Zu Besuch im einzigartigen Glockenforschungszentrum Kempten

Wohlklang aus dem Schall-Labor

Was zur Ehre Gottes läuten soll, raubt manchem Anlieger den Schlaf: Kirchenglocken. Um nichts anderes als deren Wohlklang kümmern sich Forscher in einer weltweit einzigartigen Einrichtung auf dem Gelände der Kemptener Fachhochschule. Ihr Heiligtum ist ein schlichter weißer Container.

 (DR)

Wer dessen mächtige Eingangstüren passiert, tritt ein in eine Welt ohne Widerhall: Heiliger Bimbam, die schaumstoffgepolsterten Wände schlucken jeden Laut, das macht das Gespräch anstrengend. Einst für Lärmmessungen an Traktoren gebaut, beherbergt das Schall-Labor Glocken verschiedenster Größe. Das vor anderthalb Jahren gegründete Europäische Glocken-Kompetenzzentrum ist aus dem 2007 beendeten EU-Forschungsprojekt PROBELL hervorgegangen. Neben der Hochschule im Allgäu sind die Universitäten Padua (Italien) und Ljubljana (Slowenien) sowie acht europäische Glockengießereien beteiligt.

Fünf Glocken hängen im Labor, jede in einem eigenen Glockenstuhl: Ein kleines, golden verziertes Exemplar kommt aus Italien, die wuchtige Nachbarin aus Deutschland. Nicht nur beim Aussehen, auch beim Läuten gibt es kulturelle Unterschiede. In Italien schwingen die Glocken stärker hin und her, deswegen werden kleinere Klöppel benutzt. Größere würden die Glocken sonst kaputt schlagen.

"Naa, das ist kein Krach"
Diplomingenieur Michael Plitzner wirft die Läutemaschine an. Dumpfes Dröhnen erfüllt das Labor. Schließlich erzittert der ganze Raum, der Boden bebt. "Naa, das ist kein Krach", sagt Plitzner, der sich seit seiner Studentenzeit mit Glocken beschäftigt. Die Komplexität seines Forschungsgebiets fasziniert ihn. So sei noch nicht sicher, wann Klangveränderungen durch Risse verursacht werden oder durch äußere Einflüsse wie die Temperatur. "Wir haben eine Frage geklärt und dabei sind drei neue aufgekommen."

Viele Glocken werden durch ihr Läuten über Jahrzehnte und Jahrhunderte stark beschädigt oder gar zerstört. Manchmal liegt es schlicht daran, dass sie zu fest oder an der falschen Stelle angeschlagen werden. Die Wissenschaftler haben Messverfahren entwickelt, um bei regelmäßigen Überprüfungen schon kleinste Schäden früh erkennen zu können. Jede Glocke hat einen eigenen musikalischen Fingerabdruck, ein unverwechselbares Profil. "Wenn sich am Klang etwas verändert hat, hat sich auch in der Glocke was verändert", erklärt der Ingenieur.

Wie bringt man schönen Klang und schonendes Läuten in Einklang? Was muss man beim Guss beachten? Welche Rolle spielen Form und Gewicht des Klöppels oder die Aufschlagsfläche? Um das herauszufinden, untersuchten die Forscher die bedeutendsten Glocken Europas, von der "Pummerin" im Wiener Stephansdom über "Great Peter" in Londons St. Pauls-Kathedrale oder die Papstglocke "Campanone" im Petersdom.

Einige läuteten im Labor über 3.000 Stunden am Stück
"Früher konnte man die Klöppel nur gefühlsmäßig einstellen, jetzt haben wir Regeln entwickelt", berichtet Plitzner von ersten Erfolgen. Mit Simulationsprogrammen kann der Abrieb von Glocken abgeschätzt werden. Den in Padua und Ljubljana am Computer entwickelten Klangmodellen haben die Kemptener Leben eingehaucht, um das optimale Zusammenspiel von Glocke und Klöppel zu bestimmen.

Die Gießereien stellten für die Forschungen über 20 Glocken zur Verfügung, 12 davon wurden extra gegossen. Einige läuteten im Labor über 3.000 Stunden am Stück, zwei gingen dabei zu Bruch. Ihr Opfer könnte helfen, bei anderen Glocken Reparaturkosten zu sparen. Zumindest theoretisch. Denn die Untersuchung von Glocken zur Schadensfrüherkennung ist teuer. Oft fehlt das Geld dafür. Reparaturen sind aber noch viel kostspieliger, wie Plitzner zu bedenken gibt. Und schließlich gehe es um Kulturgüter.