählt der Schriftsteller. Besonders erstaunt war er darüber, dass er keine Trauerhäuser betreten habe. Zwei Jahre nach dem Tod der Angehörigen sei die Atmosphäre heiter gewesen und die Familien sehr stolz, dass einer der Ihren nun ein Heiliger ist. Denn kurz nach dem Martyrium wurden alle 21 Ermordeten von der koptischen Kirche heiliggesprochen. "Nun werden sie als Fürsprecher angerufen und beweisen ihre Präsenz durch viele Wundertaten", hat Mosebach erfahren. Auf ikonenhaften Bildern werden die Verstorbenen mit Märtyrerkrone und Siegespalme verehrt. Einfache Collagen sind das, die für uns eher kitschig anmuten.

"Auch interessierten sich die Familien überhaupt nicht für die Täter, sie forderten keine Strafe, Gerechtigkeit oder Rache" sagt Mosebach, "die Täter waren in der Welt der Kopten Abgesandte des Satans. Viel wichtiger waren die Brüder, Söhne und Ehemänner, die diesen teuflischen Mördern bis in den Tod standgehalten haben".

Menschsein ohne Psychologie und ein Christsein ohne Theologie

In Sankt Ursula ist es mucksmäuschenstill, als Mosebach am Ambo aus seinem Buch vorliest. In einem Kapitel lässt er einen Bezweifler auftreten, der mit einem Beschwörer diskutiert. Ist die starrsinnige Bereitschaft, für den Glauben zu sterben, nicht vom gleichen Fanatismus geprägt, wie ihn die IS-Terroristen zeigen? Bleibt mit der Feier der Märtyrer die Gewalttat nicht immer gegenwärtig? fragt der Bezweifler und weiter: Haben wir in der westlichen Welt mit unserer Bereitschaft zu Diskussion und Dialog nicht längst solche lebensfeindlichen Gegensätze wie Konversion oder Tod überwunden? Für uns ist es unvorstellbar, dass einem der Glauben näher ist als die Halsschlagader, wie es die Kopten formulieren.

Die Glaubenswelt, die Martin Mosebach erlebt hat und von der er in Sankt Ursula erzählt, ist für uns weit weg. In der westlichen Welt gehen wir eher diskret mit unserem Glauben um. "Wir psychologisieren uns zu Tode", beschreibt der Autor unsere Lebensdoktrin. Bei den Kopten habe er dagegen ein Menschsein ohne Psychologie und ein Christsein ohne Theologie erlebt", erzählt er. Der christliche Glaube habe dort eine unmittelbare, fast unschuldige Verbindlichkeit.

Generalvikar Meiering: "Eine echte Herausforderung an unser Leben"

Für die seit Anbeginn ihrer Existenz verfolgten Kopten gibt es keine Vergangenheit in Form einer historisierten Geschichte. Ihre Identität speist sich vollkommen aus dem Evangelium und der Erwartung des jüngsten Gerichts. Bis dahin gilt die immerwährende Prüfung des Glaubens und die ermordeten Angehörigen sind Teil dieser Prüfung. "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", sagt Jesus und die koptischen Christen leben seine Nachfolge – wenn es sein muss bis in den Tod. "Ja, er beneide die Kopten", sagt der Schriftsteller, "wie immer Menschen beneidenswert sind, die mit sich und ihrer Welt in Übereinstimmung leben".

Generalvikar Meiering hat Mosebachs Reisebericht nach Ägypten mit Begeisterung gelesen. Er sagt, dass es sich lohne, die ferne Welt des unverstellten koptischen Glaubens genau anzuschauen – auch wenn sie uns in unserer urbanen Lebens- und Begriffswelt museal anmute. "Diese Zeitreise ins frühe Christentum zeigt nicht nur, woher wir kommen und aus welchen Quellen unser Christsein sprudelt, sondern stellt uns auch Fragen und ist eine echte Herausforderung an unser Leben". Als unterdrückte Minderheit haben die Kopten Jahrhunderte überlebt. Die christlichen Bauern in Oberägypten sind ein Beispiel dafür, wie Religion beschaffen sein muss, um als Minorität so lange Zeit nicht an Kraft zu verlieren. Und dann wagt Martin Mosebach Parallelen zur Zukunft der Kirche in Deutschland. "Wenn sich die Christen als Minderheit vor dem, was man Zivilreligion nennt, beugen müssen", sagt er, "dann wird man schauen, was für eine Form von Christentum einem solchen Majoritätsdruck standhält".

Lesung wird zum Gottesdienst

Als echte Gegenwart, die im positiven Sinn aus der Zeit gefallen ist, beschreibt Mosebach seine Begegnung mit den Angehörigen der koptischen Märtyrer. Ein Status der christlichen Religion werde hier bewahrt, der bis in die Frühzeit des Christentums zurückreicht. "Die Kopten leben wie die ersten Christen", davon erzählt Mosebach in seinem Reisebericht.

Am Ende der Lesung lädt Generalvikar Meiering dazu ein, das Gebet zu sprechen, das alle Christen auf der ganzen Welt verbindet. In der voll besetzten Ursulakirche stehen alle ohne zu zögern auf und beten mit. Es stört keinen, dass die Lesung zum Gottesdienst wird. Der Respekt vor den koptischen Märtyrern ist so groß, dass man sich davor nur verneigen kann.

Informationen zum Buch Die 21 


Quelle:
DR