Diözesancaritasverband begrüßt Corona-Aufholpaket

Zügig starten statt zu warten

Mit einem Zwei-Milliarden-Euro-Paket will die Bundesregierung dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche nach der Corona-Pandemie unterstützt werden. Die Caritas begrüßt diese Maßnahme, knüpft das Gelingen aber an diverse Punkte.

Symbolbild: Mädchen verzweifelt an den Hausaufgaben / © Stock-Asso (shutterstock)
Symbolbild: Mädchen verzweifelt an den Hausaufgaben / © Stock-Asso ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was sind denn nach Ihrer Erfahrung die größten Belastungen, denen Kinder in der Krise ausgesetzt waren? 

Christof Kriege (Abteilungsleiter Jugend und Familie beim Diözesancaritasverband Köln): Es gibt aktuell eine Studie der Ruhr-Universität Bochum, gerade im März veröffentlicht, aus dem Bereich der klinischen Kinder- und Jugend Psychologie, die deutlich macht, dass insbesondere Kleinkinder mit Unruhe reagieren, mit Labilität, mit Rückzugserfahrungen, mit Schlafstörungen, mit Aggressivität. Ähnliche Erfahrungen gibt es auch im Jugendbereich.

Wenn man die Adoleszenz-Phase, also das Ablösen von Jugendlichen, sieht, wird deutlich, dass die jungen Leute ihre normalen Entwicklungsaufgaben im Moment nicht nachvollziehen – im Sinne von Bezugspersonen treffen, stabile Peerbeziehungen aufbauen, Gleichaltrige treffen, ihre berufliche Bildung planen, vielleicht auch freiwillige Tätigkeiten und so weiter. 

DOMRADIO.DE: Da haben sich viele Defizite aufgebaut. Was kann da jetzt das Aufholprogramm der Bundesregierung leisten? 

Kriege: Wir gehen davon aus, dass nach diesen Studien etwa ein Drittel aller Kinder mit emotionalen Auffälligkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten anzutreffen sind und ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler. Und dieses Programm ist ein kooperatives: Der schulische Bereich, also das Bundesministerium für Bildung und Forschung, ist genauso beteiligt wie das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, die hier ganz klar auch außerschulische Bildungsanteile sehen und vor allen Dingen dazu beitragen wollen, dass Lernrückstände abgebaut werden, dass die frühkindliche Bildung gefördert wird, dass der ganze Bereich der außerschulischen Jugendbildung angekurbelt wird.

Im Moment laufen ja keine Ferienfreizeiten, keine Familienfreizeiten, es finden keine Jugendgruppen statt. Und es geht sicherlich sehr stark auch darum, das Engagement von jungen Leuten jetzt wieder in den Vordergrund zu rücken. 

DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, damit sind jetzt die Lebens- und Erfahrungsbereich von Kindern und Jugendlichen tatsächlich erfasst? 

Kriege: Es wird ja deutlich, dass gerade die schulischen Defizite sehr stark im Vordergrund stehen, die ja auch existieren. Hier sollen Lehrkräfte deutlicher mit hinein, um in Kernfächern und Kernkompetenzen nachzuarbeiten, aber auch die zahlreichen jungen Leute mit dem sogenannten Migrationshintergrund stärker zu integrieren.

Der offene Ganztags-Bildungsbereich ist sehr stark gefragt. Hier sollen Lernenwerkstätten eingerichtet werden und weitere Fördermaßnahmen in Kernfächern angeschoben werden. Das ist sicherlich alles gut. Insbesondere ist es auch erforderlich, dass die frühkindliche Bildung stärker in den Blick genommen wird, dass nochmal frühe Hilfen intensiviert werden.

Das sind ja alles Hilfe-Pakete und Maßnahmen, die nicht neu sind. Das heißt, hier dockt man letztendlich an bestehende Strukturen an. Das ist gut so, um damit deutlich zu machen, dass das nicht ein zusätzliches Paket ist, sondern, dass bestehende Hilfe-Strukturen und Maßnahmenpakete letztendlich nochmal gestärkt werden sollen. 

DOMRADIO.DE: Sie finden das eigentlich erstmal gut, oder? 

Kriege: Ja, die Vielfalt ist gut, das Andocken an bestehende Strukturen ist gut. Das nochmal neu entdecken, beispielsweise auch die Schulsozialarbeit, die ja eine ganz starke Integrationsstruktur und Kompetenz mitbringt, ist wichtig. Bildung und Teilhabepakete werden erneuert und nochmal verstärkt.

Es geht neben den schulischen Defiziten und den Lerndefiziten natürlich sehr stark um eine Förderung des sozialen Lernens, auch der Persönlichkeitsbildung und der Engagementförderung, weil insbesondere das Gesamtpaket der Freiwilligendienste nochmal deutlicher als Instrumente der Teilhabeverbesserung des sozialen Lernens in den Blick genommen werden. Und das ist eine wunderbare Entwicklung, die hier an dieser Stelle durch die beiden Bundesministerien angeschoben wird. 

DOMRADIO.DE: Reicht das denn oder gibt es noch Dinge, die Ihrer Meinung nach anders und besser geregelt werden müssten? 

Kriege: Es ist ja sicherlich so, dass mit diesen zwei Milliarden Euro unglaublich viel Geld in die Hand genommen wird. Und ich würde mir wünschen, dass das insgesamt auch in die Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe langfristig investiert wird. Wir gehen im Moment davon aus, dass diese Mittel bis Ende 2022 zur Verfügung stehen.

Und was ich mir natürlich wünsche, ist, dass wir jetzt nicht lange Zeit damit verbrauchen, über Förderregelungen nachzudenken und Verwaltungsvorschriften zu kreieren, sondern dass wir starten können. Und es ist wichtig, dass dann diese Wirkungen evaluiert werden und geschaut wird: Erreichen wir mit diesen Maßnahmen genau die Lernwirkungen und die Ausgleichswirkungen, die das Programm letztendlich umsetzen möchte.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Bundesfamilienministerin Franziska Gipfel und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bei der Vorstellung des "Aufholprogramms" / © Kai Nietfeld (dpa)
Bundesfamilienministerin Franziska Gipfel und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bei der Vorstellung des "Aufholprogramms" / © Kai Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR
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